Steve Howe - Die Autobiografie. Steve Howe
ja meine Bestimmung, mich zwischen diesen beiden Streithähnen wiederzufinden. Sinnvolle Kompromissvorschläge meinerseits hatten nur dann Aussicht auf Erfolg, solange es mir völlig schnurz war, wer von beiden die Oberhand behalten würde. Keiner von beiden durfte unentwegt den Kürzeren ziehen. Ich war der Neuling, der noch keine Ahnung davon hatte, wohin uns diese Rivalität zu führen imstande war. Die Spannungen, die zwischen ihnen herrschte, sollten sich unendlich fortsetzen.
Konflikt hemmt die Dynamik einer Band, da sich die Kreativkräfte der Kollaboration so nicht frei entfalten können. Es fehlt an Balance. Wir alle hatten mitunter Ideen, die auf Widerstand stießen, aber es war auch wichtig zu erkennen, dass es einen unflexibel wirken ließ, wenn man zu heftig auf seinen Vorstellungen beharrte.
Je mehr wir uns um Perfektion im Studio bemühten, desto größer waren die Verbesserungen, die uns gelangen. Sämtliche Songs sollten individuell gestaltet, vital und emotional sein. Tony Kayes Hammondorgel und Keyboards waren klanglich perfekt positioniert, was mir Raum genug ließ, um aufregende Gitarrenparts abliefern zu können. Es gab keinen einzigen Augenblick, in dem ich mich auf meinem Instrument unwohl gefühlt hätte. Ich war der Auffassung, dass mein Soft-Rock-Ansatz ideal zu dieser Platte passte. Es bereitet mir auch heute noch Freude, der klaren Sanftheit meiner Triolen bei „Yours Is No Disgrace“ zu lauschen. Meine 175 ist ja so vielseitig. Ich spielte sie hier praktisch überall, außer bei den akustischen Passagen. Für den Schlusspart von „Perpetual Change“ griff ich zur Antoria LG50, Baujahr 1967. Ihr Sound ähnelte eher einer Fender. Obwohl ich keine große Auswahl bei meinen Gitarren hatte, versuchte ich dennoch, das Maximum herauszuholen.
„Perpetual Change“ besteht aus etlichen sich voneinander abhebenden Strukturen. Jede Verzweigung wurde mittels Dynamik betont. Die Route, die das Gegenriff-Segment (bei dem Yes in doppelter Ausführung gegeneinander anspielten) einschlug, um schließlich in den finalen Refrain zu münden, gestaltete sich überaus komplex. Dennoch ergab alles mathematisch Sinn. Wir unterhielten uns oft darüber, wie zwei unterschiedliche musikalische Ideen gleichzeitig starten könnten, wobei jede ihrem eigenen Takt folgte, bevor sie schließlich aufeinandertrafen und letztendlich im gleichen Rhythmus ihrer Vollendung entgegensteuerten. Manchmal hörten wir auch verschiedene Harmonien. Eine Note eines flüchtigen Akkords konnte etwa einen Halbton höher oder tiefer gespielt oder gesungen werden. Dann wurde die Frage in den Raum gestellt: „Wie hört sich das für euch an? Hat es besser mit einem Es oder einem D geklungen?“ Manchmal wurden solche Entscheidungen per Mehrheitsbeschluss gefällt. Mitunter reichte es aber schon, dass eines der Bandmitglieder auf einer Idee beharrte. Das Ohr ist schon ein außergewöhnliches Organ. So wie das auch auf all unsere anderen Sinne zutrifft, hat auch das Ohr seinen ganz eigenen Geschmack. Dieser ist überaus raffiniert und unterscheidet sich von Person zu Person.
Bei „Yours Is No Disgrace“ war das Gitarrensolo besonders experimentell. Die Band legte kurze Pausen ein, während ich tiefe Töne mit einem Wah-Wah-Pedal verfremdete. Daraus entwickelten sich noch mehrere weitere Segmente. Ein paar Akkordabläufe wechseln via Rutscheinlagen auf den Tasten zwischen Gitarre und Orgel hin und her. Ein langgezogener, verhaltener, aber sehr melodischer Gitarrenpart wird von verträumtem, auf und ab wogendem Echo und Delay untermalt, bis sich ein spröder Jazz-Part herauskristallisiert. Zum Ende hin gibt es noch auf- und absteigende Akkordfolgen. Was für eine Mischung aus divergierenden Ideen das doch war! Nachdem ich das Solo aufgenommen hatte, sagte Bill: „Ich wünschte, wir hätten vorab schon gewusst, was du über die Musik drüber spielst.“ In Wahrheit wusste ich das ja aber selbst nicht zu 100 Prozent.
Ich werde nie vergessen, wie wir „Clap“ im Lyceum aufnahmen. Wenn ich mir den Song heute anhöre, dann weiß ich wieder ganz genau, wie ich mich an jenem speziellen Abend auf der Bühne fühlte. Alles war sehr intensiv und stimulierend, belebt durch die Vitalität einer neu entdeckten Freiheit. Wir nahmen mithilfe eines zweispurigen Revox-Gerätes auf. Man konnte sich auf die Schweizer Qualität dieses Fabrikats verlassen. Die Dinger hielten einiges aus und ließen sich somit auch gut transportieren.
Die Verantwortung der abschließenden Abmisch-Sessions unseres Albums lastete in erster Linie auf den Schultern Eddy Offords, doch hielten Jon, Chris, Tony und ich ihm dabei den Rücken frei. Eddy saß in der Mitte und konzentrierte sich aufs Schlagzeug, während ich die Schieberegel für die Gitarre für ihn betätigte. Chris achtete auf den Bass, Jon auf den Gesang und Tony auf das Keyboard. Falls eines der Bandmitglieder einmal verhindert war, kümmerte sich Eddy eben auch um deren Level. Allerdings wünschten wir uns alle ein großartiges Ergebnis, weshalb kaum einer die Brücke verließ. Die geringste Veränderung auf einem der Schieberegler führte dazu, dass auch alle anderen ihre Regler bewegten. Eddy hatte aber das letzte Wort, was den Gesamt-Mix betraf, da er neutral zu sein schien. Er spielte selbst kein Instrument und hatte somit keine speziellen Vorlieben und Abneigungen. Er besaß ein gutes Ohr für die richtige Balance, was uns dabei half, den Sound so hinzubekommen, wie wir ihn in unseren Köpfen hörten.
Mit Brian Lane fanden wir auch einen neuen Manager. Bill, Chris und ich waren für eine Session im Advision gebucht worden, bei der wir eine junge Sängerin begleiten sollten, die von Lane gemanagt wurde. So wurde er auf uns aufmerksam. Er sollte etliche Phasen der Band überstehen. Brian hatte zunächst bei der Filmproduktionsfirma Hemdale gearbeitet, als es plötzlich für das Unternehmen steil bergauf ging. Seinem Stil entsprach es, seine Geschäfte so zu betreiben, dass andere nicht zu viel davon mitbekamen. Er betrat genau zum richtigen Zeitpunkt die Bildfläche. Wir brauchten jemanden, der unsere Zirkusnummer der ganzen Welt verkaufen konnte. Wir nannten ihn „A-deal-a-day Lane“: Wir sahen gern bei ihm nach dem Rechten, um zu erfahren, ob er seinen täglichen Deal bereits in trockenen Tüchern hatte. Brian schaffte es etwa, dass ich so viele Gitarrensaiten, wie ich bräuchte, von Martin Guitars spendiert bekäme. Kostenlos und zeitlich unbegrenzt. (Allerdings ließ ich da irgendwann Gnade vor Recht walten!) Was unsere Touren betraf, so wünschte er sich, dass wir mehr Geld damit verdienten. Obwohl nicht immer alles ganz astrein ablief, hielt er den Laden am Laufen, was zu den von uns gewünschten Ergebnissen führte – ein Nummer-1-Album in Großbritannien, das es auch in Amerika immerhin auf Platz 30 schaffte. Wir spielten reichlich Gigs zu Hause und in ganz Europa. Wir lieferten die Musik – und er steuerte seine Schnauze bei.
Yes bereisten Großbritannien weiterhin in einem grünen Rover. Dieses treue Gefährt kutschierte uns durch so manches Abenteuer. Einmal befanden wir uns spätnachts auf der Heimfahrt von einem Gig in Plymouth. Chris saß hinterm Steuer und unterhielt sich mit Tony, der neben ihm saß. Da ich im Gegensatz zu Chris sah, dass wir auf die falsche Spur geraten waren und auf ein entgegenkommendes Auto zurasten, schrie ich: „Pass auf, Chris!“ Beide Wagen wichen aus, um einen Frontalzusammenstoß zu vermeiden, aber wir kollidierten dennoch seitlich miteinander. Welch Höllenlärm! Wir wurden daraufhin ins Krankenhaus gebracht. Tony hatte es am schlimmsten erwischt. Er hatte sich nämlich den Knöchel gebrochen. Wir wurden aber noch in derselben Nacht wieder entlassen. Als wir für das Plattencover fotografiert wurden, steckte Tonys Fuß in einem Gipsverband.
Ein anderes Mal stieg Chris oben auf einem Hügel aus dem Auto, während sich unsere Familien im Wagen befanden. Die Gangschaltung befand sich im Leerlauf, doch hatte er die Handbremse vergessen. Irgendwie gelang es ihm gerade noch, wieder hineinzuklettern, um die Karre vor einer Kreuzung zum Stillstand zu bringen. Bis heute fahre ich am liebsten selbst oder achte darauf, dass ich von einem aufmerksamen Fahrer chauffiert werde. Ich beobachte genau, was sich um mich herum abspielt. Denn nach diesen Erfahrungen wusste ich ganz genau, welch gefährlicher Ort die Straßen sein konnten.