EMP. Andrea Ross

EMP - Andrea Ross


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selbstsicheren Schritten auf den Eingang zustrebte.

      »Mist!«, stöhnte Peter. »Erkennt ihr ihn etwa nicht? Das ist dieser arrogante Schönling Frieder, der immer alles besser kann und weiß als das halbe Universum. Was will ausgerechnet dieser Blödmann im Kaschmir-Mantel denn hier? Das kann nichts Angenehmes oder Vernünftiges sein!«

      Peter erhob sich seufzend, um den geschniegelten »Blödmann im Kaschmir-Mantel« gleich an der Glastür in Empfang zu nehmen und möglichst stehenden Fußes abzuwimmeln.

      Ich muss ein wenig ausholen. Frieder ist wohl das, was man unter Kollegen wenig freundlich einen »Schleimscheißer«,

      »Arschkriecher« oder, verbal etwas stilvoller, verächtlich einen »Emporkömmling« nennt.

      Obwohl von allerhöchstens durchschnittlicher Intelligenz, verstehen sich solche Menschen meisterlich auf das Dampfplaudern – das ist die hohe Kunst, mit vielen Worten eigentlich gar nichts zu sagen, dabei aber großen Eindruck bei ähnlich strukturierten Mitbürgern zu schinden. Man kennt dieses verrückte Phänomen von Politikern zur Genüge, nicht wahr?

      Frieder hat zusätzlich Intrigen, Mobbing und seine Ellbogen beharrlich als Hilfsmittel benutzt, um sich mit der Zeit auch ohne herausragende dienstliche Leistungen eine recht gute Position innerhalb der biegsamen Behördenstruktur der Stadtverwaltung zu sichern. Wer nicht für ihn ist, ihn nicht ausgiebig hofiert und bauchpinselt, der ist automatisch gegen ihn und wird gnadenlos bekämpft. Bei den meisten Kollegen genießt er deswegen auch nicht gerade das höchste Ansehen, wird hinter seinem Rücken »der Un-Frieder« genannt.

      Frieder Weiland legte auch seinem Ruf gemäß prompt los, kaum dass Peter die Glastür aufgesperrt hatte. »Was ist denn hier los? Entspricht es Ihrer Dienstauffassung, einfach tatenlos in der Halle herum zu hocken? Drüben im Rathaus I wird jede Hand dringend zum Zupacken gebraucht, und Sie machen sich hier einen lustigen Tag mit Zeltlager-Romantik!

      Wer hat Ihnen überhaupt genehmigt, sich in diesen Diensträumen aufzuhalten? Was soll der Bürger denken? Hier sieht es aus und riecht wie in einem Unterschlupf für Gammler!

      Ich muss sie bitten, das Rathaus II umgehend zu verlassen, Sie halten sich hier unbefugt auf! Entweder, Sie gehen freiwillig und halten sich anschließend zu unserer Verfügung, oder ich muss Meldung machen und ihre abartige Truppe gegen Ihren Willen auflösen lassen!«

      Peter ließ sich nicht im Mindesten beeindrucken, obwohl Frieder Weiland gut und gerne an die zwei Meter und damit beinahe zwei Köpfe größer war. Wie die beiden dort in gespannter Körperhaltung im Eingangsbereich standen und sich gegenseitig abschätzig taxierten, fühlte man sich unwillkürlich an die Geschichte von David und Goliath aus der Bibel erinnert.

      Frieder hatte sein giftstrotzendes Pulver erst einmal im üblich arroganten Tonfall verschossen, seinem Kontrahenten Peter jedoch nicht den beabsichtigten Schaden zugefügt. Im Gegenteil, dieser wirkte leicht amüsiert und legte nun seinerseits in ruhigem, vollkommen beherrschten Ton los.

      »Herr Weiland, ich muss mich doch sehr wundern! Sollte es Ihnen etwa entgangen sein, dass der Notstand ausgerufen wurde und nun das Militär in dieser Stadt das Sagen hat? Bedienstete der Stadtverwaltung sind allerhöchstens noch Erfüllungsgehilfen, die sich den Weisungen der Soldaten ohne Fragen zu beugen haben; hierbei ist es übrigens ganz gleich, welchen Dienstgrad wir Mitarbeiter der Stadtverwaltung innehaben – was auch für Ihre Person gilt! Nun, ich weiß nicht, was Ihr Aufgabengebiet beinhaltet; wir haben heute Morgen jedenfalls von den Streitkräften den ausdrücklichen Befehl erhalten, hier unbedingt auszuharren, falls hilfesuchende Bürger unseren Rat benötigen sollten. Was im Übrigen vereinzelt schon geschehen ist! Sehen Sie zum Beispiel diese Frau mit den kleinen Kindern dort drin?«

      Peter zeigte vielsagend auf die beiden Buben, welche mit unserem Kollegen Kai und seiner Ehefrau in unserem Camp eingezogen waren und seither Leben in die Bude brachten. Zurzeit schmiegten sich die Rabauken allerdings dekorativ an ihre Mutter, als handele es sich tatsächlich um eine bemitleidenswerte Flüchtlingsfamilie.

      »Hier sind Kinder untergekommen, denen sonst ernste Gefahr und Hunger gedroht hätte! Wir gewähren ihnen weisungsgemäß Schutz und Nahrung, wie Sie sehen!«, konstatierte Peter mit vorwurfsvollem Blick.

      ›Dass dies gar keine notleidende Familie ist, die hier zufällig Schutz gesucht hat, das kann der dämliche Weiland ja nicht ahnen‹, dachte ich mir und grinste verstohlen in mich hinein.

      »Außerdem sollen wir nebenbei das Dienstgebäude vor Plünderung oder Verwüstung bewahren und jeden, der hier auftaucht, von der Inkraftsetzung der Notstandsgesetze informieren«, fuhr Peter mit viel Pathos in seinem Vortrag fort.

      »Von der totalen nächtlichen Ausgangssperre muss ebenso jeder Bürger erfahren wie von der Warnung, dass mit Plünderern ab sofort rigoros kurzer Prozess gemacht wird. Wir sind immer noch Beamte der Stadt Bayreuth, und damit für diese Aufgabe bestens geeignet.

      Wie Sie wissen, können derart wichtige Nachrichten ohne Nutzung von Fernsehen, Internet und Radio nur noch sehr schwierig und langsam unter der Bevölkerung verbreitet werden! Deshalb gehen wir immer wieder in Gruppen hinaus, um auch die Menschen auf der Straße zu erreichen.«

      Weiland blieb zunächst einmal jede bösartige Erwiderung im Halse stecken, er schien krampfhaft zu überlegen. Schließlich fand er seine Fassung wieder, setzte den gewohnt blasierten Gesichtsausdruck auf.

      »Ist ja schon gut, in Ordnung! Dann machen Sie mal besser weiter so! Diese Außenstelle muss aber unbedingt geöffnet bleiben, und zwar rund um die Uhr, ist das klar? Und lüften Sie mal durch, es riecht nach Ausdünstungen!«

      Peter grinste unverhohlen und salutierte markig. »Jawohl, Sir!

      Wie Sie wünschen, Sir!«

      Frieder Weiland entfernte sich kopfschüttelnd; aber nicht, ohne noch einen vernichtenden Blick auf Peter abzuschießen. Dann war er aus unserem Blickfeld verschwunden.

      »Mein lieber Schwan!«, sagte ich anerkennend. »Du kannst von großem Glück reden, dass du nicht Pinocchio bist! Deine lange Nase würde sonst jetzt mindestens bis hinüber nach Bindlach reichen!«

      Schallendes Gelächter bestätigte, dass die Kollegen sich wohl Ähnliches gedacht hatten und Peter für seine Demonstration von Münchhausens Künsten ebenfalls sehr dankbar waren.

      »Reife Leistung, Alter!«, bemerkte Hausmeister Klaus bewundernd und klopfte Peter derb auf die Schulter, während alle anderen zustimmend nickten. »Ich dachte schon, ich müsste diesem Lackaffen gleich meine Schlüssel übergeben! Wie ihr wisst, ist das Hauptamt mir gegenüber leider durchaus weisungsberechtigt. Im Grunde genommen hat Frieder Weiland also sogar das Hausrecht!« Puh, das war ja noch einmal gut gegangen! Selbst wenn Frieder uns nachher beim Katastrophen-Stadtbummel entdecken würde, na und? Dank Peters Märchen würde er denken, wir seien ausgeschwärmt, um unsere Mitbürger von der Ausgangssperre zu informieren. Einfach genial, dieser Schachzug.

      Frieder hatte vor lauter Verwirrung nicht einmal das Mittelalter-Lager im Tresorraum oder den Feuerkorb samt Kochkessel auf Walters Terrasse entdecken können. Diese außergewöhnlichen Gegenstände hätten wir schließlich auf gar keinen Fall nachvollziehbar mit dienstlichen Belangen erklären können! Wir waren dem Hinauswurf nur um Haaresbreite entgangen.

      Dieser Tag hielt jedoch noch mehr psychisches Ungemach bereit, was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnten. So freuten sich meine Kollegen unbändig darauf, nach all der Stubenhockerei endlich einmal hinaus an die frische Luft zu kommen und holten eifrig Schals, Mützen und Handschuhe aus ihren Zimmern.

      Ich hingegen entschuldigte mich bei Peter, um nicht mit in die Stadt gehen zu müssen. Ich wollte lieber die Geschichte des Vormittags gleich detailliert aufschreiben, damit sie mir noch frisch genug im Gedächtnis haftet.

      Peter zeigte sich mit diesem Vorschlag gleich einverstanden. Er hatte sowieso anregen wollen, dass mindestens einer hier zurückbleiben solle, schon um auf alles aufzupassen, oder für den Fall, dass Frieder zurückkäme. Ich möge zum Schreiben nur bitte hier unten in der Lobby bleiben, meinte er zum Abschied. Gerade vor fünf Minuten bin ich mit den Aufzeichnungen fertig geworden


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