Gestalten mit Licht und Schatten. Oliver Rausch

Gestalten mit Licht und Schatten - Oliver Rausch


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Gruppe sammelt. Anschließend verlassen die ersten Tiere die Gruppe nach rechts und der Rest folgt ihnen. Ein riesiger Tross Pinguine läuft in die unwirsche Antarktis – und zwar von links nach rechts durchs Bild. Dem Betrachter ist sofort beim Erscheinen der Pinguine klar, dass hier der Startpunkt einer Reise ins Ungewisse liegt. Am Ende des Filmes, wenn die Pinguine ihre Jungtiere ausgebrütet haben, verlassen sie das Bild von rechts nach links und kehren zum sicheren Ausgangspunkt ihrer Reise zurück. Auch ein Held, der sich in einem Western in Richtung Abenteuer verabschiedet, tut das von links nach rechts. Er lässt die kleine Farm links im Bild hinter sich zurück und macht sich ins ungewisse Abenteuer nach rechts auf. Am Ende eines Filmes kommt es auf den Verlauf der erzählten Geschichte an, in welcher Richtung die Protagonisten »abgehen«. Die »Heimkehrer« kommen fast immer von rechts nach links ins Bild, denn die Heimat wird mit der linken Bildhälfte assoziiert. Lediglich in Cliffhangern enden die letzten Szenen mit einer Bewegung oder einem Abgang nach rechts aus dem Bild heraus, denn dort geht es noch weiter … nur nicht mehr in diesem Teil des Filmes. Auch Superhelden verabschieden sich oft nach rechts aus einem Film, schon auf dem Weg in das nächste Abenteuer.

      Im Theater wird die Assoziation der Richtungen links und rechts mit der Zeitachse ebenfalls ausgenutzt. Dort tritt ein Schauspieler am Anfang eines Stückes gerne von links (vom Zuschauer aus gesehen) auf, denn dort befindet sich der gefühlte Ursprung, der Anfang. Je nach Aussage im Stück gehen die Schauspieler dann nach links oder rechts wieder ab: nach links zurück in der Zeit, zurück an einen sicheren Ort etc., nach rechts in die nächste Szene oder ins Unbekannte.

      In einem Foto kann es für die Bildaussage einen Unterschied machen, ob das Licht von der rechten oder linken Seite auf das Modell fällt. Besonders augenscheinlich wird dies bei Porträts, wenn das Modell zudem in die entsprechende Richtung schaut. Ist das Modell selbst auf der linken Seite positioniert, befindet es sich »in einem Schutzhafen der Heimat«, was »Gewissheit und Geborgenheit« vermittelt, und schaut nach rechts in eine Zukunft, die wir nicht sehen können – der Bildrand verhindert das. Spiegeln Sie zur Übung ein Bild mit einer deutlichen Richtungswirkung, vergleichen Sie es mit der ungespiegelten Variante und spüren Sie den unterschiedlichen Wirkungen nach, die diese Bilder bei Ihnen auslösen.

      Bei einem frontalen Porträt ist es für die Plastizität egal, auf welcher Seite das Licht steht. In beiden Fällen entstehen gleichermaßen Tiefenwirkung und plas-tische Modulation der Gesichtszüge. Dennoch ergeben sich unterschiedliche Bildwirkungen. Das Licht kommt einmal aus der »Vergangenheit«, das andere Mal aus der »Zukunft«.

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      Abbildung 1–7

      Die Positionierung eines Akzentes auf der rechten Bildseite und die Blickrichtung nach links interpretieren wir oft mit einem Blick in Richtung Vergangenheit.

      Mit der oberen Bildhälfte ist das Gute, das Leichte und Luftige, das Göttliche, das Transzendente, das Starke und Mächtige, aber auch das Ungreifbare und Unerreichbare verknüpft. Die Gestaltungslehre für den normalen Bildaufbau lehrt, dass ein eher oben im Bild platzierter Akzent, also ein Bildelement, das den Blick des Betrachters stark auf sich zieht, die entsprechende Wirkung beim Betrachter auslösen kann. Auch Licht aus dieser Richtung kann die Wirkung weiter unterstützen. Das Bild wirkt dann oft leicht, fröhlich und strahlend wie im linken Beispiel in Abbildung 1–8. Ein heller Bildhintergrund könnte die Wirkung in dieser Richtung weiter steigern, genau wie das gezeigte Gegenlicht, das ich noch ausführlich besprechen werde.

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      Die Richtung, aus der eine Lichtquelle eingesetzt wird, entscheidet über die emotionale Grundstimmung in einem Bild.

      Die untere Bildhälfte weckt eher Assoziationen mit dem Schweren, Erdigen, dem Negativen, Melancholischen, Depressiven oder dem Teuflischen. Aber nicht nur die Platzierung von Akzenten in diesen Bildbereichen erzeugt derartige Bildwirkungen. Licht von unten hat ebenfalls etwas Dämonisches, wie wir alle als Kind mit der Taschenlampe unter dem Kinn feststellen konnten und wie auch das mittlere Beispiel in Abbildung 1–8 zeigt. Der dunkle Bildhintergrund unterstützt diese Stimmung weiter.

      Exkurs

      In den Edgar-Wallace-Filmen wird gerne Klaus Kinski mit Unterlicht als Wahnsinniger dargestellt. Der Effekt ist sehr dramatisch bis theatralisch, wenn in einem ansonsten dunklen Wald Kinski plötzlich mit einem starken Unterlicht beleuchtet wird, dessen Ursprung aber ein Rätsel bleibt. Schauen Sie mal auf YouTube unter »Die Gruft mit dem Rätselschloss« oder scannen Sie den nebenstehenden QR-Code.

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      In »The Shining« verfällt Jack Nicholson als Jack Torrance langsam dem Wahnsinn. In den Szenen, wo er in der Bar mit einem Barmann spricht, der nur in seiner psychotischen Fantasie vorhanden ist, wird das Unterlicht eingesetzt, um diesen Wahn auch über die Lichtgestaltung zum Ausdruck zu bringen. Die Wirkung ist sehr subtil, da Stanley Kubrick für diesen Zweck die Bar selbst als Beleuchtungskörper umgebaut hat, die das Unterlicht durch ihre einfache Anwesenheit im Bild »erklärt«. Zudem wird die Szene durch die Flächenleuchten der Bar aufgehellt, wodurch die Schatten des Unterlichtes weit weniger dramatisch ausfallen als etwa bei den Edgar-Wallace-Filmen. Suchen Sie auf YouTube nach »The Shining – Bar Scene« oder verwenden Sie den nebenstehenden QR-Code.

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      Die Mitte des Bildes assoziieren wir gerne mit Statik oder Ruhe bzw. mit einer eher nüchternen Feststellung von Tatsachen oder einfach mit dem Hier und Jetzt, also der realen Gegenwart. Fotos mit einem mittigen Akzent werden oftmals wie »Feststellungen« gelesen. »Das ist der Eiffelturm«, »das ist mein Auto«, »das ist meine Familie beim Camping« etc. sind oft gehörte Sätze beim Betrachten von Bildern mit mittig platzierten Akzenten. Auch Licht aus der Nähe der optischen Achse, also von der Mitte aus, kann diese »Passfoto-Wirkung« entfalten, wie das rechte Beispiel in Abbildung 1–8 zeigt. Gerne nutzte etwa die Modefotografie der 90er-Jahre Licht aus der optischen Achse, um den oftmals wenig lebensnahen Inszenierungen mit Topmodels einen realistischen »Live-Look« mitzugeben.

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      Abbildung 1–9

      Licht aus unterschiedlichen Richtungen eingesetzt, erzeugt Bilder mit verschiedenen Grundstimmungen. Die jeweilige Wirkung kann dann weiter gestützt werden durch eine entsprechende Platzierung von bildwichtigen Akzenten in derselben Bildrichtung.

      Wird ein Bildakzent an einer bestimmten Stelle im Bild platziert, stellt sich fast immer die Bildaussage oder Bildwirkung gemäß oben stehender »Landkarte der Akzentwirkungen« ein. Licht, das aus der entsprechenden Richtung auf das Motiv fällt, löst beim Betrachter eine ähnliche Wirkung aus. Weitere Gestaltungselemente wie Linienführung, Flächenaufteilung oder auch verwendete Farben entfalten jedes für sich ebenfalls bestimmte Bildwirkungen. Verwenden Sie die einzelnen Gestaltungselemente in entsprechender Weise, also so, dass sie eine ähnliche Wirkung entfalten, können diese sich gegenseitig verstärken und so dem Bild die gewünschte Aussage mitgeben.

      Die Lichtrichtung bestimmt die Grundaussage oder Grundstimmung, die das Bild erhält, und kann durch die klassische Bildgestaltung unterstützt werden.

      Der Einfluss der klassischen Bildgestaltung auf die Bildwirkung wird in diesem Buch dennoch eine eher untergeordnete Rolle spielen. Im Vordergrund soll vor allem die Lichtgestaltung mit ihrer Wirkung stehen.

      Exkurs

      In etlichen impressionistischen Gemälden


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