Gestalten mit Licht und Schatten. Oliver Rausch

Gestalten mit Licht und Schatten - Oliver Rausch


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Auf ironische Weise entlarvt Horst Mumper den »selbst gestrickten Charakter« dieser Ursprungsbilder und macht den Zynismus dieser Entführungsinszenierung sowie ihrer Ausschlachtung durch die Medien schmerzhaft spürbar.

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      Uwe Müller

      Uwe Müllers Version vom »Mädchen mit dem Perlenohrring« greift eine der ursprünglichen Ideen Jan Vermeers auf. Vermeers Bilder öffnen ein Fenster in die Vergangenheit, die im Bild weiter lebendig erscheint. Der Künstler vermochte es, dem Betrachter dieses Gefühl der Anwesenheit in einem bereits lange vergangenen und dennoch im Bild weiter andauernden Moment in beklemmender Weise zu vermitteln. Seine Bilder scheinen die Zeit angehalten zu haben. Das Mädchen taucht aus dem Dunkel des Bildhintergrundes auf, indem das Licht sie von links, aus der Vergangenheit, zum Strahlen bringt. Der überraschte Moment ist wie in der Bewegung festgehalten. Das Mädchen wendet sich vom Licht der Vergangenheit ab und dem Betrachter, der Jetztzeit, mit einem flüchtigen Blick zu. In der Renaissance ist dieses Spiel mit der Vergänglichkeit und dem Festhalten des Momentes für die Ewigkeit – und somit für einen Betrachter, der erst in späteren Jahrhunderten geboren wird – häufig wiederzufinden. Als Hauptlicht für dieses Bild ist ein hochfrontales Licht aus großer Lichtquelle eingesetzt, das maximal plastisch nach der Verlängerungsmethode schwach aufgehellt wurde. Die Aufheller hatten einen leicht grünlichen Anstrich, sodass die Schattenpartien diesen Farbton angenommen haben und einen alternden Firnis nachahmen.

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      Britta Strohschen

      Britta Strohschens Version des berühmten Gemäldes »Der Mann mit dem Goldhelm« weicht stark vom Original ab. Und dabei beziehe ich mich nicht nur auf die eigenwillig witzige motivische Umsetzung. Wie im Original wird der Mann vom Licht aus der Vergangenheit, also von links, beleuchtet, während der Körper ein Voranschreiten in die Zukunft vermittelt. Der Blick ist aber in die Bildmitte, auf den Betrachter und auf die Jetztzeit gerichtet. Diese Version erweckt das Gefühl, dass der Mann aus der Vergangenheit in unserer Gegenwart angekommen ist. Der edle Goldhelm ist einer schnöden Frisurvorbereitung gewichen. Ist der Mann des Goldenen Zeitalters in der profanen Gegenwart angekommen? Im Original weist der Blick des Mannes nach rechts unten, wo eine dunkle Zukunft zu vermuten ist. Auch die Grauwerte erscheinen im Original deutlich dunkler. Der Mann taucht dort nur sehr schwach aus dem Dunkel des Bildhintergrundes auf. Das Original vermittelt eher den Eindruck, dass der Mann mit dem Goldhelm aus einer strahlenden Vergangenheit, die bereits an Leuchtkraft verloren hat, in eine dunkle Zukunft geht. Diese Sichtweise wird dadurch unterstrichen, dass bereits zur Zeit der Entstehung im späten 17. Jahrhundert der Helm, der aus dem späten 16. Jahrhundert stammt, als Relikt einer früheren goldenen Zeit galt. Auch die starke Abwärtsdiagonale in die rechte untere Bildecke verstärkt diesen Eindruck. Das Original ist durch ein Rembrandtlicht geprägt, das sehr steil eingesetzt wurde. Dadurch liegen ein Auge und der Mundwinkel bereits im Schatten. Taucht der Mann genau wie das Goldene Zeitalter im Schatten der Zeit ab? In der modernen Version hat Britta Strohschen den Schatten durch leichte Aufhellung nach der Verlängerungsmethode über die Ochsenschnur hinaus weit weniger dramatisch gestaltet und das Abtauchen so zu einem Auftauchen in unserer Zeit uminterpretiert.

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      Dieter Faustmann

      Dieter Faustmann spielt in diesem Auszug aus einer Serie mit Symbolen und Metaphern unserer Kultur. Jesus, der Sohn eines Zimmermanns, hält uns ein Stoppschild aus einem Zollstock entgegen: Jesus als schmuddeliges Schlüsselkind im Büßerhemd. Das bedrohliche Seitenlicht, aus der Zukunft einfallend, lässt nichts Gutes für das Kommende erahnen. Die plastizitätsfreie Aufhellung und die schmuddeligen Grauwerte sowie die Flecken auf dem Negativ unterstützen diesen irritierenden Eindruck ebenso wie der schwarze »Trauerrand«. Auch die Geste der Wandlung wird in neuem Kontext gezeigt: Die Hostie ist einem schnöden kleinen Verpackungskarton gewichen. Das Seitenlicht zerschneidet das Gesicht fast mittig und lässt das zweite Auge im tiefen Schatten untergehen. Die Zangenaufhellung vermittelt einen zwielichtigen Eindruck. Die Zerrissenheit wird durch die dezente dunkle Mittellinie im Bild weiter unterstrichen.

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      Raffaele Horstmann

      Raffaele Horstmann setzt sich in diesem Bild, ein Auszug aus einer größeren Serie, mit der Rolle der katholischen Kirche in der Geschichte auseinander. Das Unterlicht spricht dabei eine sehr diabolische Sprache. Dies wird durch die dunklen Grauwerte weiter unterstützt. Das Licht kommt von einer Softbox, die sehr nah am Modell positioniert wurde. Sie ist , ähnlich einem »Tablett«, direkt vor der Brust platziert, leuchtet senkrecht nach oben und erfasst die tieferliegende Bauchpartie nur noch mit ihren Randstrahlen, wodurch diese bereits im Schatten liegt. So wurde das magische »Aus-dem-Dunkel-Auftauchen« erzeugt. Damit die der Softbox abgewandten Schultern und die Stirn des Modells nicht in einem kompletten Schwarz untergehen, wurde sehr dezent nach der Kompromissmethode aufgehellt. Hierzu wurde eine Styroporplatte knapp oberhalb der Kamera senkrecht vor das Modell gehalten, die das Licht der Softbox in diese Bereiche reflektierte.

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      Maya Claussen

      Nicht weniger schmerzhaft wirkt das »Tableau vivant« von Maya Clausen, das ein Gemälde von Frida Kahlo zum Ursprung hat. Das frontale Licht leuchtet das Modell völlig schattenfrei aus. Es zeigt gnadenlos den makellosen Körper, der durch eine geplante Operation weiter perfektioniert werden soll. Der Hintergrund wirkt nicht wie ein Operationssaal, sondern wie ein Gefängnis, in dem die Unglückliche gefangen ist. Das Licht ähnelt den Belegfotos der »Vorher-Nachher-Fotos« bei solchen Operationen. Es stammt in diesem Fall von einem »Multilight« mit ca. zwei Meter Durchmesser und ist direkt hinter der Fotografin aufgebaut – ein Licht, das auch gerne für echte Modefotografie verwendet wird.

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      Konstantin Nemerov

      In diesem Modefoto von Konstantin Nemerov wird das Licht wieder sehr knapp oberhalb der optischen Achse und ein wenig nach links versetzt eingesetzt. Zur Aufhellung der ohnehin sehr schmalen Schlagschatten ist eine Softbox unterhalb der optischen Achse verwendet. Geschickt setzt Konstantin Nemerov hier die Farbgestaltung und die dynamische Linienführung als Kontrast ein, um das ansonsten zu flächige, sachliche Licht aus der Bildmitte heraus mit Leben zu füllen.

      2. Kapitel

      Die drei Hauptlichtarten

      Seitenlicht, Rembrandtlicht und hochfrontales Licht erzeugen unterschiedliche Stimmungen, Grundthemen oder Aussagen im Bild. In diesem Kapitel werde ich Ihnen diese drei klassischen Hauptlichtarten vorstellen. Zu Hauptlichtarten sind sie im Laufe der Jahrhunderte bereits in der Malerei geworden, da sie eine sehr natürliche Anmutung haben. Sie ahmen natürliches Licht nach, wie es zu unterschiedlichen Tageszeiten entsteht. Zur Morgendämmerung oder bei Sonnenuntergang steht die Sonne sehr tief und wirft lange, sehr ausgeprägte Schatten, wodurch die Motive düster und unheimlich erscheinen und dem Bild eine bedrohliche, unheimliche oder auch melancholische Grundstimmung verleihen. Im Laufe eines Tages wechselt die Höhe, aus der die Motive von der Sonne angestrahlt werden, und damit auch die Wirkung, die die dabei entstehenden Schatten beim Betrachter auslösen. Zur Mittagszeit sind nur noch sehr wenige und kleine Schatten vorhanden, die Motive erstrahlen vor unseren Augen und sind deutlich erkennbar. Bilder bei diesem Licht haben daher oft einen beschreibenden, sachlichen und je nach Höhe und Richtung auch strahlenden bis sonnigen Charakter.

      Über diese Hauptlichtarten hinaus gibt es das Gegenlicht, welches ebenfalls eine sehr natürliche Wirkung hat, aber für sich alleine in der Fotografie eher wie ein Effektlicht zu behandeln ist, da es fast immer in Kombination mit einer der Hauptlichtarten verwendet wird. Daher widme ich dieser Lichtart und ihren Besonderheiten ein eigenes Kapitel. Es gibt noch weitere häufig vorkommende


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