Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

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sehr bekannter und erfolgreicher Künstler. Zu beneiden war er um diesen Auftrag sicher nicht, da er sich auf einem extrem schwierigen Terrain bewegen musste angesichts der Tatsache, dass das Gebäude neben S. Marco und unmittelbar an der Piazza entstehen sollte. Wie schwierig das Projekt war, beweist die Tatsache, dass Santi etwa zwanzig verschiedene Entwürfe erarbeitet hatte, die alle unendliche Diskussionen und Polemiken auslösten. Noch im späteren 19. Jahrhundert meinte Tassini, der Palast, der zwischen 1837 und 1850 entstand, mache „wahrlich der Architektur unserer Tage wenig Ehre“ – ein Urteil, das heute als zu hart erscheint.

      Die Piazzetta dei Leoncini war einmal Schauplatz eines Wunders. Ein Sklave sollte hier einst zur Bestrafung durch Feuer geblendet werden, doch ließ das der hl. Markus nicht zu. Er stürzte sich kopfüber in die versammelte Menge hinein und ließ den glühenden Brand gefrieren.

      ► Die Staatsbibliothek

      Folgt man der oben genannten Bahn vom Uhrturm nach Süden in Richtung auf die beiden Säulen, so erhebt sich auf der rechten Seite der Piazzetta die Libreria Vecchia di San Marco oder Libreria Marciana, wie sie heute heißt. Jakob Burckhardt bezeichnete dieses Bauwerk, mit dessen Errichtung Sansovino 1537 begonnen hatte, als das „prächtigste profane Bauwerk Italiens“, und Kretschmayr spricht von dem „anmutigsten Heim, das je einer Bibliothek gebaut worden ist“. Mit ihr sollte für die kostbare Büchersammlung, die Kardinal Bessarion 1468 dem Staate geschenkt hatte, ein würdiger Rahmen geschaffen werden. Solche Schenkungen hatten in Venedig bereits Tradition, denn schon 1362 hatte Francesco Petrarca seine Bibliothek der Stadt vermacht: „Es wünscht Franziskus, den heiligen Evangelisten Markus, wenn es Christus so genehm ist, zum Erben zu haben für eine unbestimmte Anzahl von Büchern, die er jetzt besitzt oder die er vielleicht besitzen wird. Die Bücher sollen nicht verkauft und nicht zerstreut, sondern an einer dafür zu bestimmenden Stelle verwahrt werden, die vor Brand und Regen geschützt ist ...“. Petrarca wollte mit diesem Vermächtnis ein Vorbild geben und andere Bürger der Stadt anregen, diesem Beispiel zu folgen, wie es dann auch geschah. Auf diese Weise kam eine hochbedeutende Sammlung zusammen, die heute nur für Forschungszwecke zur Verfügung steht.

      Als Kuriosum wird in der Marciana der sogenannte Fondo Tursi aufbewahrt. Ein gewisser Angiolo Tursi war nämlich auf den Gedanken verfallen, alle Bücher zu sammeln, in denen das Wort „Venedig“ auftauchte, und sei es auch nur einmal. Dabei war es ihm gleichgültig, ob sich das jeweilige Buch auch wirklich mit Venedig beschäftigte. Es ist anzunehmen, dass auf diese Weise eine gewaltige Sammlung entstand.

      1545 stürzte das Gewölbe des zentralen Saales ein. Sansovino wurde für den entstandenen Schaden verantwortlich gemacht, letzteres nicht ohne Grund. Wurden doch „gemauerte Wölbungen … in der Stadt wegen der dünnen Mauern auf unsicherem Baugrund nur selten und niemals in den Obergeschossen realisiert“, schreibt Wolters, der Sansovino der Dickköpfigkeit zeiht und meint, er habe es den provinziellen Venezianern eben einmal zeigen wollen. Für seinen Fehler wanderte der zunächst ins Gefängnis und kam erst durch eine gemeinsame Intervention Tizians, Aretinos und des kaiserlichen Gesandten wieder frei. Die Vollendung des Bauwerks zog sich hin, 1554 war es bis zur 16. Arkade vollendet, während die letzten sieben Arkaden erst 1582–88 unter Scamozzi entstanden, der mit der Verlängerung des Gebäudes möglicherweise Sansovinos ursprüngliche Intentionen außer Acht ließ. Vermutlich sollten die Arkaden ursprünglich nur bis zu dem Punkt geführt werden, der in einer Flucht mit der Südfassade des Dogenpalastes liegt, also bis zum 17. Joch, mit dem Sansovino seine Arbeiten auch beendet hatte. Noch um 1560 stand zwischen Libreria und Zecca ein zierlicher Bau, die sogenannte Beccaria, wodurch ein Aufeinandertreffen dieser zwei recht heterogenen Fassaden vermieden wurde. Durch die Verlängerung der Libreria stehen die beiden Gebäude nunmehr unmittelbar nebeneinander, ein Zustand, durch den „das Auge beleidigt wird“, wie Huse schreibt und fortfährt: „Wie auch sonst an der Piazza, hätte Sansovino bestehende Zusammenhänge geklärt, verstärkt, auch neu gewichtet, aber immer mit einem ausgeprägten Sinn für die Potentiale des Ortes, an dem er baute. So hätten hier mit Münze und Bibliothek zwei der Bauten, die seit der Antike zu einem Forum gehörten, einen Raum gefasst, der den vor der Südseite des Palazzo weitergeführt hätte. Aus dem Ufer wäre wirklich ein Platz geworden, eine Bereicherung nicht nur für das Gefüge der Plätze um S. Marco, sondern auch eine Klärung der Bezüge zum Canal Grande und zum Bacino di San Marco.“

      Grundidee der Architektur der Libreria ist wiederum die Venedig seit Jahrhunderten prägende Arkadenwand mit offener, tonnengewölbter Arkadenhalle, wobei Sansovino, der in Rom geschult war, dortige Vorbilder wie Colosseum und Marcellustheater aufgriff und umsetzte. Bei der Pfeilerarkatur im Erdgeschoss sind den Pfeilern dorische Halbsäulen vorgeblendet, während im Obergeschoss Säulen ionischer Ordnung stehen. Diesen großen Ordnungen sind in beiden Geschossen Bogenstellungen bzw. Bogenfenster einbeschrieben, die im Erdgeschoss von Pfeilern, im Obergeschoss von ionischen Säulen getragen werden. Die so entstehenden Zwickel sind mit Liegefiguren gefüllt, deren Details mit bewundernswerter Fantasie und Leichtigkeit gestaltet wurden. Über den Geschossen verläuft ein kräftiges Gebälk mit kleinen Mezzaninfenstern und opulenten Fruchtgirlanden, die zauberhafte Putti hochstemmen. Nach oben hin wird die Fassade durch eine Balustrade abgeschlossen, auf der Statuen stehen. Sie wiederholt die optische Trennung der beiden Geschosse. Alles ist „mit der gediegensten plastischen Pracht durch und durch belebt“ (J. Burckhardt), und das Bauwerk kann als „eine der vollkommensten Schöpfungen der italienischen Renaissance“ (Th. Droste) angesprochen werden.

      Der südliche Teil des Gebäudes ist heute noch eine wissenschaftliche Bibliothek, die nur Fachbesuchern offen steht; der repräsentative große Bibliothekssaal im nördlichen Teil beherbergt Prachtbände und historische Weltkugeln der Seefahrernation Venedig. Er ist vom Museo Civico Correr in den Neuen Procuratien aus zugänglich.

      Am Molo schließt sich die Zecca an, die staatliche Münzprägestätte (Zecca kommt vom Arabischen sicca – Münze), deren Architektur für die venezianische Formensprache ungewöhnlich verschlossen ist und die 1537–45 ebenfalls unter Sansovino entstand, und zwar als dessen erstes Werk im Umfeld der Piazza. Der verschlossene Eindruck, den das Gebäude macht, lässt sich ohne weiteres verstehen, wenn man das erhöhte Sicherheitsrisiko einer Münzanstalt berücksichtigt. Die Fassade war zunächst zweistöckig und erhielt das dritte Geschoss erst dreißig Jahre später. Im Untergeschoss steht eine verblendete Bogenreihe, die früher offen war, während die Fenster der Obergeschosse hochrechteckig sind. Der „wehrhafte“ Charakter wird durch die Rustika im Erdgeschoss und durch die von Rustikabändern umgebenen Halbsäulen in den Obergeschossen betont. Das Ganze wird von einem Zeltdach überfangen und durch eine zierliche Laterne bekrönt. Das Gebäude ist heute Teil der Bibliotheca Marciana.

      Der Bereich links neben der Zecca hat sein Aussehen im Laufe der Jahrhunderte mehrfach verändert. Vor langer Zeit gab es hier an der riva vor den Gärten Käfige, in denen wilde Tiere gehalten wurden, daneben auch Schiffswerften, bis diese im Jahre 1340 ins Arsenal verlegt wurden, sowie Gefängnisse, u. a. für die Gefangenen, die im Chioggia-Krieg gegen Genua gemacht wurden. Später wurden an der Stelle mächtige Getreidespeicher mit einfachen Fassaden errichtet, die Napoleon niederlegen ließ, um Platz für einen Park, die heutigen Giardini Reali, zu bekommen und um von seinen Gemächern aus einen freien Blick auf die Lagune zu haben. Die Gärten sind heute vernachlässigt und wenig einladend. Außerdem stört die recht unansehnliche Rückseite der Procuartie Nuove, die nicht als Schauseite gedacht war, das Ensemble empfindlich.

      Der Blick zur Lagune hin und zum sog. Bacino, das heißt zur Wasserfläche vor dem molo, bietet eine unvergleichliche Kulisse: Ganz rechts sind die Kuppeln der Salute-Kirche zu sehen, links daneben liegt die figurenbekrönte Dogana da mar. Neben dieser wiederum säumen die Palladio-Kirchen Il Redentore und Zitelle die Ufer der Giudecca, während weiter links die Kirche San Giorgio Maggiore steht. In der Ferne sind die Konturen des Lido zu sehen, und ganz zur Linken schließlich dehnt sich der Bogen der Riva degli Schiavoni weit hin bis zu den giardini publici und dem Stadtteil San Elena.

      Sestiere di San Marco

      Dieser


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