SONNENBRAND. Peter Mathys

SONNENBRAND - Peter Mathys


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auf uns umzubringen. Ihr könnt so viele von uns töten, wie ihr wollt, es spielt keine Rolle. Wir können jederzeit zehn, oder hundert, oder tausend oder zehntausend zu euch schicken. Und wir sind zum Sterben geboren, ob früher oder später ist egal.«

      Marnie fragte: »Ihr seid Gedankenleser. Was wollt ihr von uns?«

      Die Antwort bildete sich als klarer Gedanke in ihrem Kopf: »Wir suchen ein Plätzchen, um ein Heim für etwa fünftausend von uns zu errichten.«

      Fünftausend Ameisen, entsetzte sich Marnie. Dieser Größe. Die können alles zerstören. Und wenn fünfzigtausend kommen? Die breiten sich überall aus, in unseren Häusern, auf den Straßen, krabbeln zwischen unseren Füßen herum, erschrecken unsere Kinder. Marnie sandte einen Blick zu den fünf Opfern der Spielleiter.

      »Wo kommt ihr her?«, dachte sie so deutlich, wie sie es vermochte. Das fünfte Insekt zuckte immer noch. Eine Nuance Mitleid schwang trotz allem in ihren Gedanken mit.

      »Von sehr weit.«

      Ihre Gedanken zeigten Marnie jetzt ein Stück Sternenhimmel, wie sie es von vielen Abendspaziergängen gewohnt war. Dann verengte sich ihr Blickwinkel auf einige wenige Sterne, dann auf einen einzigen. Schließlich sah sie drei Himmelskörper, die den Stern in unterschiedlichen Abständen umkreisten. »Planeten«, flüsterte die fremde Stimme in ihrem Kopf. Nun vergrößerte sich das Bild und rückte den innersten der drei Planeten in den Fokus. Nach einigen Sekunden explodierte er und verschwand als kleiner werdender Feuerball in den Weiten des Alls. Kurz danach explodierte auch der zweite Planet. Der dritte kam näher und blieb. »Unser Planet«, flüsterte die Stimme. »Er wird auch sterben.« Marnie sah große Wasserflächen, Gebirgszüge, Wälder, endlose grüne Wiesen, Flüsse. Das nächste Bild zeigte ein Flussbett, das sich, eingerahmt durch grüne Hügel, durch ein breites Tal schlängelte. Parallel zum Fluss zog sich ein graues Band. Marnie dachte sofort, es müsse sich um eine Straße handeln.

      »Ja«, flüsterte die Stimme.

      Auf der Straße und den Hügeln krabbelten endlose Ströme von Ameisen, Kolonnen und Einzelgänger teils gemeinsam, teils einer anderen Gruppe entgegen. Daneben gab es eine Art halbkugelförmiger Fahrzeuge aus hartem Material, die sich rechts auf einem Unterstreifen der Straße ebenfalls fortbewegten. Manchmal hielten sie an, dann stiegen eine Ameise aus und eine andere ein, und das runde Vehikel setzte seine Fahrt fort. Verblüfft stellte Marnie fest, dass sehr viele Ameisen auch flogen. Sie sah, wie eine von ihnen die Flügel entfaltete, dann mit großer Geschwindigkeit flatterte und am Ende mit einem kraftvollen Senkrechtstart davonschwirrte.

      Marnie setzte sich auf ein Sofa im Hintergrund des Spielzimmers. Romans Putztrupp, tonnenförmige Roboter mit Greifarmen und geräuschlosen Rädern, erschien und packte die toten Insekten in graue Säcke, die alsdann in der Abfalltonne verschwanden. Bei der noch lebenden Ameise winkte Marnie ›Halt‹ und sagte: »Lasst die hier. Ich brauche sie noch zu wissenschaftlichen Zwecken.«

      Als sie mit der Ameise allein war, fragte sie mit einem Gedankenstrahl: »Warum zeigst du mir das alles? Ich will nicht zu deinem Planeten reisen. Ich will überhaupt nichts. Ich möchte eigentlich, dass ihr alle wieder verschwindet, dorthin, wo ihr hergekommen seid.«

      Die Ameise drehte sich langsam zu Marnie und blickte sie aus ihren schwarzen Knopfaugen an. »Das wird nicht so einfach. Und du willst etwas von mir. Sonst hättest du zugelassen, dass ich ebenfalls entsorgt werde. Ich habe dir absichtlich gezeigt, wie wir leben. Du hast gesehen, dass wir von einer entwickelten Welt kommen. Wir haben eine Technik entwickelt, die der euren überlegen ist und die andererseits in eurer vierdimensionalen Welt gar nicht verstanden und beschrieben werden kann. Nimm als Beispiel die Gedankenübertragung. Du benutzt sie, wenn ich dabei bin. Bist du allein mit einem anderen Menschen, dann stehen dir nur deine kümmerlichen fünf Sinne zur Verfügung, aber die wunderschönen Verfahren der Zeitdilatation oder der Krümmung der Weltraumkonstanten sind euch nicht nur fremd, sondern ihr könnt sie nicht einmal denken.«

      3.

      Marnie war vierundzwanzig Jahre alt. Um ihr Aussehen kümmerte sie sich nicht, außer es gab einen wichtigen Grund, von diesem Grundsatz abzuweichen. Das geschah höchstens zweimal im Jahr, und dann bestand ihr Make-up aus einer Gesichtswäsche mit Seife und einer kurzen Behandlung ihrer Haare mit einem Kamm. Aber da ihre Figur schlank war und ihre Gesichtshaut sich zart anfühlte, war sie in jeder Gesellschaft, gleich welchen Alters, gerne gesehen. Und da sie in Wasserland freiwillig Meeresbiologie und genetische Biologie studiert hatte, begegnete man ihr stets auch überall mit Respekt.

      Der Gedankenaustausch mit der Ameise hatte sie viel Energie gekostet. Sie ging in ihr Ankleidezimmer, um sich auf ihre Art für den Ausgang herzurichten. Die Ameise lag reglos in einer Ecke des Spielzimmers. Die Spielwand meldete sich und fragte Marnie:

      »Du gehst aus. Was soll inzwischen mit deiner Ameise geschehen? Entsorgen?«

      »Das ist nicht meine Ameise, bloß weil ich ihr das Leben gerettet habe«, antwortete Marnie verärgert. »Aber sie kann bleiben. Sie hat mir interessante Informationen geliefert.«

      Die Wand ging über diese Bemerkung hinweg und fragte weiter: »Was soll geschehen, wenn der Hund deines Nachbarn hier auftaucht?«

      Jetzt lachte Marnie.

      »Erstens versetzt du ihm einen elektronischen Fußtritt. Zweitens wird, wenn es zu einem Zweikampf der beiden kommen sollte, die Ameise den Sieg davontragen.«

      Marnie suchte in der Innenstadt sofort das Spielleiterhaus auf und fragte nach Roman. Im Inneren des Gebäudes herrschte große Aufregung. Das Wartezimmer war voll von Bürgern, in deren Häuser und Gärten eine, manchmal mehrere Ameisen eingedrungen waren. Alle verlangten, dass sofort etwas geschehe. Was genau zu geschehen hatte, vermochte niemand zu sagen. Die Türe zum großen Sitzungszimmer war geschlossen; ein klobiger Roboter hielt davor Wache. Er ließ sie erst eintreten, als sie ihm ihren Personalausweis dort hinhielt, wo sie seinen Augenersatz vermutete. Drinnen sah sie Roman und drei weitere Spielleiter und einen Aufseher. Auf dem Tisch lagen drei tote Ameisen. Roman stellte Marnie seinen Kollegen und dem Aufseher vor und unterstrich, dass ihr das Verdienst zukomme, die ersten fünf Ameisen in ihrem Haus erlegt zu haben.

      Der Aufseher, Bernhard Tschechoff, forderte alle zum Sitzen auf und unterstrich, jetzt gelte es, das weitere Vorgehen zu besprechen. Heimland habe noch nie vor einer derartigen Herausforderung gestanden, gute Ideen seien nun gefragt.

      Einer der Spielleiter, Joe Bennett, hob die Hand. Oh doch! In den vergangenen hundert Jahren sei das Land immer wieder von Heuschreckenplagen heimgesucht worden.

      Tschechoff winkte ab. »Kinderkram«, rief er aus. »Die waren immer lokal, und in der kalten Jahreszeit verschwanden sie. Diese Ameisen aber, die haben das Zeug, die ganze Welt zu erobern!«

      Das Gespräch schwappte in Ausbrüchen von Überzeugungskraft hin und her. Bald standen sich zwei Gruppen mit völlig verschiedenen Auffassungen gegenüber. Die eine Gruppe, bestehend aus Tschechoff und zwei Spielleitern, vertrat einen Kurs, wonach sämtliche Ameisen rücksichtslos zu vernichten seien, die andere mit Roman und den zwei übrigen Spielleitern, wollte auf Begegnung und Dialog setzen mit der Begründung, der Kontakt mit den Ameisen sei für die Menschheit eine einmalige Gelegenheit, eine andere, außerirdische Intelligenz kennenzulernen. Daraus ließe sich mit Sicherheit großer Gewinn für beide Seiten erzielen, zumal die Ameisen offensichtlich nicht bösartig seien.

      Tschechoff vertrat die Ansicht, die Ameisen könnten sehr wohl bösartig sein, und selbst wenn sie es nicht seien, verbiete und verunmögliche ihre große Zahl allein – fünftausend! – einen echten, sinnvollen Kontakt. Und wo, bitte, sollen die fünftausend untergebracht werden? Und was, wenn es ihnen hier so gut gefallen sollte, dass gleich fünfzigtausend die Reise nach Heimland antreten würden? Außerdem müsse zwingend die Troika, vielleicht sogar das Kontrollorgan von Terra informiert werden. Die Befugnis zu extraterrestrischen Kontakten stehe laut Verfassung einzig der Erdregierung zu.«

      Marnie, der als gewöhnlicher Bürgerin kein Mitspracherecht und kein Stimm- und Wahlrecht zustand, bat ums Wort. Bernhard Tschechoff nickte.

      »Die Bürgerin Marnie hat


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