SONNENBRAND. Peter Mathys

SONNENBRAND - Peter Mathys


Скачать книгу
entwickeln. Wenn wir diese schöne Anlage tatsächlich zu unserem Stützpunkt machen, können wir es nicht beliebig geheim halten.«

      Roman hatte bisher nur zugehört. Langsam gewöhnte er sich daran, dass die Gespräche mit den Ameisen lautlos nur auf dem Weg der Gedankenübertragung stattfanden.

      Jetzt sagte er: »Den ersten Kontakt mit euch hatte Marnie heute am frühen Nachmittag. Seither ist viel geschehen, aber behördliche Anweisungen wurden noch keine erlassen. Da muss noch studiert, verhandelt, gestritten und beschlossen werden. Unterdessen können wir unsere Strategie entwickeln.«

      »Und die wäre?«, fragte Marnie.

      »Wir mobilisieren die Holos. Wir müssen eine positive Stimmung unter den einfachen Menschen erzeugen. Dann helfen sie uns, wenn wir sie brauchen.«

      »Wie?«, erkundigte sich Marnie.

      »Erstens: Die Ameisen sind freundlich und streben ein harmonisches Zusammenleben an. Zweitens: Sie brauchen Hilfe, weil ihrem Heimatplaneten wegen negativen galaktischen Strömungen der Untergang bevorsteht. Drittens: Sie haben Technologien entwickelt, die wir noch nicht kennen, und sie sind bereit, diese mit uns zu teilen. Stimmt das?«, wandte er sich an die beiden Ameisen.

      »Ja. Ich werde mir etwas einfallen lassen. Romans Strategie gefällt uns. Bis morgen sind wir auch voll handlungsfähig.«

      »Was heißt das?«

      »Wir müssen die Ankunft unserer Königin vorbereiten. Sie muss ihre Eier an einem sicheren Ort ablegen, dann kümmern wir uns um ihre Pflege bis zur Geburt unserer Jungen.«

      Roman schüttelte den Kopf. »Kann eure Königin mit ihrer Fortpflanzung nicht noch zuwarten, bis wir wissen, ob meine Strategie Erfolg hat? Es wäre sonst schade um die vielen Eier.«

      »Ja, das wäre es«, bestätigte die Ameise.

      5.

      Roman und Marnie fuhren mit dem Wohngleiter zurück. Die Dämmerung machte Fortschritte, der Himmel glühte golden, und im Gegenlicht erschienen ihnen die Häuser und die hohen Bäume wie schwarze Scherenschnitte. Roman verabschiedete sich, um mit einigen Spielleiterkollegen über die Ameisen zu reden. Marnie sah in einem Straßencafé ein paar Mitbewohner ihres Hauses. Die Stimmung war ausgelassen, das Thema waren die Ameisen. »Mir gefallen die großen viel besser als die kleinen, die nur beißen«, erklärte Bella, die Rothaarige. Jack, der Älteste der Runde, sagte: »Sie sind wie eine neue Art Haustiere, sauber und still. Komisch ist, wenn ich zu ihr spreche, egal was, bildet sich in meinem Kopf eine passende Antwort.«

      Marnie gesellte sich zu ihnen, die anderen machten ihr Platz. »Hast du unsere neuen Haustiere schon kennengelernt?«, erkundigte sich Jack. »Sie sind eher scheu.«

      »Ja, und ob!«, erwiderte Marnie. »Ich kann euch eine Geschichte erzählen, die ihr mir sofort nicht glauben werdet.«

      »Ich liebe Märchen«, erklärte Bella.

      »Schieß los, Märchentante«, lachte Jack.

      Marnie begann damit, wie sich in ihrer Spielwand ein Loch auftat und eine große Ameise daraus herauskletterte. Sie erzählte, wie sich in kurzer Folge weitere Ameisen aus dem Loch zu Boden fallen ließen, wie zwei Spielleiter vier Ameisen brutal erschlugen und sie die fünfte rettete, indem sie wissenschaftliches Interesse geltend machte. Es folgte das Treffen im Spielleiterhaus; die Kontroverse mit dem Aufseher Tschechoff, die unversöhnliche Gegensätze zutage brachte. Sie besann sich auf ihre Abmachung mit Roman und sagte:

      »Wenn ihr auf der Spielwand ›Herkunft der Ameisen‹ öffnet, seht ihr, dass sie von einem Sonnensystem kommen, das Beta Centauri heißt und ursprünglich von drei Planeten umkreist wurde. Ich sage ›wurde‹, weil die beiden inneren Planeten von einer kosmischen Katastrophe zerstört wurden und ihrem Heimatplaneten dasselbe Schicksal droht.«

      »Wie sind sie zu uns gelangt?«, wollte Jack wissen.

      »Sie beherrschen die Raumfahrt. Die Entfernung von ihrem System zu uns beträgt fünfhundertdreißig Lichtjahre. Technisch sind sie generell viel weiter als wir. Sie kommunizieren untereinander durch Gedankenübertragung, mit uns auch. Das ist eines der Wunder der Natur. Ein intelligentes Lebewesen braucht nicht die Gestalt eines Menschen, um intellektuelle Höchstleistungen zu erbringen.«

      »Was wollen sie von uns?«, fragte Bella und neigte sich nach vorne, um jedes Wort von Marnie zu verstehen. »Sie sind so niedliche Kerlchen.«

      »Sie brauchen Hilfe«, sagte Marnie. Sie erläuterte jetzt das Konzept, das beiden Seiten als machbar erschien. Die Ameisen brauchten einen Platz für bis zu fünftausend ihrer Artgenossen, um ihr zukünftiges Hauptquartier zu errichten. Im Gegenzug würden die Ameisen ihre technischen Errungenschaften mit Terra teilen. Marnie erzählte von der verlassenen Kaserne, die den Bedürfnissen der Ameisen geradezu ideal entspreche.

      »Im Übrigen müssen wir das Projekt in die Hände unserer Regierung legen, und zwar so rasch als möglich. Die wird dafür sorgen, dass die besten Wissenschaftler darauf angesetzt werden. Unser Feind ist Aufseher Tschechoff. Wir müssen verhindern, dass er unser Projekt zerstört, indem er solange Ameisen tötet, bis diese kein Interesse mehr haben und sich zurückziehen. Auch deshalb brauche ich Unterstützung von möglichst vielen Holos als Gegengewicht. Würdet ihr da mitmachen?«

      Jack schmunzelte. »Spannende Abwechslung zu unserem Alltag. Ich bin dabei.«

      »Ich auch«, rief Bella voller Begeisterung.

      »Und ich ebenfalls«, schloss sich Stefanie an.

      Marnie holte tief Atem. »Dann sprecht bitte mit euren Freunden und Wohngenossen, damit wir eine möglichst starke Truppe zusammenkriegen.« Sie machte eine Pause, dann: »Und noch etwas. Es gibt keine Geheimhaltung. Ihr wisst, dass wir Tag und Nacht überwacht werden. Aber bis jetzt haben wir nichts Unerlaubtes getan. Jemandem Hilfe zu leisten, ist positiv.«

      Wie als Quittung vernahm Marnie einen Klingelton von ihrer Uhr. Ein Kontrollblick zeigte einen Kurztext: »Einen roten Punkt für Mitwirkung bei einer unerlaubten Gruppenbildung. Einen zweiten roten Punkt für die Leitung einer unerlaubten Gruppe und die Anstiftung weiterer Personen zur Teilnahme.«

      Marnie lachte entspannt. »Bei den Ameisen wissen alle alles über alle. Nur Strafpunkte gibt es nicht. Davon sind wir nicht mehr sehr weit entfernt. Und wir haben Straf- und Pluspunkte.«

      Noch während sie sprach, klingelten die Uhren der anderen und zeigten jedem einen roten Punkt für die Teilnahme an einer unbewilligten Gruppe an.

      »So, das hätten wir«, frotzelte Bella.

      »Wir treffen uns morgen um sieben Uhr bei der Kaserne. Sagt es weiter.«

      6.

      Am nächsten Morgen stand Marnie um halb sechs Uhr auf. Von einem Wohngleiter ließ sie sich zur alten Militäranlage bringen. Was sie dort sah, raubte ihr fast den Atem. In der Mitte des Kasernenplatzes ragte ein mächtiger Haufen zum Himmel, zehn, vielleicht auch zwölf Meter hoch. Marnie ging näher heran und sah, es war ein riesiger Ameisenhaufen, auf dem Hunderte von Ameisen herumkletterten, ein Stück Holz oder einen Zweig hinauftrugen; andere krabbelten ohne Last wieder nach unten, um ein nächstes Bauteil zu holen. Auf dem Platz hatten sich Ameisenstraßen gebildet, auf denen die Ameisen ständig vom Kasernenhauptgebäude zum Ameisenhaufen weitere Teile anschleppten. Einmal sah Marnie, wie eine Gruppe von acht Ameisen versuchte, ein hölzernes Fensterkreuz nach oben zu bugsieren. Kurz danach entfernte sich eine Ameise von ihrer Ameisenstraße und trippelte zu Marnie.

      »Guten Morgen, Marnie«, dachte sie laut und deutlich.

      »Auch guten Morgen«, erwiderte Marnie und deutete auf den Haufen vor ihnen. »Ihr habt wohl die ganze Nacht daran gearbeitet.« Die Ameise ließ zum Zeichen der Zustimmung ihre beiden Fühler symmetrisch rotieren und bestätigte ein deutliches Ja.

      Marnie war besorgt. Sie fragte die Ameise: »Warum habt ihr euer Monument so schnell gebaut? Wir wollten doch warten, bis unsere Strategie tatsächlich funktioniert.«

      »Wir haben Nachricht erhalten,


Скачать книгу