Gestalten mit Licht und Schatten. Oliver Rausch

Gestalten mit Licht und Schatten - Oliver Rausch


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Sie bei einem professionellen Shooting zuvor das Modell probehalber ausgeleuchtet oder zumindest die Setkarten auf solche anatomischen Besonderheiten hin untersucht haben, um festzustellen, ob das Modell für Ihren geplanten Lichtaufbau überhaupt infrage kommt. Meist sind anatomische Besonderheiten, die ein Ausleuchten mit Seitenlicht eher verbieten, von solcher Art, dass sie hochfrontales Licht begünstigen können.

      Nicht jedes Modell ist für alle Hauptlichtarten gleichermaßen geeignet. Erzeugt Seitenlicht in einem Porträt störende Lichtflecke, ist die Anatomie des Modells oft von einer Art, für die sich hochfrontales Licht besonders gut eignet.

      Wenn Sie nicht auf hochfrontales Licht ausweichen können – weil Seitenlicht wegen seiner düsteren und dramatischen Wirkung eingesetzt werden muss –, aber das Modell nicht perfekt für Seitenlicht geeignet ist, so wird der störende Effekt deutlich geringer ausfallen, wenn Sie eine große Lichtquelle benutzen oder zusätzlich eine Aufhellung einsetzen. Über den Einfluss der Größe der Lichtquelle und Aufhellung werden Sie im nächsten Kapitel mehr erfahren. Alternativ können störende Lichtflecke natürlich auch mit Photoshop abgedunkelt oder wegretuschiert werden. Lösungen gibt es für dieses Problem also zahlreiche, nur sollte Ihnen zunächst bewusst sein, dass Sie eventuell ein solches vor sich haben, um dann entsprechend reagieren zu können.

      Da nur wenig von der Mimik des Modells zu erkennen ist, verzeiht Seitenlicht eine schlechte oder gar fehlende Regie eher als die anderen Lichtarten. Doch Vorsicht: Wenn Sie das Modell fröhlich lächeln lassen, steht das meist im Widerspruch zur düsteren und melancholischen Lichtstimmung. Das Bild kann dann leicht unglaubwürdig bis irritierend ausfallen. Ein Lächeln wirkt bei Seitenlicht eher wie »das Pfeifen im Walde«. Ein neutraler, nachdenklicher, melancholischer oder erschreckter Gesichtsausdruck passt meist deutlich besser und wird durch das Seitenlicht in seiner Wirkung unterstrichen.

      Regie bei Seitenlicht

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      Andererseits gibt es die Möglichkeit, Seitenlicht mit einem Lächeln ganz bewusst zu kontrastieren. Das wirkt manchmal sehr bedrohlich bis wahnsinnig, manchmal auch nur unfreiwillig komisch. Der Grat ist hier schmal.

      Seitenlicht ist für das Modell oft schwierig, da das »leuchtende Auge« verschwindet, sobald sich das Modell auch nur ein wenig falsch bewegt. Seitenlicht mit kleinen Lichtquellen zwingt das Modell zu großer Disziplin. Die Kamera und damit der Fotograf kann sich dagegen recht frei auf der Schattenseite des Modells bewegen und unterschiedliche Standpunkte ausprobieren.

      Exkurs

      In der berühmten Szene aus Stanley Kubricks »Shining«, in der Jack Nicholson als Autor Jack Torrance am Schreibtisch sitzt und seiner Frau klar wird, dass Jack dem Wahnsinn verfallen ist, wird er im Seitenlicht gezeigt. (Geben Sie auf YouToube »The Shining – Best scene ever!« als Suchbegriff ein oder verwenden Sie den QR-Code.) Hier wirkt das berühmte Lächeln Jack Nicholsons alles andere als freundlich.

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      Zu Beginn der Szene sitzt er noch am Tisch und hält den Kopf perfekt in Richtung Seitenlicht. Sein Auge im Schatten leuchtet ein wenig, so wie es für ein perfektes Seitenlicht sein sollte. Die Stimmung ist entsprechend düster und bedrohlich. Im Verlauf der Szene steht er auf und folgt seiner Frau, die sich mit einem Baseballschläger zu schützen sucht. Auch im Laufen hält Nicholson sein Gesicht perfekt ins Licht gedreht, sodass er weiterhin im Seitenlicht erscheint. Der erste Treppenabsatz wird dann aber so geschnitten, dass Nicholsons Gesicht nicht mehr im Bild ist. An dieser Stelle würde das Licht der Fenster ihn nämlich im – noch zu besprechenden – hochfrontalen Licht zeigen, was aber nicht der Dramatik der Szene angemessen wäre. Hochfrontales Licht wirkt schließlich eher sachlich bis strahlend. Stattdessen wird seine Frau sehr düster im Gegenlicht gezeigt. Auch Gegenlicht wird im Weiteren ausführlich besprochen werden und Sie sollten sich diese Szene später noch einmal genau ansehen, so wie viele weitere aus diesem Film, die ebenfalls lichtge-stalterische Glanzstücke darstellen, wie im Übrigen alle Filme von Stanley Kubrick.

      Auf der zentralen Treppe angekommen, schreiten beide weiter empor, wodurch Nicholsons Gesicht von weiter hinten beschienen wird. Nicholson dreht zudem den Kopf ein wenig vom Licht weg. Hierdurch landet das Auge der Schattenseite im Dunkeln. Sein Gesicht wird mittig durch den entstehenden Schatten gesplittet, was der ausgesprochenen Drohung seiner Frau gegenüber entspricht. Dieser sehr subtile Einsatz von Licht, das auf den Punkt gesetzt wird und die inhaltliche Aussage der Szene unterstützt, findet man in amerikanischen Filmproduktionen in solcher Perfektion häufiger – eine besondere Kunstfertigkeit, da sich die Schauspieler ja in der Regel bewegen. Etliche vorwiegend amerikanische Schauspieler sind sich der Lichtarten sehr bewusst und wissen, wie sie sich bewegen müssen, um perfekt ausgeleuchtet zu sein.

      

      Seitenlicht bringt große Bewegungsfreiheit für die Kameraposition, aber wenig Freiheiten für das Modell.

      Wenn Sie sich die Arbeit mit Modellen, die Sie öfter fotografieren, erleichtern wollen, sollten Sie diese in die Lichtführung einweihen und ein wenig mit den Modellen üben. Es ist tatsächlich nicht so schwer, sich als Modell selbstständig, auch ohne Anleitung des Fotografen, so zu positionieren, dass das Licht perfekt steht. Schließt das Modell das dem Licht zugewandte Auge (eventuell einfach das Auge mit der Hand zuhalten), sollte es mit dem Auge der Schattenseite gerade eben die Lichtquelle hinter dem Nasenrücken auftauchen sehen. Mit ein wenig Übung kann sich so jedes Modell selbst ins rechte Seitenlicht rücken. Deutlich schwieriger ist es für ein Modell, ständig vom Fotografen in seiner Haltung korrigiert zu werden. Das macht eher unsicher, vor allem wenn das Modell nichts von Ihrer Absicht einer perfekten Lichtführung weiß und die Korrekturen eher persönlich nimmt.

      Auch bei Rembrandtlicht liegt ein Großteil des Gesichts im Dunkeln, ähnlich wie bei Seitenlicht. Es werden aber für die Lesbarkeit der Mimik wichtige Bereiche um Augen und Mund herum gerade noch vom Licht erfasst. Dadurch kommen auch die wesentlichen Charakteristika der Anatomie gut zur Geltung. Rembrandtlicht zeigt somit das Wesentliche und verhüllt Unwesentliches. Der Betrachter erhält genügend Anhaltspunkte, um dann an den Fehlstellen, den dunklen Schattenpartien, seiner eigenen Fantasie freien Lauf für weiter reichende Interpretationen zu lassen. Die so Porträtierten wirken dadurch besonders erfahren, tiefgründig, weise, charakterstark, vielschichtig, markant, vom Leben gezeichnet, ausdrucksstark oder durchsetzungsfähig.

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      Abbildung 2–12

      Rembrandtlicht – erster Schritt

      Dabei ist dieses Licht je nach weiteren Aufhellmethoden, Hintergrundwahl und eventuellen Effektlichtern sehr wandlungsfähig. Dadurch, dass die Mimik des Modells jetzt deutlich erkennbar wird, ist aber auch mehr Erfahrung in der Regie sowohl beim Fotografen als auch beim Modell gefragt.

      Rembrandtlicht erhalten Sie in zwei Schritten:

      1 Beleuchten Sie das Modell mit einer Lichtquelle von leicht oberhalb und zugleich ein wenig zur kurzen Seite versetzt, sodass ein Nasenschatten und ein Gesichtsschatten entstehen.

      2 Verschieben Sie die Lichtquelle so weit nach hinten, bis der Nasenschatten den Gesichtsschatten berührt, und zugleich so weit nach oben oder unten, bis der Berührungspunkt dieser Schatten etwas oberhalb des Mundwinkels zu liegen kommt.

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      Abbildung 2–13

      Rembrandtlicht


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