Hypnodrama in der Praxis. Ruth Metten

Hypnodrama in der Praxis - Ruth Metten


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schon die Kinderspiele in den Parkanlagen Wiens gelehrt hatten. Und das kam so oder – besser gesagt – durch sie …

      Die Rede ist von Barbara, einer herausragenden Schauspielerin in seinem Stegreiftheater. Wie Moreno selbst berichtet (vgl. Moreno, 1946a, pp. 3–5; vgl. Moreno 1988, S. 14 f.), habe sie dort mit Vorliebe die Rolle der Unschuldigen, Heldin oder Geliebten verkörpert. Georg, ein junger Poet und Stückeschreiber, sei einer ihrer glühendsten Verehrer gewesen. Stets habe er bei ihren Aufführung en in der ersten Reihe gesessen. Beide hätten sich ineinander verliebt und geheiratet. Sie sei danach auch weiterhin die Hauptdarsteller in und er sozusagen der Hauptzuschauer von Morenos Stegreiftheater geblieben. Eines Tages habe sich Georg an ihn gewandt und ihm sein Leid geklagt. Er könne es einfach nicht mehr ertragen. Seine Frau, dieses süße, engelgleiche Wesen, das sie alle bewunderten, verhielte sich wie eine teuflische Kreatur, wenn sie mit ihm allein sei. Sie sage dann sehr Beleidigendes und wenn er daraufhin ärgerlich werde, schlage sie sogar mit ihren Fäusten auf ihn ein. Moreno habe daraufhin angeboten, dass er versuchen wolle, ihrem Problem Abhilfe zu schaffen. Sie sollten nur weiter, wie gewöhnlich, in sein Theater kommen. Als Barbara das nächste Mal wieder eine ihrer üblichen Rollen habe spielen wollen, sei sie von ihm gestoppt worden. Er habe ihr erklärt, dass sie zwar bisher ganz fabelhaft gewesen sei. Nun aber befürchte er, ihr Spiel könne fade werden. Sie dürfe sich nicht zu einseitig auf die Rolle verehrungswürdiger Frauengestalten festlegen. Die Zuschauer würden sie auch gern in Rollen sehen, in denen sie Menschen verkörpere, die schlimmer seien als sie selbst, die ihnen den Schmutz, die Rohheit der menschlichen Natur, ihre Obszönität, Dummheit und zynische Realität nahebrächten. Und er habe sie gefragt, ob sie versuchen wolle, solche Rollen zu spielen. Begeistert habe sie seinen Vorschlag aufgegriffen. Noch am selben Abend sei sie in die Rolle einer Straßendirne geschlüpft. Darin habe sie agiert, wie niemand es bis dahin von ihr erwartet hätte. Sie habe höllische Flüche ausgestoßen, ihr Gegenüber sogar wiederholt körperlich attackiert. Das wiederum sei daraufhin wild geworden, habe sie mit einem Messer über die Bühne gejagt und schließlich (im Spiel) ermordet. Fasziniert habe das Publikum die Geschehnisse miterlebt. Das Spiel sei ein großer Erfolg gewesen. Im Anschluss habe sich Barbara überschäumend vor Freude gezeigt. Sie und Georg seien begeistert nach Hause gegangen. Von da an sei sie vorzugsweise in derartigen Rollen aufgetreten. Sie habe rachsüchtige Ehefrauen, boshafte Geliebte, Barmädchen und Gangsterbräute verkörpert. Georg sei sofort klar gewesen, dass es sich hierbei um eine Art Therapie gehandelt habe. Täglich sei er zu ihm gekommen, um Bericht zu erstatten. Nach einigen Abenden habe er eine Veränderung feststellen können. Irgendetwas sei mit Barbara passiert. Sie bekomme zwar noch immer ihre Zorn ausbrüche, aber sie hätten an Intensität verloren. Sie seien auch von kürzerer Dauer, und manchmal beginne sie plötzlich zu lächeln, weil sie sich selbst an ähnliche Szenen erinnere, die sie auf der Bühne spiele. Und auch er lache mit ihr aus dem gleichen Grund. Es sei, als ob sie einander in einem psychologischen Spiegel sähen. Manchmal beginne sie sogar schon zu lachen, bevor sie ihren Anfall bekomme, weil sie genau wisse, wie es sich abspielen werde. Sie steigere sich zwar unter Umständen doch noch hinein, aber in viel schwächerer Form als früher.

      Der Fall Barbara hatte Moreno erneut klargemacht, welche therapeutischen Möglichkeiten im Ausspielen, im aktiven und strukturierten Ausleben von seelischen Konfliktsituation en liegen. Denn was war geschehen? Moreno erklärt es selbst, indem er in seiner Fallschilderung unmittelbar fortfährt, dass es wie eine Katharsis gewesen sei (vgl. Moreno 1988, S. 15). Da ist sie wieder – die Katharsis. Rückblickend hatte Moreno sie schon als Wirkung seiner Spiele mit Kindern in den Gärten und Parkanlagen Wiens erkannt. Hier aber wird nun deutlich, was er unter ihr verstanden hat. Auf der Bühne des Stegreiftheaters konnte Barbara ihre seelischen Konfliktsituation en ausleben. Infolgedessen nahmen Intensität und Dauer ihrer Zornausbrüche ab.

      Damit scheint Morenos Katharsis das gewesen zu sein, was damals auch zwei Wiener Ärzte unter ihr verstanden hatten. Zumindest einen von ihnen kannte er persönlich. Denn während seines Medizinstudiums hatte er dessen Vorlesung in Wien gehört.8 Sein Name war Sigmund Freud …

       1.1.1Greift Moreno die Katharsis von Freud und Breuer auf?

      In den Jahren 1880 und 1881 entdeckte der Wiener Arzt Josef Breuer eine neue Behandlungsmethode, als er die hysterische Störung einer seiner Patientinnen zu heilen versuchte. Ihr Fall wurde später von ihm unter dem Pseudonym Anna O. berichtet (Breuer u. Freud 1895, S. 15–21). Die neuartige Technik, mit der es Breuer gelungen war, ihre Symptomatik zum Abklingen zu bringen, nannte er Katharsis. Für die Namensgebung werden ihm wohl seine Kenntnisse in Altgriechisch und sein Philosophiestudium zupassgekommen se in. Zunächst ließ es Breuer mit der kathartischen Methode bei seinem Erfolg im Fall der Anna O. bewenden. Etwa ein Jahrzehnt später konnte allerdings der Wiener Arzt und Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, sein Interesse daran erneut wecken und ihn dazu bewegen, sie gemeinsam mit ihm zu erforschen. Bereits 1893 präsentierten sie ihre Ergebnisse im Zentralblatt für Neurologie unter dem Titel Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene – vorläufige Mitteilung.9 1895 folgten dann die Studien über Hysterie (s. Breuer u. Freud 1895).

      Doch was ist unter der darin beschriebenen kathartischen Methode zu verstehen? Freud erklärte dazu in einem Vortrag, den er am 11. Januar 1893 in der Sitzung des »Wiener med. Club« hielt, dass sie einem der heißesten Wünsche der Menschheit entgegenkomme, nämlich dem Wunsch, etwas zweimal tun zu dürfen. Wenn jemand ein psychisches Trauma erfahren habe und ihm verwehrt gewesen sei, darauf genügend zu reagieren, lasse man ihn bei dieser Behandlungsmethode das Gleiche ein zweites Mal erleben, jetzt aber in Hypnose, und nötige ihn dazu, die Reaktion zu vervollständigen, sich nun des Affekts der Vorstellung zu entledigen, der früher sozusagen eingeklemmt gewesen sei.10

      Die kathartische Methode befreit also von Affekten, die eingeklemmt waren, weil nicht genügend auf sie reagiert werden konnte. Das wird nun in Hypnose nachgeholt. Der Betroffene bekommt auf diese Weise eine zweite Chance, seine Reaktion auf den Affekt zu vervollständigen und sich dadurch seiner zu entledigen. Was dabei geschieht, wird deshalb von Breuer und Freud nicht nur Katharsis, sondern auch Abreaktion genannt (vgl. Freud u. Breuer 1925b, S. 179). Beide vergleichen es metaphorisch mit dem Aufschließen einer versperrten Türe (vgl. Freud u. Breuer 1925b, S. 212).

      Im Fall Barbara geschah im Prinzip das Gleiche. Nur ereignete sich die Abreaktion dort nicht auf einer Bühne in der Innenwelt, zu der die Hypnose Zugang verschaffte. Vielmehr stand eine solche hier in der Außenwelt des Stegreiftheaters. Wo auch immer die Bühne verortet sein mag, ihre Bretter bedeuten jedenfalls eine Welt, 11 in der eingeklemmte Affekte – Moreno spricht von Konfliktsituation en – auf eine unschädliche Weise abreagiert bzw. ausgespielt und ausgelebt werden können. Dadurch gelinge es, so auch der Psychodramatiker Eberhard Scheiffele, sich von nicht ausgedrückten Emotion en zu befreien, ohne befürchten zu müssen, andere hiermit zu verletzen (vgl. Scheiffele 2008, p. 152). Das Betreten der Bühne öffnet, um im Bild von Breuer und Freud zu bleiben, sozusagen eine versperrte Tür, um sich »einen der heißesten Wünsche der Menschheit« zu erfüllen, nämlich den, »etwas zweimal tun zu dürfen« und jetzt »die Reaktion zu vervollständigen« (Freud u. Breuer 1925a, S. 11). Als Freud seiner Zuhörerschaft am 11. Januar 1893 die kathartische Methode erklärte, war Moreno nicht einmal vier Jahre alt. Die Entwicklung seines Psychodramas lag noch vor ihm. Später wird er dessen Effekt als eine wahnsinnige Passion beschreiben, eine Aufrollung des Lebens im Schein, die nicht wie ein Leidensweg wirke, sondern den Satz bestätige, dass jedes wahre zweite Mal die Befreiung vom ersten sei (vgl. Moreno 1988, S. 89; vgl. Moreno 1924, S. 77).

      Die Übereinstimmung mit den von Freud gewählten Worten ist verblüffend. Beide reden davon, dass etwas ein zweites Mal erlebt werde und dadurch befreiend wirke. Und es gibt noch einen weiteren Punkt, in dem Moreno und Freud konform gehen: die Bewertung des Effekts der Katharsis. So wenden Breuer und Freud in ihren Publikationen zur kathartischen Methodee inschränkend ein, dass diese nur vorübergehend entlaste, weil sie die Bedingungen unbeeinflusst lasse, die den eingeklemmten Affekt en ursächlich zugrunde lägen. Sie wirke symptomatisch, aber nicht kausal. Anstelle der beseitigten Symptome könnten folglich wieder neue entstehen (vgl. Freud u. Breuer 1925b,


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