Gestalten mit Licht und Schatten. Oliver Rausch
Rembrandtlicht richtig setzen
Sie sollten unbedingt darauf achten, dass der Nasenschatten den Mundwinkel nicht berührt oder gar den Mund abschattet. Zwischen Nasenschatten und Oberlippe sollte noch ein wenig Spielraum verbleiben. Das Licht sollte im Idealfall den Mund komplett umspielen. Letzteres ist je nach Anatomie des Modells nicht immer zu 100 Prozent möglich, vor allem bei einem schmalen Kiefer verschwindet der äußerste Mundwinkel auf der Schattenseite ab und an im Gesichtsschatten. Bei unserem Modell läuft das Licht auch nicht komplett um den Mund herum. An der Ober- und Unterlippe entstehen bereits kurz vor dem Mundwinkel der langen Seite erste »Schatten-Stege«, die das Umspielen des Mundes mit Licht »unterbrechen«. Auf jeden Fall sollte der Nasenschatten, wie im Beispiel zu sehen, ein wenig Abstand zu der Oberlippe halten, da der Nasenschatten ansonsten den Mundwinkel abschattet. Zudem entsteht bei Rembrandtlicht unter dem Auge der langen Seite ein »Dreieck aus Licht«. Das Oberlid auf der langen Seite sollte dabei noch genügend Licht erhalten, um einen Gegenpol zu diesem Lichtdreieck zu bilden. Das Auge selbst und die Iris sollten erstrahlen. Der Rest der langen Seite liegt zunächst, bei ausschließlicher Verwendung einer kleinen Lichtquelle, in tiefem Schatten.
Gestaltungsmerkmale des Rembrandtlichtes
Akzentsetzung
Das Auge der langen Seite des Modells liegt als dunkler Akzent in einem hellen Lichtdreieck eingebettet. Dieses Lichtdreieck ruht ebenfalls als Akzent in der dunklen Gesichtshälfte. (Im Vergleich zum Seitenlicht ist das Auge nun doppelt akzentuiert.)
Linienführung
Die Schattenlinie auf der Stirn ist – wie beim Seitenlicht – ein »Hinweispfad«, auf dem der Blick des Betrachters zum Auge im Lichtdreieck darunter geführt wird.
Anders als beim Seitenlicht bleibt der Blick des Betrachters nicht auf das Auge der Schattenseite fixiert. Vielmehr kann dieser nun entweder am Gesichtsschatten entlang nach unten wandern, bis er auf den Nasenschatten stößt, um diesem wieder nach oben zurück zum Auge zu folgen, oder in entgegengesetzter Richtung vom Nasenschatten abwärts bis zum Gesichtsschatten und von dort aufsteigend zurück zum Auge. Der Betrachterblick wird auf diese Weise innerhalb des Dreiecks durch das Gesicht geführt.
Im Vergleich zum Seitenlicht sind zusätzlich die Formen der Wange, des Augenbereichs und des Mundes durch das Lichtdreieck und die Lichtpartie, die den Mund umspielt, deutlich modelliert. Die Formen der Schattenlinien heben die charakteristischen Formen des Gesichts deutlich hervor.
Abbildung 2–14
Das Lichtdreieck lässt den Blick des Betrachters durch das Gesicht wandern und hält es in diesem Bereich fest.
Flächenaufteilung
Ähnlich wie beim Seitenlicht wird je nach Kamerastandpunkt die Stirn des Modells etwa im Verhältnis eins zu zwei geteilt, was ein spannendes und zugleich harmonisches Verhältnis darstellt. Die Schattenseite des Gesichts wird durch das Lichtdreieck und das Auge sehr lebendig und formenreich gebrochen, was Plastizität und Spannung erzeugt.
Die Wirkung von Rembrandtlicht
Der Blick des Betrachters wird durch das Auge der Schattenseite und seine doppelte Akzentuierung als dunkler Akzent im hellen Lichtdreieck in der ansonsten dunklen Umgebung magisch angezogen. Er kann innerhalb des Dreiecks frei umherwandern und dabei die Mimik des Modells erfassen, die im Seitenlicht verborgen bleibt. Lachfältchen unter den Augen oder markante Falten, die das Leben hinterlassen hat, werden deutlich erkennbar. Auch wird der Mund vom Licht erfasst, wodurch der Betrachter ein Lächeln oder eine Angespanntheit erkennen und unterscheiden kann. Die Mimik des Mundes und der Augen lässt so auf die Emotionen des Modells schließen. Dennoch bleibt die Wange als – gestalterisch gesehen – große, langweilige Fläche im Schatten verborgen. An dieser inhaltlichen »Leerstelle« ist der Betrachter in der Lage, das weiterzuspinnen, was ihm Auge, Mund und Gesichtsformen nahelegen. Diese Leerstellen können vom Betrachter mit seinen Vermutungen und Projektionen angereichert werden. Durch den aktiven Prozess des Betrachtens erscheint das Modell tiefgründiger, lebenserfahrener, auf jeden Fall »geschichtenreicher« als etwa bei Seitenlicht. Seitenlicht lässt einen im Dunkeln eher das Böse vermuten, da es kaum Informationen über das Modell preisgibt. Bei Rembrandtlicht spielt die aktive Interpretation des Betrachters eine große Rolle. Diese wird genutzt, um ihn über das weiterfantasieren zu lassen, was das Modell durch seinen Ausdruck nahelegt.
Gestaltungsmerkmale des Rembrandtlichts
Die Kameraposition bei Rembrandtlicht
Abbildung 2–15
Rembrandtlicht von unterschiedlichen Kamerastandpunkten gesehen
Fällt Rembrandtlicht auf die kurze Gesichtsseite, so wirkt es besonders spannend und charakteristisch. Sie können im Freiland mit der Kamera 180° um Ihr Modell herumlaufen und sich einen geeigneten Standpunkt suchen. Im Studio laufen Sie besser nicht um Ihr Modell herum, sondern drehen das Modell mitsamt der Lampe vor der Kamera, wobei die Kamera fix vor dem Hintergrund stehen bleibt. Dadurch geht Ihnen im Studio nicht der Hintergrund aus.
Wechseln Sie mit der Kamera den Standpunkt über die Verlängerung der Nasenlinie des Modells hinaus, so sollten Sie das Licht neu setzen, sodass es wieder auf die dann neue kurze Seite fällt. Im Beispiel oben müssten Sie das Licht also von links setzen, wenn Sie sich mit Ihrer Kamera nach rechts über die Nasenlinie hinwegbewegen.
»Fehler« bei Rembrandtlicht
Rembrandtlicht auf der langen Seite
Rembrandtlicht steht etwas höher und frontaler als Seitenlicht und erzeugt daher auf der langen Seite ein wenig mehr Schatten und damit Plastizität als Seitenlicht. Dennoch wirken Wange und Stirn des Modells immer noch sehr flächig. Das Gesicht erscheint zudem breiter und weniger schlank. Wird das Ohr nicht durch Haare, Hüte, Schals oder Ähnliches verdeckt, zieht es sehr stark den Blick auf sich. Anders als bei Seitenlicht ist das Auge der abgewandten Seite durch das Lichtdreieck so stark betont, dass es den Blick des Betrachters auf sich ziehen kann und so ein gestalterisches Gegengewicht zum Ohr bildet.
In der Malerei finden Sie Rembrandtlicht sowohl auf der langen als auch auf der kurzen Seite. Wird es auf der langen Seite eingesetzt, ist die lange Seite meist plastischer gemalt, es gibt also mehr Schatten, als das Licht allein tatsächlich erscheinen ließe. Die Damen und Herren im Barock legten außerdem Rouge auf, das die Wange dann zusätzlich plastisch modelliert. Das Ohr wird zum Beispiel mit einem Hut oder im Schatten eines solchen »versteckt«. Dieser Hutschatten »bricht« häufig die große Fläche der Wange und belebt diese dadurch. Ich empfehle Ihnen, das Rembrandtlicht zunächst auf der kurzen Seite auszuprobieren, da sich dann die Probleme mit dem Ohr als Akzent und mit der flächigen Wange gar nicht erst ergeben.
Abbildung 2–16
Rembrandtlicht auf der langen Seite lässt das Modell flächig erscheinen und erzeugt einen deutlichen Akzent auf dem Ohr.
Rembrandtlicht