Steve Howe - Die Autobiografie. Steve Howe
keiner war irgendwie für den anderen verantwortlich. Drei Stunden später war dann alles vorbei, und es ging weiter zum nächsten Termin. In gewisser Hinsicht ähnelte es einer klassischen Tretmühle. Womöglich sah ich auch deshalb in den Sessions keinen bewusst gesetzten Karriereschritt. Ich lieferte ab und wurde bezahlt. (Ich hatte Glück und jemanden, der diese Sessions für mich buchte.) Allerdings erhielt ich keine Tantiemen und verließ mich stattdessen auf meine Gage, die die PPL (Phonographic Performance Limited) für mich eintrieb. Falls sich ein Song in großer Stückzahl verkaufte und/oder im Fernsehen oder Radio lief, bekam ich über die PPL einen geringen Betrag vermittelt. Mit Bands kannte ich mich am besten aus, und so beschloss ich, mich weiterhin darauf zu fokussieren.
Fürs Erste hielt ich mich weiter mit Sessions über Wasser, wodurch ich irgendwann an das Management von Deep Purple geriet. Sie sahen sich gerade nach einem Gitarristen um, um die Besetzung einer neuen Band, die sie zusammenstellten, zu komplettieren. Ich traf mich also mit Dave Curtis – seinerseits Sänger, Songwriter und Bassist – und seinem Drummer und Freund Bobby Woodman (Clarke), der zuvor für Johnny Hallyday getrommelt hatte. Wir nannten uns zunächst Canto und nahmen zusammen ein paar Demos auf, so etwa „The Spanish Song“, das man sich auf Anthology 2 anhören kann. Nachdem wir die Besetzung um einen jungen Typen namens Clive Skinner (Maldoon) erweitert hatten, benannten wir uns bald in Bodast um: Bobby-Dave-Steve. Nicht unbedingt ein Geniestreich, vor allem, weil dieses Konstrukt keinerlei Bezug auf Clive nahm.
Wir wohnten zusammen in einem Mietshaus in West Finchley und erhielten wöchentlich einen geringen Sold ausbezahlt. Dort schrieben wir unsere Songs und hofften, für Gigs gebucht zu werden. Das war eine in meinem Leben einmalige Situation. Wir waren hinsichtlich Management und Verlagsrechte vertraglich gebunden. Unser wöchentliches Einkommen entsprach einem Vorschuss – es konnte zurückgefordert werden, sobald tatsächlich mal Geld hereinkäme. So schrieben und probten wir unablässig neue Songs. Das war um die Zeit, als die Beatles ihr gefeiertes White Album veröffentlichten. Es ging nur zäh voran, aber zumindest lebte ich immer noch meinen Traum und konnte komponieren und spielen, was immer ich wollte. Außerdem klangen wir ziemlich gut.
Am Freitagabend erhielten wir regelmäßig Besuch eines Freundes samt interessantem Aktenköfferchen. Klick-klack! Vor uns breitete sich eine bunte Auswahl marokkanischen, afghanischen und indischen Haschs aus. Außerdem noch Kief, Thai-Sticks und afrikanisches Gras. Eine Unze Hasch kostete ungefähr acht Pfund. Viele sehr angesehene Leute konsumierten diese beruhigenden Substanzen. Offenbar waren sie schon fast allgegenwärtig, was so weit ging, dass sogar Polizisten Gefallen an ihnen fanden. Aber das alteingesessene britische Establishment setzte sich dennoch zur Wehr. In diesen Kreisen wusste man nicht, dass sich diese Szene nie kontrollieren lassen würde. Es ist weiterhin ein universelles Vergnügen, so wie Wein- oder Biertrinken. Erst seit Kurzem wird es weltweit immer häufiger freigegeben. Die Niederlande nahmen hier die Vorreiterrolle ein. Viele von uns besuchen gern die dortigen Coffeeshops. Mittlerweile haben auch die USA das Schleusentor geöffnet. Ein Bundesstaat nach dem anderem stimmt einer Legalisierung zu, wobei jeder einen eigenen Ansatz samt individueller Gesetzgebung verfolgt. Heute interessiere ich mich nicht mehr für Gras. Ich war hinsichtlich meines Geschmacks immer eher an Europa orientiert.
Bei Bodast überschnitten sich Musik und Lifestyle und die Liebe. Wir spielten letztendlich nur ein paar Gigs. Einer davon fand am 4. Juli 1969 in der Royal Albert Hall statt. Dabei handelte es sich um die einzigen Pop-Proms, von denen ich weiß. Am ersten Abend spielten The Who, und am zweiten trat dann Chuck Berry auf, der von Bodast begleitet wurde. Allerdings ohne mich. Ich erfuhr davon erst am Nachmittag während der Proben. Wir hatten bereits unseren Soundcheck hinter uns, als Chuck eintraf. Er betrat die Bühne und zeigte auf mich: „Dich brauchen wir nicht.“ Offenbar passte ich ihm nicht in den Kram. Unbeirrt zeigte ich ihm später hinter der Bühne meine Gibson 175, da mich interessierte, was er von ihr hielt. Er spielte sie an und meinte: „Yeah, das ist eine verdammt gute Gitarre!“ Nur noch ein einziger weiterer Gitarrist erhielt von mir die Erlaubnis, auf meiner allerbesten Gitarre zu spielen, nämlich der untadelige Martin Taylor, als wir 1998 gemeinsam Masterpiece Guitars aufnahmen.
Chuck Berry spielte bevorzugt halbakustische Gibsons mit schmalen Zargen wie die ES-340 T und später die ES-345 Stereo oder die ES-355. Als Verstärker mietete er sich zwei Fender Showmans oder Fender Twins, die er auf der Bühne zusammenschloss. In meinen Anfangstagen hörte ich Chuck fast auf Endlosschleife. Er war der erste Sänger, Instrumentalist und Songwriter in einem, der in den Fünfzigerjahren seine eigenen Hits feiern konnte. Außerdem war er die Hauptattraktion der ersten Package-Show, die ich jemals sah. Neben ihm standen auch noch Carl Perkins und die Animals auf dem Programm jenes Konzerts, das im Lewisham-Theater in London über die Bühne ging. (1980 sollten auch Yes in der Besetzung unseres Albums Drama dort auftreten.)
Das Jahr 1969 sollte eine völlig neue Phase in meinem Leben einläuten. Immerhin brachte meine erste Frau, Pat Stebbings, unseren Sohn Dylan zur Welt. Das Thema Familie rückte somit ins Zentrum meines Fokus. Ich konnte nicht länger egoistisch oder kurzsichtig an Dinge herangehen. Für meine Familie zu sorgen war fortan mein größter Antrieb. Obwohl unsere Ehe letzten Endes in die Brüche gehen sollte, mangelte es Dylan nie an Liebe oder Aufmerksamkeit. Ab 1971 fiel mir die Verpflichtung zu, ihn großzuziehen. Nicht viele Männer erhalten diese Gelegenheit. Ich wäre auch nie in der Lage gewesen, diese Aufgabe erfolgreich zu meistern, wenn mir nicht Jan Osborne beigestanden wäre, die ich 1975 schließlich heiratete. Sie ermöglichte, dass diese delikate Gratwanderung klappte. Liebe löst sehr viele Dinge auf einmal aus. So verändern sich etwa Perspektiven – und es gibt so viel, das es zu lernen gibt in der Kindererziehung. Ich kann mich noch genau an ein rotes Tretauto erinnern, das wir Dylan 1971 zu seinem zweiten Geburtstag schenkten, nachdem er von einem Urlaub mit Jan und ihrer Familie auf Malta zurückkehrte. Er war ja so begeistert und machte damit den Innenhof unseres Wohnhauses unsicher. Jan brachte später unsere drei gemeinsamen Kinder zur Welt: Virgil 1975 (er verstarb tragischerweise 2017), Georgia 1982 und Stephanie 1986. Von 1971 an war Jan der wichtigste Mensch auf der Welt für mich.
Bodast lebten weiterhin de facto von der Hand in den Mund, obwohl wir bereits ein Album in den Trident Studios mit Toningenieur Ken Scott für eine Plattenfirma namens Tetragrammaton aufgenommen hatten, das Keith West als Produzent betreute. Leider schloss das Label seine britische Niederlassung, und die Platte wurde nie veröffentlicht. Das Gefühl der Zurückweisung, das uns an den Fersen zu haften schien, unterminierte unsere ganze Mission. Die Aufnahmen sollten acht Jahre lang unter Verschluss bleiben, bis unser wunderbarer Sänger Clive Skinner, der außerdem ein guter Songwriter war, 1978 Schlaftabletten zum Opfer fiel. Er hatte vergessen, dass er sie genommen hatte, bevor er zusätzlich dazu noch Alkohol konsumierte. Obwohl er sich vielleicht auch vernachlässigt und nicht ausreichend geschätzt gefühlt hat und deshalb auf die Idee gekommen war, beides zu kombinieren. Als ich von seinem Tod erfuhr, war ich gerade auf US-Tour. Daraufhin war ich motiviert, diese Aufnahmen noch einmal in Stereo abzumischen. Ich bat Gary Lanham, mir dabei als Engineer beizustehen. Wir hatten ein Budget für einen Tag und stellten alle acht Tracks fertig. Cherry Red veröffentlichte das Ergebnis unter dem Titel The Lost Bodast Tapes 1978 auf Vinyl. Später erschienen die Aufnahmen auch noch auf CD, sowohl im Stereo- als auch im ursprünglichen Mono-Mix. 2017 wurde zudem eine neu gemasterte Version namens Towards Utopia aufgelegt, die ich persönlich für die beste Fassung halte.
Wenn ich über all meine Bemühungen in früheren Bands nachsinnierte, empfand ich diese Zeit als eine Art Ausbildungsphase. Mittlerweile wurde jedoch klar, dass unser Auskommen von einer eigenartigen psychologischen Balance abhing. Musikalisch dazu beizusteuern, verlieh dir ein gewisses nicht näher definiertes Ausmaß an Kontrolle. Es trugen noch viele andere Dinge zu dieser Balance bei, aber Kontrolle war ein ganz grundlegendes Thema. Selbstsicherheit musste nicht unbedingt gleichbedeutend sein mit Arroganz. Ich lernte, mit Kritik umzugehen sowie auch die Ideen anderer einfühlsam zu kritisieren, um zur Verbesserung der Band beizutragen. Ich hatte mich an die gegenseitige Abhängigkeit voneinander gewöhnt, die sich daraus ergab, dass wir zusammenlebten. Wie in einer Kommune. Und doch verließen wir Finchley schlussendlich im Unguten. Deep Purples Management feuerte uns nämlich, nachdem ein bescheuerter Toningenieur in den Kingsway Studios behauptet hatte, er habe uns beobachtet, wie wir Heroin konsumiert hätten. Um Himmels willen, auf keinen Fall! Wir versicherten ihnen, dass dies nicht der Wahrheit entspreche. Aber sie setzten uns trotzdem auf die Straße