Liberale Demokratie in schwierigen Zeiten. Jens Hacke
ausgerechnet der systemtheoretisch geschulte Soziologe Kaube zum Biographen wird, setzt produktive Energien frei. Sein skeptischer Blick auf Weber, der erst einmal respektlose Zugriff, mit dem Kaube die Eigentümlichkeiten des Weberschen Denkens auseinanderfaltet, scheinen dem Autor seinen Protagonisten am Ende überraschend nahe zu bringen. Im Verzicht auf Geniekult und Pathos gerät auch Kaube in den Sog eines Denkstils, der als Reflexion in Permanenz das Wesen der modernen Welt zu entschlüsseln sucht – nicht mit einer Großtheorie, sondern mit unermüdlichem Erkenntniseifer, historisch und kulturell vergleichendem Blick, Entwicklung von Begriffen und Kategorien, mit der Bereitschaft zur Modifikation früherer Positionen. Womöglich ist Webers heroisches Scheitern bei dem Versuch, die moderne Gesellschaft als Ganzes zu verstehen, intellektuell doch faszinierender als ein ausgekühlter Luhmannianismus, der alles in seine Systembeschreibungen einbaut, ohne den Einfluss von Ideen und Handlungsoptionen noch berücksichtigen zu müssen.
Webers äußerlich eher ereignisarmes Leben scheint – übrigens ohne tiefergehende Interpretationsdifferenzen – nach diesen drei umfassenden biographischen Arbeiten erschöpfend ausgeleuchtet. Alle Details zum Stammbaum und zur Inneneinrichtung findet man bei Kaesler ohnehin. Radkau und Kaube blicken darüber hinaus zumindest kursorisch auf die Wirkungsgeschichte – und es gibt wenig Anzeichen dafür, dass mit der Historisierung von Leben und Werk das Eigen- und Fortleben von Webers Ideen erledigt wäre. Ein besonderer Reiz läge darin, beispielsweise entlang der Linien einer politiktheoretischen Rezeption Webers eine bundesrepublikanische Ideengeschichte zu entwerfen: zwischen Entscheidungstheorien und Sachzwanglogiken, Konsens- und Konflikttheorien. Ähnliches gilt für die Anverwandlung einer Weberschen Diagnose der Moderne innerhalb der posthistorisch orientierten und wirklichkeitsversessenen Soziologie, wie sie vor allem in den Reihen der Leipziger Schule (Freyer, Gehlen, Schelsky) vertreten wurde. Auch die Debatte um Industriegesellschaft oder Spätkapitalismus steht noch im Schatten Webers. Viele andere religionssoziologische oder wirtschaftsgeschichtliche Nachgeschichten um Weber böten sich an. Während für den privaten Weber im Geflecht seiner Frauen, Krankheiten und Neurosen kaum noch sensationelle Neuigkeiten zu erwarten sind, lehren uns die Auseinandersetzungen mit und über Weber bis heute, ob und wie weit wir uns von ihm entfernt haben. Das muss nicht immer Fortschritt sein, schult aber nach wie vor die Bereitschaft, nach Webers Vorbild wissenschaftlich Rechenschaft abzulegen.
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