Frausein zur Ehre Gottes. Hanna-Maria Schmalenbach

Frausein zur Ehre Gottes - Hanna-Maria Schmalenbach


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beeinflussen die Stellung und Rolle der Frau in den von ihnen geprägten Gesellschaften zutiefst, stellen sie doch dort die ideologische Grundlage für das gesamte kulturelle System dar.81 Dabei fällt auf, dass das vermittelte Frauenbild fast ausnahmslos eine Minderbewertung der Frau im Vergleich zum Mann einschließt und ihre Unterordnung unter ihn legitimiert und fördert (Adyanthaya 2003, 10; Renavikar 2003, 33.35; Bowker 1999). Dies trifft auf die Lehren und Praktiken des Hinduismus zu, in dem die Frau als schwaches, zum Wahnsinn und zur Besessenheit neigendes Wesen gesehen wird und die weibliche Sexualität als Gefahrenquelle für den erlösungssuchenden Mann (Renavikar 2003, 58; Lexikon Hinduismus 2002). Im Buddhismus wird das Frausein vielfach als „Problem“ und Hindernis auf dem Weg der Erleuchtung eingeschätzt (Levering 1999, 120; Nefsky 1995, 292–293). Auch im Judentum wurde nach dem babylonischen Exil vielfach ein frauenverachtender Ton angeschlagen, der sich auf die Stellung der Frau in der jüdischen Gesellschaft auswirkte (Jeremias 1962, 412; Ilan 1995).82 Einen besonders prägenden Einfluss diesbezüglich hat der Islam. Das Geschlechterverhältnis wird im Koran für alle islamischen Gesellschaften verbindlich geregelt und mit unbegrenztem Gültigkeitsanspruch festgeschrieben. Darin ist die Frau dem Mann vor Gott zwar gleichgestellt, wird aber als qualitativ andersartig definiert. Ihr Wesen wird als schwach, emotional und sexuell verführbar beschrieben. Damit wird die Notwendigkeit begründet, dass sie von dem als stark und rational geltenden Mann kontrolliert und beschützt werden muss, indem er nach der Vorschrift des Koran über sie bestimmt. So entspricht der Rechtsstatus der Frau demjenigen eines Minderjährigen. Sie erhält vom Mann materielle Sicherheit und Schutz, wofür sie ihm das Verfügungsrecht über ihre Person, Sexualität und Gebärfähigkeit gibt. Ein wesentliches Merkmal islamischer Weltsicht ist die scharfe Trennung der Lebenswelten von Mann und Frau in den öffentlichen bzw. häuslichen Raum (Deaver 1980, 31–32; Pezaro 1991, 123–130).83

      Ein ganz anderes, wenn auch vielschichtiges Bild bietet sich im Christentum. Einerseits wird in der Missionsgeschichte von Anfang an immer wieder der befreiende Effekt der christlichen Botschaft für die Frauen aus vorher nichtchristlichen Kulturen sichtbar.84 Die schöpfungs- und erlösungsbedingte Würde der Frau lässt wenig Raum für ihre Unterdrückung durch den Mann. Andererseits wirkte sich aber auch das traditionelle Verständnis von der schriftgemäßen Rolle der Frau überall da aus, wo das Evangelium gepredigt wurde. Die Frauen wurden von christlichen Missionaren zur Unterordnung unter die Männer angehalten und aus gewissen geistlichen Diensten ausgeschlossen. So kam es in einigen vorher eher egalitär organisierten Gesellschaften sogar zu einer Erniedrigung des Status’ der Frau durch den christlichen Glauben (Tucker und Liefeld 1987, 332–333).85

       2.2.3.4 Soziales Empfinden und Gesellschaftsstruktur

      Außer den genannten Faktoren wirken sich auch noch folgende Gesellschaftsmerkmale in besonderer Weise auf die Rolle der Frau aus:

      Kollektivismus oder Individualismus. Während die Gesellschaften der westlichen Industrienationen zunehmend individualistische Züge tragen, lebt die Mehrzahl der Menschen dieser Welt in kollektivistisch geprägten Gesellschaften.86 Der Unterschied zwischen beiden liegt in der Einordnung des Individuums im sozialen Gefüge. Während sich in individualistischen Gesellschaften jede Person primär als Individuum identifiziert und Eigenständigkeit, Freiheit, Entfaltung der Persönlichkeit, Chancengleichheit für alle, persönliche Leistung, Wettbewerb und Vielfalt als hohe Werte gelten, definiert sich der Mensch in kollektivistischen Gesellschaften vor allem als Teil seiner Familie und der Gruppen, denen er angehört. Individuelle Wünsche und Ziele werden den gemeinsamen der Gruppe untergeordnet. Hohe Werte sind dementsprechend in solchen Gesellschaften Gemeinsamkeit, Harmonie der Beziehungen, Zusammenarbeit, das Erfüllen der gesellschaftlichen Pflichten und das Ausfüllen der von der Gruppe erwarteten Rollen (Thomas 1993, 393–397). Was das für die Rolle der Frau bedeutet, ist leicht vorstellbar: Während sie in individualistischen Gesellschaften dazu erzogen wird, nach ihren persönlichen Gaben und Wünschen in Freiheit und in Partnerschaft mit dem Mann zu leben, ist sie in kollektivistischen Gesellschaften eingefügt in den Familienverband und die Organe ihrer Gesellschaft. Status und Rolle werden ihr zugeschrieben ohne viel Spielraum für die eigene Lebensgestaltung.

      In engem Zusammenhang mit diesem sozialen Empfinden steht die Strukturierung der Gesellschaft. Kollektivistische Gesellschaften sind meist, wenn auch nicht immer, stark hierarchisch strukturiert (Hofstede 1997, 55). Auf allen Ebenen gibt es eine Rangordnung. Dabei wird jede Gruppe und Familie durch eine Person geführt und repräsentiert, der die anderen Mitglieder Gehorsam und Rechenschaft schulden. Hier kommt der Geschlechterdifferenzierung dann eine Ordnungsfunktion zu, in der der Mann stets der Repräsentant des Ganzen und die Frau ein untergeordneter Teil ist (Esposito 2003, 75; Nassehi 2003, 85). Individualistische Gesellschaften sind weniger geschichtet und vorwiegend „funktional differenziert“ (Luhmann 2003, 27; Leupold 2003, 221), d. h. Funktionen und Positionen werden nach persönlicher Begabung und Leistung festgelegt. Solche Differenzierung fördert wiederum den Individualismus (Leupold 2003, 221), und es ist leicht nachvollziehbar, dass das Geschlecht als Ordnungsfunktion in solchen Gesellschaften nicht so bedeutsam ist, sondern die Positionen und Rollen von Männern und Frauen vor allem durch ihre Gaben und Leistungen bestimmt werden.

      Das Konzept von Ehre. In einigen Gesellschaften lässt sich zusätzlich noch ein Phänomen beobachten, das auf die Rolle der Frau besonders starke Auswirkungen hat: Hier sind die Kategorien „Ehre“ und „Schande“ die wichtigsten Prinzipien, nach denen alle anderen Werte und das soziale Leben der Gesellschaft geordnet und bewertet werden (Peristiany 1965a, 11; Rodriguez 1999, 2). Dies gilt als gemeinsames Merkmal für alle Kulturen des Mittelmeerraums und war zur Zeit des Römischen Reiches dort noch stärker ausgeprägt als in der Gegenwart (Pitt-Rivers 1977, viii).87 Deshalb werden diese Kulturen auch als „Ehrenkulturen“ bezeichnet (Rodriguez 1999, 2).88 Mit dem Begriff „Ehre“ ist dabei der Wert gemeint, den ein Mensch sich selbst zumisst und der ihm von den Mitgliedern seiner Gesellschaft zugemessen wird (Stewart 1994).89 Ehre wird einem Menschen einerseits als Status zugeschrieben, zum Beispiel als Familienoberhaupt. Andererseits erwirbt und erhält er sie durch ein dem kulturellen Ehrenkodex entsprechendes Verhalten. Wer Ehre besitzt, dem steht eine Vorrangstellung90 zu, die wiederum durch die Unterordnung derer anerkannt wird, die einen niedrigeren Status haben (Pitt-Rivers 1965, 23). In den Ehrenkulturen des Mittelmeerraums besitzt nicht nur das Individuum Ehre, sondern auch soziale Gruppen, vor allem die Familien, haben eine kollektive Ehre (Pitt-Rivers 1965, 35), an der alle Gruppenmitglieder teilhaben. Diese kollektive Ehre wird nun stellvertretend dem „Haupt“ und Repräsentanten der Gruppe zugeschrieben (Pitt-Rivers 1965, 35),91 und er ist für ihren Erhalt verantwortlich.92 Das Konzept der Ehre wird hier also in einem kollektivistischen Rahmen ausgelebt. Rodriguez bezeichnet Ehrenkulturen grundsätzlich als Varianten kollektivistischer Kulturen (Rodriguez 1999, 4).

      Auf die Rolle der Frau hat diese Kulturvariante deshalb einen großen Einfluss, weil in Ehrenkulturen der Kodex zur Aufrechterhaltung der Familienehre geschlechtsspezifisch unterschiedlich ist. Dabei zeichnet sich die männliche Ehre durch physische Stärke, Mut und die Fähigkeit aus, die Familie zu verteidigen und zu versorgen. Sie ist eine aktive Ehre, die erworben, verteidigt und vermehrt werden kann. Die weibliche Ehre dagegen besteht vor allem im Bewahren der „sexuelle Reinheit“ in Verhalten und Aussehen93 und im Gehorsam gegenüber den Autoritätspersonen in der Familie (Rodriguez 1999, 7). Sie ist also eine passive Ehre, die nicht erworben werden, sondern vor allem verloren gehen kann. Während es der männlichen Ehre entspricht, sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Familie eine Vorrangsstellung einzunehmen und Autorität auszuüben, ist es der weiblichen Ehre gemäß, sich dieser Autorität unterzuordnen. Die Abhängigkeit der Familienehre vom Autoritätsverhalten der Männer und vom Sexualverhalten der Frauen hat in Ehrenkulturen oft eine starke Kontrolle der sozialen Aktivitäten weiblicher Familienmitglieder durch die männlichen zur Folge (Rodriguez 1999, 7) und eine schwere Bestrafung der Frauen für den Fall eines Verhaltens, das nicht dem Ehrenkodex entspricht.94 Zur dominanten selbstbezogenen Emotion von Frauen wird die Scham.95

      Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass bezüglich der Stellung der Frau das oben beschriebene universale Grundmuster in solchen Kulturen


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