Hypnodrama in der Praxis. Ruth Metten

Hypnodrama in der Praxis - Ruth Metten


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von der Schule nach Hause kommt, weil sie draußen noch Freundinnen getroffen und darüber die Zeit vergessen hat. An der Tür wird sie von ihrer Mutter mit harschen, vorwurfsvollen Worten in Empfang genommen und ohne weiteren Kommentar zum Hausarrest für den Rest des Tages auf ihr Zimmer geschickt. Von Henriette, die in der Gruppe bisher sehr durchsetzungsstark in Erscheinung trat, ist bekannt, dass sie selbst in ihrer Kindheit unter einer von ihr als herrisch erlebten Mutter gelitten und beständig gegen diese rebelliert hat. Mühelos übernimmt sie im Spiel die Rolle der Mutter der Mitpatientin. Hingegen tut sie sich in einer anschießenden zweiten Szene sehr schwer, eine verständnisvolle Mutter zu verkörpern, die nachvollziehen kann, dass man zusammen mit seinen Freundinnen schon mal die Zeit vergisst, die ihrer Tochter aber auch zeigt, wie viel Sorgen sie sich gemacht hat, und gemeinsam mit ihr überlegt, wie künftig zu verhindern ist, dass so etwas noch einmal passiert, dass die Tochter ihr beispielsweise kurz Bescheid sagt, wenn sie sich verspäten wird. Immer wieder weicht sie davor aus, gegenüber ihrer Tochter Gefühle der Sorge und Angst zum Ausdruck zu bringen, indem sie ihrem eigenen Spiel eine komische Note gibt, über die alle herzhaft lachen müssen. Wie alle Teilnehmer der Gruppe, so ist auch die Klientin bereits in Selbsthypnose geübt. Die Sitzung wird kurz unterbrochen, um ihr – begleitet durch den Leiter – die Gelegenheit zu geben, in Hypnose ganz in die Rolle der besorgten Mutter zu gehen. In ihrem nachfolgenden Spiel erscheint sie wie verwandelt. Sie lehnt nicht mehr lässig am Türrahmen, sondern öffnet ihrer Tochter, sichtlich erleichtert darüber, sie zu sehen, mit den Worten die Tür: »Kind, wo warst du, ich habe mir solche Sorgen gemacht!« Sie äußert Verständnis für die Verspätung der Tochter, macht ihr aber auch deutlich, in welcher Not sie sich befunden hat. Die Tochter erklärt, nicht gewollt zu haben, dass sie sich sorge, und verspricht, künftig Bescheid zu sagen, wenn es bei ihr später werde.

      Erst in Hypnose gelang es der Klientin, ihre Abwehr zu umgehen und die zuvor humorvoll umschiffte Rolle zu verkörpern. Auch bei ihr wirkte sie also wie ein Starter. Doch das war nicht ihr einziger Effekt. Im abschließenden Erfahrungsaustausch berichtete Henriette, dass ihr in der Rolle der verständnisvollen Mutter etwas klar geworden sei. Bislang habe sie ihre Gefühle immer weggedrückt, um einen klaren Kopf zu bewahren, die Dinge unter Kontrolle zu haben. Doch sie könne sie auch zulassen, ohne dabei die Kontrolle zu verlieren. Das habe sie gerade erlebt. Gefühle zu zeigen, sei sogar wichtig, um Probleme gemeinsam zu lösen.

      Was lehrt uns dieses Beispiel? Die Hypnose ist im Hypnodrama definitiv mehr als ein Starter. Sie unterstützt den therapeutischen Effekt des Psychodrama s. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Schon Enneis sprach davon, dass es infolge der Hypnose zu einer stärkeren Katharsis komme (vgl. Enneis 1950, pp. 12–14). Denn dem Klienten falle es dabei leichter, seine Gefühle auszudrücken (vgl. Enneis 1950, p. 13). Auch zeige er auf diese Weise eine größere Spontaneität und Kreativität (vgl. Enneis 1950, p. 13). Beides befähige ihn dazu, Rollen zu spielen, die er ansonsten verweigert hätte (vgl. Enneis 1950, p. 14), und angemessener zu interagieren (vgl. Enneis 1950, pp. 13, 53). Ja, der Klient könne überdies im Hypnodrama Einsicht en gewinnen, auch wenn es ihm nicht gelänge, sie in Worte zu fassen (vgl. Enneis 1950, pp. 13, 53). Henriette aus dem Fallbeispiel vermochte selbst das.

      Hypnose wirkt also auch effektverstärkend auf das Psychodrama. Das ist verständlich. So absorbiert, wie wir dabei sind, schirmt sie uns weitestgehend von allen inneren und äußeren Störreizen ab, die dazwischenfunken und damit den therapeutischen Effekt untergraben könnten. Deshalb fällt es uns in Hypnose auch leichter zu lernen (vgl. Halsband 2004, S. 21, 26; 2006, pp. 474, 477; 2009, S. 14; Halsband u. Herfort 2007, S. 18; Halsband et al. 2009, pp. 196 f., 205).25 Ein Phänomen, das Enneis ebenfalls bemerkte (vgl. Enneis 1950, p. 53).

      Nun gut. Die Hypnose ist bereichernd für das Psychodrama. Doch wie kommt sie hinein?

       1.3.3Wie kommt die Hypnose ins Psychodrama?

      Kehren wir noch einmal zu der jungen Frau zurück, die unter sexuellen Wahnvorstellungen und Albträumen litt. Moreno wurde sehr befehlend, um sie dazu zu bringen, ihre intimen Begegnungen mit dem Leibhaftigen zu inszenieren. Alles in ihr hatte sich zunächst dagegen gesträubt. Doch dann richtete Moreno gebieterisch sein Wort an die junge Frau. Untertänig schob sie daraufhin ihr kritisches Denken beiseite und leistete ihm Folge. Klare Anweisungen zu geben, reicht allerdings meist nicht aus, damit andere sich dazu entschließen, solche Direktiven verbindlich für sich anzuerkennen. Sie sollten von einer Autorität ausgesprochen werden. Und die strahlte Moreno zweifellos aus – so intensiv, dass der Hypnotherapeut und Psychodramatiker Ira A. Greenberg gar vermutet, sie allein könne die Menschen schon dazu gebracht haben, in Hypnose zu gehen (vgl. Greenberg 1977a, p. 232). Aber wer ist schon Moreno? Gut zu wissen, dass seine Art kein »Must-have« für Hypnodramatiker ist, sonst könnten wir jetzt wahrscheinlich einpacken. Moreno praktizierte die Technik der direkten Hypnose induktion. Dafür ist entscheidend, dass dem Hypnotherapeut en abgekauft wird, kompetent genug zu sein, um sich ihm anvertrauen zu können. Das dürfte bei entsprechender Ausbildung leistbar sein.

      Die Hypnoseinduktion führte Moreno auf der Bühne durch (vgl. Enneis 1950, p. 14). Dort forderte er den Klienten auf, sich in sein Schlafzimmer oder in eine andere Situation zu begeben, die er mit Schlaf assoziierte, und auch die Körperhaltung eines Schläfers anzunehmen (vgl. Moreno 1950, p. 7; vgl. Enneis 1950, p. 14). Als Requisit für sein Bett fungierte eine Matratze oder ein Klubsessel nebst Stuhl, auf den er seine Beine legen konnte. Was dann geschah, beschreibt der amerikanische Psychiater Rolf Krojanker beispielhaft so: Norma – einer Seminarteilnehmerin, die bereit gewesen wäre, an sich die Wirkweise des Hypnodramas vorführen zu lassen – wäre von Moreno suggeriert worden, zu Bett zu gehen. Diese hätte sich daraufhin auf die Matratze gelegt und ihre Augen geschlossen. Moreno hätte ihr gesagt, dass sie nun wieder bei sich zu Hause wäre und schliefe. Dabei hätte er sich über sie gebeugt und sanft und beruhigend ihr Haar gestreichelt. Sein Tun wäre von den Worten begleitet worden: »Atme tief, tiefer, tiefer …, so ist es gut« (vgl. Krojanker 1977a, p. 215). Auch Enneis – Morenos Schüler – führte die Hypnoseinduktion auf diese Weise durch. In dem gemeinsam mit ihm veröffentlichten kleinen Band Hypnodrama and Psychodrama beschreibt er, wie der 24-jährige Johnny, ein junger Mann mit autistischen Zügen und Verfolgungsideen, von ihm in Hypnose versetzt wird. Johnny sollte sich dazu in den bereitstehenden Klubsessel setzen und seine Füße auf dem Stuhl davor ablegen. Dabei wäre er von Enneis aufgefordert worden, sich vorzustellen, wie er auf dem Bett seines Zimmers ruhe. Er hätte ihm gesagt, dass er nun schliefe …, tiefer und tiefer schliefe (vgl. Enneis 1950, p. 17).

      Beide – Moreno und Enneis – verwendeten also die Technik der direkten Hypnose induktion. Sie wiesen ihre Patienten an, die Augen zu schließen und tief zu schlafen. Moreno tat überdies noch etwas mehr. Er berührte Norma auch körperlich. Heute lässt sich nicht mehr klären, ob dies absichtlich geschah, um die Hypnoseinduktion zu unterstützen. Jedenfalls handelt es sich hierbei, wie der Arzt und Hypnotherapeut Günter Hole in seinem Buchbeitrag Direkte Induktionen erklärt, um eine Methode mit einer langen kultur- und religionspsychologischen Vorgeschichte (vgl. Hole 2015, S. 188). Nichtsdestotrotz hatte Moreno auf dem Gebiet der Hypnose niemals eine besondere Qualifikation erworben. Deshalb nutzte er zuweilen die Gelegenheit, dass ein ausgebildeter Hypnotherapeut die Hypnoseinduktion durchführte, während er hernach den Part des Psychodramas mit dem Hypnotisierten übernahm (vgl. Supple 1977, p. 225). Dies hätte, so der Hypnotherapeut Leonard K. Supple, den Moreno zu diesem Zweck wiederholt einsetzte, erstaunlich reibungslos geklappt. Für den Hypnotisierten wäre beim Transfer vom einen auf den anderen kein Bruch entstanden (vgl. Supple 1977, pp. 225 –227). Gut zu wissen. Wer als Psychodramatiker nicht darin geübt sein sollte, Hypnosen zu induzieren und zu begleiten, kann sich also Hilfe holen, ohne dass die Qualität des Hypnodramas leidet.

      Werden die Klienten allerdings wie oben beschrieben in Hypnose gebracht, tut sich spätestens jetzt ein Problem auf. Dieses besteht weniger darin, dass sie auf diese Weise in der falschen Vorstellung bestärkt werden, Hypnose bedeute zu schlafen. Tatsächlich handelt es sich hierbei um einen Trugschluss. Der liegt zwar nahe, weil sich das Wort Hypnose von Ὕπνος (Hypnos), dem griechischen Wort für Schlaf, ableitet. Tatsächlich ist das aber nicht der Fall (vgl. Halsband 2015, S. 796). Leider sind viele immer noch davon überzeugt.


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