Liberale Demokratie in schwierigen Zeiten. Jens Hacke

Liberale Demokratie in schwierigen Zeiten - Jens Hacke


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fehlte jedes Gespür für parteitaktische Manöver und strategisches Handeln, sein Temperament ließ sich schwer zügeln. Die Autorität seiner politischen Urteilskraft blieb davon jedoch unberührt. Weber hinterließ nach seinem frühen Tod an den Folgen einer Lungenentzündung im Sommer 1920 bleibenden Eindruck bei einer Reihe jüngerer Gelehrter wie Theodor Heuss, Karl Jaspers, Karl Loewenstein, Karl Löwith, Helmuth Plessner oder Carl Schmitt. Seine Elitentheorie der Demokratie, die Parteienwettstreit und Parlamentarismus als Methode der geeigneten Führerauslese wertschätzte und am Ende seines Lebens eine Wendung zum plebiszitär legitimierten charismatischen Führer nahm, lieferte Argumente für Vernunftrepublikaner, die sich nicht umstandslos von der Vorstellung eines personalen Regiments lösen konnten. Die durch Direktwahl bedingte starke Stellung des Reichspräsidenten im Verfassungsgefüge der ersten deutschen Demokratie verdankt sich nicht zuletzt den Vorstellungen Webers. Aber war er deswegen der Ahnherr des plebiszitären Führerstaates?

      Die Fragen, wie sich Weber in den bewegten Jahren der Weimarer Republik positioniert und wie er sich gegenüber dem Nationalsozialismus verhalten hätte, haben von jeher die Phantasie der Ideengeschichte angeregt. In der Phase einer kritischen Aufarbeitung des deutschen Sonderwegs überwog die Verurteilung von Webers Nationalismus und die Skepsis, ob sein Einfluss auf das politische Denken in Deutschland denn so segensreich war. Wolfgang Mommsen hatte in seiner bahnbrechenden Studie über Max Weber und die deutsche Politik (1959) seine Orientierung am nationalen Machtstaat und die damit einhergehende Vernachlässigung demokratischer Grundwerte herausgearbeitet. Damit benannte er einen wunden Punkt: In der Tat lässt sich bei Weber kaum etwas für eine normative Theorie der Demokratie lernen, und seine kühle Diktion favorisiert die charismatischen Entscheider, verzichtet aber weitgehend auf moralische Leitlinien, partizipative Elemente und eine Aufgabenbestimmung des sozialen Rechtsstaates. Der junge Jürgen Habermas konnte anlässlich der Tagung zum hundertsten Geburtstag im Jahr 1964 noch von der unheilvollen Wirkung eines „militanten Spätliberalismus“ sprechen und kam nicht daran vorbei, „daß Carl Schmitt ein legitimer Schüler“ beziehungsweise, wie er sich verbesserte, „ein ‚natürlicher Sohn‘ Max Webers“ war.

      Der Umgang mit Weber hat sich deutlich entspannt. Derjenige, der in überzogener Drastik die Verantwortungsethik gegen die Gesinnungsethik absetzte – und selbst von politischer Leidenschaft getrieben blieb –, wird nun nicht mehr über Gebühr zur Verantwortung für Deutschlands Weg in die Katastrophe gezogen. Wie unsinnig eine derartige Personalisierung wäre, kann man übrigens bei Weber lernen. Er hatte stets auf die Kulturbedeutung von Religion, Ideen und Ideologien gepocht, die eben in sozialen Formationen wirksam werden, aber nicht als Schöpfung großer Einzelner zu begreifen sind. Webers Leben bietet – das läßt ihn neben Thomas Mann noch einmal als einen der letzten großen Vertreter des klassischen Bürgertums erscheinen – den Stoff für einen Bildungsroman. Auch die neueren Biographien von Jürgen Kaube und Dirk Kaesler präsentieren Weber als eine Person, deren übersensibler und wacher Intellekt die Spannungen eines Zeitalters sichtbar macht. Er muss Abschied nehmen vom klassenbewussten großbürgerlichen Hochmut und geht im Laufe seines Lebens auf Abstand zu den forschen Generalisierungen eines bornierten Wilhelminismus. Die Komplexität der Moderne ist für ihn nur durch eine gedankliche Anstrengung zu erfassen, die Ambivalenzen und Widersprüche verarbeitet, wo das Gute, Heilsbringende zugleich problematisch wird und der Mensch immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten der Kompensation und der Korrektur von unerwarteten Nebenfolgen bleibt.

      Webers tragisches Pathos fasziniert uns hundert Jahre später immer noch. Gutmenschentum, Moralismus und Idealismus verachtete er zwar mit übertrieben anmutender rhetorischer Härte – nichts war ihm verhasster als der politisierende „Literat“ –, aber seine Frage nach den Freiheitsräumen des Einzelnen, dessen Schicksal unentrinnbar dem Kapitalismus und den bürokratischen Staatsapparaten ausgeliefert war, bleibt von evidenter Aktualität. Die sich akkumulierenden Sachzwänge der industriellen Massengesellschaft hat er als gelehriger Leser von Karl Marx früh gesehen, und er war umsichtig genug, die politischen Konflikte nicht allein aus materiellen Interessen und den Produktionsverhältnissen zu erklären. Aber was blieb dem Individuum aus Webers Sicht übrig? Heroische Selbstbehauptung, die Wahrung eines letzten persönlichen Entscheidungsraumes oder ein Restbestand von demokratischer Freiheit, die in der „Unterordnung unter selbstgewählte Führer“ bestünde? Sein rettender Glaube richtete sich auf den charismatischen Politiker, der tatsächlich noch zur Entscheidung und politischen Führung in der Lage sein sollte. Schon Joseph Schumpeter hatte sich von dieser Erlösungssehnsucht entfernt und seine „realistische Demokratietheorie“ im Sinne eines marktkonformen Konkurrenzmodells entwickelt, in dem oberflächliche Werbungsmechanismen die letzten Wertentscheidungen, die Weber so wichtig waren, verdrängten.

      Webers Platzierung im (spärlich besetzten) Pantheon des deutschen Liberalismus zeigt uns auch, dass das Verständnis von Politik stetiger Historisierungsanstrengungen bedarf. Kampf, Wettstreit, Selbstbehauptung – diese heroische Attitüde Webers wirkt im Zeitalter eines politisch korrekten Konsensliberalismus antiquiert. Gleichzeitig machten wir es uns zu leicht, würden wir den Weberschen Tugendkatalog vorschnell entsorgen und seine altertümlich wirkende Frage nach dem „Menschentum“ in der Moderne gleich mit entrümpeln. Die große Frage, wie der Mensch in selbstgeschaffenen Strukturzwängen handlungsfähig und frei zur Entscheidung bleibt, behält ihre Aktualität. Weber mag sich nicht um eine normativ avancierte Definition von Freiheit oder sozialer Gerechtigkeit gekümmert haben; er wollte das So-Gewordensein der modernen Welt begreifen, warb für eine „Realpolitik auf dem Boden des nun einmal unabänderlich Gegebenen“, anstatt auf politische Handlungsempfehlungen aus dem Korsett einer geschlossenen politischen Theorie zu hoffen. Webers politisches Denken ist konstellationsabhängig und kontingenzbewusst, und nachdem der Glaube an die alleinseligmachende Kraft der Theorie, die den Schlüssel zur Lösung der Weltproblem liefern sollte, langsam verpufft ist, wirken auch Webers mächtige Grundbegriffe wie Urteilskraft, Lebensführung, Verantwortung, Herrschaft nicht mehr ganz so archaisch. Dass es in der Politik auf persönliche Orientierung, auf die Rechtfertigung von politischen Handlungen im Blick auf klar formulierte Ziele und auf Haltung ankommt – dieser Maßstab Webers darf weiterhin Gültigkeit beanspruchen.

       Weber-Biographik – neuere Forschungen

      „Die wissenschaftliche Arbeit ist eingespannt in den Ablauf des Fortschritts“, wusste Max Weber, denn jede Forschung warte auf Revision, werde überholt und mache neuen Einsichten Platz. Diesen ungebrochenen Glauben an die Perfektabilität wissenschaftlicher Erkenntnis wird man im Hinblick auf die Geisteswissenschaften oder gar für das Genre der Biographik nur schwer aufrechterhalten wollen. Die Verbreiterung der Quellenlage und des Faktenwissens bietet noch keine Garantie dafür, dass eine neue Interpretation überzeugender gelingt. Ganz davon abgesehen, dass das Narrativ eines Lebens der Dramatisierung, Wendepunkte und Leitmotive bedarf, bleibt auch die werkbiographische Deutung von der Perspektive und den Fragen der eigenen Zeit geprägt. Maßstäbe verschieben sich. Klassiker durchlaufen verschiedene Rezeptionswellen und Neuentdeckungen; für wenige moderne Autoren gilt dies so sehr wie für Max Weber. Als Theoretiker der Rationalisierung und Bürokratisierung, Schöpfer soziologischer Grundbegriffe, der Herrschafts- und Religionssoziologe, Künder des politischen Charismas, Erfinder des Idealtypus und Streiter für die Offenlegung der Werturteile in der Wissenschaft lieferte er à la mode das jeweilige Methodenbesteck. Mit Weber als Giganten der Sozialwissenschaft ließ sich Wirklichkeit durchdringen, Objektivität und Rationalität sichern, das galt vom Proseminar bis zur Doktorarbeit. Der Rationalitätspionier moderner Wissenschaftlichkeit konnte säuberlich vom leidenschaftlich-nationalen Publizisten getrennt werden, für die Einsicht in den okzidentalen Rationalismus waren Kenntnisse um die labile psychische Konstitution des Theoretikers nicht erforderlich, zumal dessen Lebensumstände in den Grundzügen aus dem von seiner Gattin Marianne verfassten, heroisierenden „Lebensbild“ (1926) bekannt waren. Weber war einerseits der unbestrittene Fixpunkt in einer postgeschichtsphilosophischen Epoche des Theorie- und Methodenglaubens, als die Historische Sozialwissenschaft Bielefelder Prägung reüssierte. Andererseits eignete sich sein politisches Denken, wie spätestens Wolfgang J. Mommsens großartige Studie zu Max Weber und die deutsche Politik (1959) zeigte, zur umfassenden Auseinandersetzung mit dem Sonderweg des deutschen Liberalismus. War Weber doch ein „militanter Spätliberaler“ (Habermas), der die Bahn für den plebiszitären


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