Hypnodrama in der Praxis. Ruth Metten
stand der Psychoanalyse anfänglich tatsächlich sehr ablehnend gegenüber. Er folgte dem Grundsatz: Tiefenproduktion statt Tiefenanalyse (vgl. Moreno 1924, S. 71; 1950, p. 10). Seine Frau Zerka erklärt, warum: Moreno habe einfach bezweifelt, dass man die gesamte Seele allein durch Worte mitteilen könne. Das reine Sprechen sei für ihn kein Königsweg zur Psyche gewesen (vgl. Moreno et al. 2000, p. xv; vgl. Moreno 1988, S. 103). Auch er gehörte also zum Kreis derer, denen Reden nicht reicht. Was aber dann? Moreno hätte auf diese Frage geantwortet, dass statt des Redens das Handeln ideal dafür geeignet sei, der Seele Ausdruck zu verleihen (vgl. Moreno et al. 2000, p. xv; vgl. von Ameln u. Kramer 2015, S. 12). Denn dieses bringe die versteckte Dynamik des Patienten besser zum Vorschein, als Worte es je könnten (Moreno 1955, p. 17; vgl. Moreno a. Moreno 1959, p. 98). Darum lautete seine Devise: »Das Handeln kommt vor dem Wort.«16 Wolle man die Wahrheit der Seele ergründen, müsse man das Handeln dem Wort vorziehen und deshalb anstelle der Psychoanalyse die Methode des Psychodramas wählen (Moreno 1988, S. 77).
Der Primat des Handelns veranlasste Moreno dazu, sein Psychodrama anfangs geradezu als Gegenkonzept zur Psychoanalyse zu verstehen (vgl. Leutz 1974, S. 3). Strikt grenzte er die beiden voneinander ab. Hätte ihm mit dieser Einstellung daran gelegen sein können, das Psychodrama aus der Sicht der Psychoanalyse zu beurteilen und daraufhin ggf. sogar umzugestalten? Kaum vorstellbar. Doch Menschen ändern sich und mit ihnen ihre Lehrmeinungen. Das trifft auch auf Moreno zu. Später sprach er deutlich versöhnlicher, wenn es um das Verhältnis zwischen Psychodrama und Psychoanalyse ging. 1944 schlug er gar vor, das Psychodrama mit der Psychoanalyse zu einem analytischen Psychodrama zu verbinden (vgl. Moreno 1988, S. 90). Nun war er fest davon überzeugt, dass sich die Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Schulen auflösen ließen, weil sie ohnehin nur aus Versäumnissen und Unkenntnis entstanden wären (vgl. Moreno a. Moreno 1959, p. 58). Zwar erkannte Moreno in der psychodramatischen Produktion ein Pendant zur freien Assoziation17 der Psychoanalyse (vgl. Hutter 2010, S. 19), allerdings habe er, wie der Psychodramatiker Christoph Hutter feststellt, auf das Freud so wichtige Element der Deutung des Materials verzichtet (vgl. Hutter 2010, S. 19). Hätte Moreno auch hier von ihm lernen können? Lässt sich die Deutung als Wirkprinzip im Psychodrama gestalten? Wenn ja, änderte das dann auch den Charakter des Spiels?
Inspiriert durch die Ideen des Psychoanalytikers Wolfang Loch haben Ploeger und seine Mitarbeiter Antworten auf diese Fragen gefunden. Ganz gegen den Strich dürften sie Moreno nicht gegangen sein. Immerhin ernannte er Ploeger 1971 – und damit nur wenige Jahre vor seinem Tod – zum Honorary Director of Psychodrama, Sociometry and Group Psychotherapy. Doch welche Änderungen nahm Ploeger am Psychodrama vor?
1.2Die Handlungseinsicht als Wirkprinzip der Tiefenpsychologisch fundierten Psychodramatherapie (TfPT)
Auch Ploeger hatte mit Morenos Psychodrama begonnen, dieses dann aber unter Einbeziehung der psychoanalytischen Sichtweise grundlegend umgestaltet und schließlich zur Tiefenpsychologisch fundierten Psychodramatherapie – kurz: TfPT – fortentwickelt.
Hierbei handelt es sich um eine psychodramatische Methode, die die meist unbewusst en Ursachen bestehender Symptome aufdeckt und bearbeitet. Denn das, was einstmals geschah, habe sich, so Ploeger, in fixierten Mustern niedergeschlagen, die in den späteren Epochen des Lebens immer wieder als Niederschlag der gleichen frühen Erlebniswelt sichtbar würden. Den in frühkindlichen Entwicklungsphasen internalisierten Erlebens- und Verhaltensweisen hafte eine nachdrückliche Starre, eine Unbeweglichkeit und zugleich Verbindlichkeit für den späteren erwachsenen Menschen an, die ihn dränge, sich immer wieder nach diesen früh erworbenen Mustern des Erlebens und Verhaltens zu richten. Diese Verpflichtung sei unbewusst. Sie mache sich aber dadurch bemerkbar, dass die danach ausgerichteten Verhaltensweisen späteren realen Lebenssituationen nicht gerecht würden oder sogar widersprächen, eben weil sie nicht den jeweils aktuellen Erlebniskonstellationen, sondern denen in der frühen Kindheit gegenüber den Bezugspersonen von damals entsprächen. Der erwachsene Mensch trage also nach diesem tiefenpsychologischen Konstrukt gewöhnlich und besonders im Falle einer Fehlhaltung rigide, überholte Motivationsstrukturen und daraus resultierende Erlebens- und Verhaltensweisen mit sich herum, wodurch er sich für die anderen Menschen, denen er im späteren Leben begegne, oft unangepasst, befremdlich und evtl. sogar störend verhalte. Auch er selbst leide gewöhnlich unter diesem Verhalten, ohne aber von dessen Ursprung zu wissen (vgl. Ploeger 1983, S. 26).
Und genau hier setzt die TfPT an. Durch die Einbeziehung der psychoanalytischen Sichtweise war Ploeger nämlich klar geworden, wie wicht ig es für die Veränderung unbewusster Muster ist, diese zunächst einmal als solche erkannt zu haben. Im Gegensatz zu Moreno spielte für sein Psychodrama nachfolgend der Faktor Einsicht eine zentrale Rolle. Von nun an zielten seine psychodramatischen Intervention en auf die zufriedene Sicherheit ab, die sich, so Ploeger, einstelle, wenn es einem Menschen gelungen sei, Einblick in seine eigenen, ihm vorher verschlossenen Beweggründe zu gewinnen, die ihn zeitlebens ohne sein Wissen motiviert hätten (vgl. Ploeger 1983, S. 34 f., S. 244; 1990, S. 95 f.).
Wie kommt es aber in der TfPT zur Einsicht? In der Psychoanalyse wird sie dem Klienten durch die Deutung des Therapeuten vermittelt. Dabei handelt es sich um eine verbale Intervention, mit deren Hilfe ihm seine bislang unbewussten Muster bewusst gemacht werden sollen. Als im Laufe der Entwicklung der TfPT die psychoanalytische Tiefendimension von Ploeger mehr und mehr in die Psychodrama -Therapie einbezogen wurde, hätte das dazu führen können, dass die Teilnehmer künftig auch dort ihre Einsicht in die eigenen unbewussten Muster über die verbale Deutung des Therapeuten gewinnen. Ploeger entschied sich jedoch für einen anderen – einen »psychodramatischeren« Weg. Nicht die verbale Deutung, sondern das Handeln selbst sollte hier die Einsicht vermitteln. Bei der Entwicklung dieses besonderen therapeutischen Schrittes habe, so Ploeger, das Konzept der derivativen Einsicht (derivative insight) von Samuel Richard Slavson – einem Pionier der analytischen Gruppentherapie – Pate gestanden (vgl. Ploeger 1983, S. 183). Dieses sei von ihm in seiner Aktivitätsgruppentherapie für Jugendliche entwickelt worden (vgl. Ploeger 1983, S. 184). Er habe darunter die Erkenntnis des Patienten verstanden, dass sein Verhalten in der Gruppe von Widersprüchen gelenkt werde, die der Patient als die ihm eigene innere Fehlsteuerung akzeptieren könne (vgl. Ploeger 1983, S. 183 f.). Dies gelinge ihm, so Slavson, nicht so sehr aus den Interpretationen anderer Gruppenmitglieder oder des Therapeuten, sondern aufgrund seines eigenen Wachstums (vgl. Slavson 1966, S. 79). Einsicht und Interpretation kämen eigenhändig vom Patienten18, aus dessen Selbsterkenntnis, wie er an anderer Stelle ergänzt (vgl. Slavson 1951, p. 213). Ähnlich wie bei Slavson sollte es auch in der TfPT ohne verbale Deutung, allein aus dem Handeln heraus, zur Einsicht kommen. Deshalb habe es hier, so Ploeger, darum gehen müssen, die Handlungsabläufe – respektive die Interaktionen in der Gruppe – derart zu gestalten, dass die Patienten selbst darauf aufmerksam würden, dass bei ihrem Verhalten der Realität, dem Hier und Jetzt widersprechende, weil aus unbewussten Determinanten entstandene Motive am Werk seien (vgl. Ploeger 1983, S. 25, S. 184). In der TfPT geschieht tatsächlich genau das: Ausgangspunkt ist stets die Interaktionsdynamik, die sich innerhalb der Gruppe einstellt (vgl. Ploeger 1983, S. 16). Einzelne Teilnehmer reagieren dabei immer wieder unangemessen, weil ihr Erleben und Verhalten dann auf unbewussten Mustern beruht, die nicht der aktuellen Situation in der Gruppe, sondern Erlebniskonstellation en in ihrem Damals und Dort entsprechen. Die Psychoanalyse nennt das Übertragung. Wenn es dazu komme, dann entsprächen, wie Ploeger erklärt, unsere Erlebens- und Verhaltensweisen nicht der gegenwärtigen zwischenmenschlichen Realität, sondern einer subjektiven Erfahrung, die in der Kindheit konserviert worden wäre und im Erwachsenenleben zu einem immer wieder in gleicher Weise schablonenhaft auftretenden Erleben und Verhalten führe (vgl. Ploeger 1983, S. 23).
Der Begriff der Übertragung war übrigens auch Moreno bekannt. Er nannte sie pathologisches Tele (Moreno 1988, S. 58; 1946a, p. 231), meinte damit aber im Prinzip das Gleiche, nämlich einen zwischenmenschlichen Beziehungsmodus, so die Psychodramatikerin Grete Leutz, der sich nicht voll an der Realität orientiere, sondern daraus resultiere, dass ein Mensch unbewusst an frühe Bezugspersonen – meist sogar aus früher Kindheit – fixiert geblieben sei (vgl. Leutz 1974, S. 18). Dass er sich so verhält, ist ihm allerdings zunächst nicht klar. Denn durch die Brille seiner