Liberale Demokratie in schwierigen Zeiten. Jens Hacke

Liberale Demokratie in schwierigen Zeiten - Jens Hacke


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nährt. Fremdenhass, Antisemitismus, Verschwörungstheorien und dumpfer Geschichtsrevisionismus haben sich kaum gewandelt.

      Natürlich reicht allein das Glaubensbekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung kaum aus. Sie ist ein fragiles Gut, und unsere Demokratie wäre nicht in gefährdeter Lage, wenn sie keine Schuld an ihrem derzeitigen Zustand trüge. Das Register der Fehlentwicklungen ist lang: die Technokratie der Europäischen Union, die neoliberale Inkaufnahme wachsender sozialer Ungleichheit, der fehlende Mut zum Entwurf des guten Lebens in einer künftigen ökologisch verantwortlichen Gesellschaft, die verspäteten Anstrengungen sozialer und politischer Integration von Zuwanderern, die Versäumnisse in der Prävention und Steuerung globaler Migration.

      Die Stärke der liberalen Demokratie liegt darin, dass sie verbesserungs- und lernfähig ist. Garantien für ihren Bestand gibt es nicht. Die Einsichten der Weimarer Denker bleiben aktuell, weil sie die Existenzkrise der Demokratie durchdachten. Bei ihnen ging es ums Ganze, und sie erinnern uns daran, wie voraussetzungsreich das Projekt der liberalen Demokratie bis heute tatsächlich ist. Daraus lässt sich Kraft schöpfen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie viel besser die gegenwärtige Lage und wie viel kreativer Spielraum für demokratische Politik eigentlich vorhanden ist. Demokratie war in Weimar und ist auch im 21. Jahrhundert ein Versprechen auf die Zukunft, getragen von Hoffnungen auf Verbesserung, mit dem Blick für Fehlentwicklungen und im Streit um Alternativen. Nötig bleibt der Mut, die demokratische Gesellschaft weiterzuentwickeln, lebenswerter zu machen und dabei die Freiheit entschlossen zu schützen.

      In diesem Sinne handeln die hier versammelten Beiträge von der Idee der Demokratie, die sich in Krisenzeiten auf ihren Kern zurückbesinnt und gleichzeitig nicht aufhört, eine bessere Zukunft zu entwerfen. Zwar verbinden wir die liberale Demokratie stets mit grundlegenden Wertvorstellungen wie Freiheit, Gleichheit, Selbstbestimmung, Toleranz, Pluralität, Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit. Doch die Ausgestaltung dieser Werte in der konkreten lebensweltlichen Praxis – die Prägung der Demokratie als Lebensform – verändert sich. Entscheidend bleibt das Gleichheits- und Gerechtigkeitsversprechen der Demokratie, denn die Ermöglichung von Chancen und die Emanzipation der Benachteiligten sind die Motivationsressourcen für demokratische Gesellschaften, die sensibel ihre Wahrnehmung für Unrecht und Diskriminierung schärfen müssen. Die Auseinandersetzung mit den liberalen Demokraten der Weimarer Republik kann dabei helfen.

      Die vorgelegten Studien sind ideengeschichtlich ausgerichtet. Ihr Fluchtpunkt bleibt in vielerlei Hinsicht die Gegenwart, aber sie folgen dem Ansatz, dass die Beschäftigung mit politischen Ideen sowohl den historischen Abstand als auch eventuelle Strukturanalogien heutiger Krisenreflexion verdeutlichen muss. In der Mehrzahl sind die Texte nach der Publikation meines Buches Existenzkrise der Demokratie entstanden, um einzelne Aspekte zu vertiefen und noch einmal neu zu belichten. Ich danke Irmela und Axel Rütters für die Initiative zu diesem Buch und für den fruchtbaren Ideenaustausch der letzten Jahre. Christoph Claussen danke ich sehr für die kritische und genaue Durchsicht des Textes, meiner Schwester Vera Hacke für einen gewohnt akribischen abschließenden Korrekturgang, den sie trotz ihrer eigenen Verpflichtungen auf sich nahm.

      Gewidmet ist dieser Band dem Andenken Hans-Christoph Schröders, einem großartigen Historiker und warmherzigen Freund über zwei Jahrzehnte.

Orientierungen

      Der Liberalismus zwischen Erneuerung und Existenzkrise

      Will man die Novemberrevolution in Deutschland angemessen begreifen, so verdienen die Hoffnungen und Erwartungen der Zeitgenossen besondere Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich gab es wenige Momente in der deutschen Geschichte, in denen optimistischer Aufbruch und Resignation eine derart spannungsvolle Melange eingingen wie in der Gründungsphase der Weimarer Republik. Dies galt vor allem für das sehr heterogene Lager des politischen und intellektuellen Liberalismus.

      Der Historiker hat es mit der Evaluation von Handlungsspielräumen und Alternativen zu tun, und sicherlich wäre in politischer Hinsicht vielerlei über verspielte Chancen und verpasste Möglichkeiten zu sagen. Natürlich liegt es nahe, hier eine Geschichte des Versagens liberaler Politik zu erzählen. Sie ist hinreichend bekannt: Wir haben es uns angewöhnt, Weimars Ende mit der Erosion der bürgerlichen Mitte und dem politischen und geistigen Niedergang des Liberalismus zu verknüpfen.1

      Aber in den letzten Jahren hat sich eine Perspektivverschiebung ergeben. Die erste deutsche Demokratie wird nicht mehr allein als Geschichte des Scheiterns erkundet, sondern die Errungenschaften, die Entwicklungsmöglichkeiten und die mit ihr verbundenen Neuanfänge werden stärker ins Blickfeld gerückt.2 Oder, um es anders zu wenden: Es war nicht selbstverständlich, dass trotz vielfältiger Belastungen überhaupt eine demokratische Ordnung entstehen konnte.

      Arnold Brecht, ein republikanischer Ministerialbeamter und späterer Politikwissenschaftler, hat diesen Blickwechsel schon viel früher gefordert: „Das eigentlich Erstaunliche“, bemerkte Brecht zur Gründungsphase Weimars in seinen Memoiren, „ist nicht, daß dreizehn Jahre später die demokratische Verfassung in Deutschland zusammenbrach, sondern daß das nicht schon viel eher geschah.“ Statt nach Sündenböcken zu suchen, wäre es logischer, sich zu vergegenwärtigen, „welche Ereignisse und Personen dazu beigetragen haben, daß die demokratische Republik trotz des Widerspruchs zwischen den Spielregeln und den tatsächlichen Mehrheitsverhältnissen so lange funktionieren konnte“.3

      Wir haben es also mit einer komplizierten Gemengelage zu tun: Vor dem Hintergrund der alsbald schwindenden Unterstützung für die Weimarer Koalition, ist die Verfassungsschöpfung aus der Revolution und die vorübergehende Stabilisierung innerhalb massiver Krisen außenpolitischer, innenpolitischer und ökonomischer Art das erklärungsbedürftige Faszinosum. Überhaupt gilt es daran zu erinnern, dass das liberale Momentum der Republikgründung zunächst gar nicht absehbar war. Immerhin war es die politische Linke, die im Rat der Volksbeauftragten und auf der Straße die Novemberrevolution prägte, während sich die bürgerliche Mitte erst einmal in der Defensive befand.

      Insofern erscheint es gerechtfertigt, sich mit den Chancen, dem Neuen und auch den Wagnissen derer zu beschäftigen, die wir zum Kreis der Liberalen zählen können. Dabei werde ich den Liberalismus aus ideengeschichtlicher Perspektive behandeln und die politische Ereignisgeschichte und die komplexe Transformationsgeschichte der liberalen Parteien eher vernachlässigen.

      Ich möchte dabei in vier Schritten vorgehen: Zunächst will ich versuchen zu erläutern, in welcher Weise wir überhaupt von Liberalismus als einem Sammelbegriff in der Novemberrevolution sprechen können; in einem zweiten Abschnitt möchte ich mich dann mit dem besonderen Spannungsverhältnis zwischen Liberalismus und Demokratie beschäftigen, um Weimar als Durchbruchphase zur liberalen Demokratie – etwas bis dato Neues – begreifen zu können. Drittens möchte ich auf den parteipolitischen Neuanfang unter „massendemokratischen“ Bedingungen eingehen, der in vielerlei Hinsicht revolutionär war, auch wenn der echte Aufbruch nur ein knappes Jahr dauerte. Viertens sollen aus ideengeschichtlicher Perspektive die langfristigen Innovationen des demokratischen Liberalismus in Weimar verdeutlicht werden, um am Ende zu einem knappen Fazit zu kommen.

       1. Zum Begriff des Liberalismus

      Es ist unmöglich, einen klar definierten Liberalismusbegriff zu präsentieren. Meiner Ansicht nach gibt es drei Möglichkeiten:

      Man nimmt erstens die Selbst- und Fremdbezeichnung der Zeitgenossen ernst und bezieht jeden, der von sich oder anderen als liberal bezeichnet wird, in die Untersuchung ein. Ein solches Vorgehen ist mit dem Problem konfrontiert, dass sich im Revolutionsjahr kaum jemand als liberal exponierte; der Begriff war verbrannt, galt als Relikt des 19. Jahrhunderts und gehörte gewissermaßen zu einer im Weltkrieg untergegangenen Epoche.

      Zweitens könnten wir uns den Parteien zuwenden, die nach allgemeinem Verständnis dem liberal-bürgerlichen Lager zugerechnet wurden (und bekanntlich auch nicht das Wort liberal im Namen trugen). Dies würde den Blickwinkel allerdings politisch einengen, denn der Liberalismus war stets eine unübersichtliche „Familie von Ideen und Verhaltensmustern“ (Sheehan), von


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