EMP. Andrea Ross

EMP - Andrea Ross


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oder die Polizei wird es tun, oder … ich eilte zurück zu Ecki, um ihm die freudige Nachricht zu überbringen. Doch der verrückte Ecki war spurlos verschwunden, auch in seiner Wohnung konnte ich ihn nicht auftreiben.

      Als ich sinnierend vor seiner verschlossenen Wohnungstüre stand, fiel mir siedend heiß eine grobe Ungereimtheit auf. Wieso war eigentlich Marthas Wohnungstür offen gestanden, warum hatte Ecki überhaupt Zugang zur Wohnung gehabt und die Frau da drin auffinden können? Vom Treppenhaus aus hätte man sie in all der Unordnung auch gar nicht entdeckt!

      Ich konnte mich nicht erinnern, dass Ecki jemals irgendetwas mit Martha zu tun gehabt hatte, denn die beiden pflegten stets bloß mit abschätzigen, teilweise vermutlich frei erfundenen Geschichten über einander herzuziehen. Die ASO-Tante und der UFO-Freak. Es mutet höchst unwahrscheinlich an, dass Ecki seine soziale Ader entdeckt und sich für Marthas Wohlbefinden interessiert haben könnte. Und jemand, der bewusstlos ist, öffnet schließlich keine Wohnungstüren.

      Mich beschlich ein schrecklicher Verdacht! Konnte es nicht ebenso gut möglich sein, dass der hungrige Ecki von Martha Lebensmittel abstauben wollte, die beiden darüber in Streit gerieten und Handgreiflichkeiten zu Marthas Sturz führten? Sie musste ihn selbst in die Wohnung gelassen haben, da bestand für mich kein Zweifel.

      Ecki hatte mir vor Monaten einmal erzählt, er sei aufgrund von »Missverständnissen« schon zweimal wegen schwerer Körperverletzung angezeigt worden. Ich hatte damals still in mich hineingelacht und mir bildhaft vorgestellt, dass er wahrscheinlich seine Opfer für Außerirdische gehalten haben mochte und die Faustschläge für notwendig hielt, um die Welt vor einer Invasion zu retten. Bei Ecki wusste man außerdem nie, welche Geschichten ins Reich der Fantasie gehörten.

      Aber jetzt, nach Marthas mysteriösem Tod, sah ich Eckis Verhalten in einem etwas anderen Licht. Zumal er sich sang und klanglos in einem unbeobachteten Moment einfach abgesetzt hatte.

      Ich beschloss, endlich zum Rathaus hinüber zu wandern. Vielleicht konnte ich mit Peter oder Alexandra über die Sache sprechen. Auch um sicherzugehen, dass ich aufgrund meines überreizten Gefühlslebens keine Fehlschlüsse aus dem Erlebten zog. Seit die Welt aus den Fugen geraten war, konnte mir die permanente Überforderung ziemlich zusetzten und seltsame Denk-Effekte auslösen.

      Eine Entscheidung hatte mir der wahnsinnige Ecki jedoch bereits dankenswerterweise abgenommen: ich würde nun auf jeden Fall am Rathaus-Camp teilnehmen. Die Aussicht, mit einer Leiche und einem mutmaßlich verrückten Mörder im Haus zu leben, erschien mir wenig attraktiv.

      Nach einer kleinen Pause geht es weiter! Ich packe jetzt meine Sachen für morgen zusammen; meinen Schlafsack, den Inhalt meiner Hausapotheke, ein paar Klamotten und sonstige persönlichen Gegenstände. Wenn es erst noch dunkler in der Wohnung wird, ist das Auffinden der Sachen sicher nicht mehr so einfach. Außerdem werde ich die Eingangstür verbarrikadieren. Wegen Ecki, dem ich vorsichtshalber nicht mehr über den Weg traue. Falls er es wirklich getan hat, könnte er mich als Zeugin ebenfalls beseitigen wollen. Man weiß nie, was in einem kranken Gehirn wie dem seinen so vorgeht, nicht wahr?

      *

      Als ich nach meinem anstrengenden Fußmarsch beim Rathaus ankam, fiel mir sofort auf, dass es dort viel zu ruhig war. Kein Mensch saß in der Lobby, die Glastür hatte man versperrt. War ich zu spät eingetroffen, hatte sich die Versammlung bereits aufgelöst? Schon bahnte sich wieder bitteres Selbstmitleid seinen Weg durch mein arg strapaziertes Gehirn. Was für ein mieser Tag!

      »Gabi? Komm, hier sind wir!«, hörte ich Alexandras Stimme. Sie kam über den mit Raureif überzogenen Rasen gelaufen, was seltsame Raschel-Geräusche verursachte. Sie nickte mir zu und signalisierte, ich solle ihr bitte folgen.

      Wir bogen soeben um die Hausecke, als mir Brandgeruch in die Nase stieg. »Ist eisig kalt heute! Da haben wir uns gedacht, ein Feuer könnte bestimmt nicht schaden!«, erklärte Alexandra lächelnd. »Wo hast du denn heute dein Fahrrad gelassen?«

      »Ist eine lange Geschichte!«, knurrte ich. »Die erzähle ich dir nachher, wenn ich mich ein bisschen ausgeruht und beruhigt habe.«

      Meine Kollegin Alexandra zeichnet es von jeher aus, dass sie jede Menge Taktgefühl besitzt, immer die richtige Dosis von Distanz und Nähe findet. Sie spürt, wann man lieber nicht reden möchte, oder wann man für Scherze, Anregungen oder Zuspruch empfänglich ist. Niemals drängt sie sich auf, und niemals nervt sie einen im falschen Moment. Deswegen mag ich sie auch so gut leiden, suche oft ihre Nähe.

      Auch in diesem Moment akzeptierte sie auf Anhieb, dass ich momentan keine weiteren Informationen von mir geben möchte. Sie legte mir nur die Hand auf die Schulter und schob mich in die Richtung von Walters Terrasse, um welche wir anderen Bediensteten ihn stets beneidet hatten.

      Das Rathaus II ist eigentlich ein früheres Schwestern-Wohnheim, denn es befindet sich auf dem Gelände eines ehemaligen Krankenhaus-Komplexes, der aufgegeben wurde, als das neue hochmoderne Klinikum an anderer Stelle in Betrieb ging. Seither sind in den alten Gebäuden auf dem weitläufigen Park-Gelände diverse Behörden, unter anderem auch die Außenstelle des Rathauses, untergebracht.

      Oft haben wir uns darüber aufgeregt, dass man uns in dieses etwas heruntergekommene, teilweise nur notdürftig renovierte Schwestern-Wohnheim gesteckt hat. Andererseits bringt das aber auch Vorteile mit sich, welche die Kollegen in der Innenstadt nicht genießen können.

      So verfügt beispielsweise jedes Zimmer über ein eigenes Waschbecken und jedes Stockwerk über einen geräumigen Balkon, auf den man sich zum Rauchen zurückziehen kann. Einem großen Eckzimmer im Erdgeschoss, welches zum Versicherungsamt gehört, ist sogar eine breite Terrasse angegliedert.

      Blickdichte Büsche umrahmen diese mit Waschbetonplatten gepflasterte Außenfläche. Genau deswegen wurde sie in der Vergangenheit gerne für Sektempfänge genutzt, wenn Kollegen ihren Geburtstag feierten oder einen der Chef einfach zwischendurch nicht finden sollte. Zimmerinhaber Walter stellte »seine« Terrasse dann stets großzügig zur Verfügung und rauchte selber gerne mal ein Zigarillo an der frischen Luft.

      Auf eben dieser Terrasse war nun ein Feuerkorb aufgestellt worden, der neben ergiebigen Rauchschwaden auch heimelige Wärme verströmte. Ich zählte 14 Kollegen und Kolleginnen, die munter plaudernd drum herum standen und sich die Hände wärmten. Auch eine Schnapsflasche machte die Runde, weshalb ich mich unwillkürlich an eine Horde von Wermut-Brüdern erinnert fühlte, die rund um eine brennende Penner-Tonne steht und ausgiebig ihrem Alkoholismus frönt.

      »Auch mal? Wärmt schön durch!« Walter Zimmerer kam mit der Pulle auf mich zu, wollte sie mir in die Hand drücken.

      Ich schüttelte den Kopf. »Nee, lieber nicht. Mein Kreislauf ist nämlich ein bisschen schwach, weil ich nichts im Magen habe. Da käme Alkohol jetzt nicht so gut, fürchte ich!«

      »Sag das doch gleich!« Alex verschwand in Walters Zimmer, kam kurz darauf mit zwei Müsli-Riegeln und einer Packung Gummi-Erdbeeren zurück.

      »Wir haben auch schon was gegessen, du bist bloß zu spät aufgetaucht!«, lachte sie. »Wirst sehen, das hilft, es wird dir gleich besser gehen! Und dann würde ich an deiner Stelle sehen, dass du doch noch ein Schlückchen vom Wodka abbekommst. Das hilft echt gut gegen die saumäßige Kälte!«

      Ich musste mich krampfhaft bemühen, nicht alles einfach hinunterzuschlingen, sondern langsam und mit Bedacht zu essen. Hatte ich denn jemals so etwas Leckeres verspeist, war es wirklich erst wenige Tage her, dass solche Genüsse ganz einfach und jederzeit zu haben waren? Wieder befiel mich ein Gefühl der Unwirklichkeit, als würde ich all das nur träumen.

      Langsam kehrten meine Lebensgeister zurück, ich fühlte mich besser und nach einigen Schlucken Alkohol auch leichter, unbelasteter. Das seltsame Beamten-Biwak machte fast schon Spaß, ich lebte im Augenblick und genoss die Sonne und die trockene Wärme des lodernden Feuers.

      Später sprach ich noch mit Peter und Alexandra über meine Erlebnisse vom Vormittag. Beide teilten meine Bedenken und Vermutungen über Ecki, hielten diesen Zeitgenossen wegen einer sehr wahrscheinlichen Geisteskrankheit für unberechenbar und gefährlich. So kamen wir schnell überein, dass ich schon morgen mit Sack und


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