Seewölfe Paket 26. Roy Palmer
zu sehen, was er tat. Immerhin trug er sechs Pistolen im Gurt, eine davon eine Doppelläufige, und sie hielten ihn für unberechenbar. Gut so.
Noch hatte er die Möglichkeit, die Macht mit Gewalt wieder an sich zu reißen. Aber das wäre unklug gewesen. Mit einer noch mehr dezimierten Crew sank die Chance, die verfluchten Goldräuber auf der Insel zu überwältigen.
Nein, er mußte seine geistige Überlegenheit ausspielen. Immerhin hatte er mehr Grips als diese fünfzehn Einfaltspinsel zusammen.
„Mal herhören“, sagte er in freundlichem Ton. „Kurze Pause!“
Sechs oder sieben Kerle, denen der Schweiß in Strömen über das Gesicht rann, ließen aus purer Gewohnheit Hämmer und Sägen sinken und richteten sich auf – dankbar für die Möglichkeit zum Verschnaufen. Die anderen folgten ihrem Beispiel. Prado und Morro registrierten es mit sichtlichem Unwillen.
„Trinkwasser austeilen!“ befahl Acosta energisch. In übertrieben gespieltem Unmut schüttelte er den Kopf. „Himmel noch mal, muß man euch denn alles vorbeten? Seine Arbeitskraft erhält man sich nicht durch unsinnige Schinderei. Seinen Körper darf man bei allem Eifer nicht vernachlässigen. Klar?“ Prado und Morro starrten mit offenem Mund zu ihm hin. „Sabado“, sagte Acosta und brachte sogar ein Lächeln zustande, „nun hol schon Trinkwasser aus der Kombüse!“
Der Überlebende der kleinen Jolle erkannte das Versöhnungsangebot, das aus Acostas Worten klang, und sofort rannte er los. Eine Minute später umringten die Kerle die Pütz, die Sabado geholt hatte, und auch Prado und Morro griffen bereitwillig zu, als die Muck mit dem erfrischenden Naß die Runde machte.
„Seht ihr“, sagte der Schwarzbärtige aus seiner erhöhten Position, „gleich geht es schon viel besser. Und dann werden die verdammten Bastarde da drüben am Strand ihr blaues Wunder erleben, das schwöre ich euch. Wir müssen es nur klug genug anstellen.“
Prado richtete den Blick zu Acosta hinauf.
„Was soll das schon wieder heißen? Glaubst du, wir wissen nicht, was wir zu tun haben?“
Der Schwarzbärtige zog die Schultern hoch.
„Nun gut, wie stark gedenkt ihr denn euer Floß zu bemannen? Das ist nur eine Frage, aus reinem Interesse.“
„Mit allem, was wir haben“, erwiderte Prado gereizt. „Wie denn sonst?“
Acosta lächelte mild.
„Das habe ich mir gedacht. Ihr würdet wertvolle Zeit verschwenden, weil ihr nämlich erst mal mitsamt Pulver und Waffen absaufen würdet. Dieses sonst gut gebaute Floß“, er deutete auf das fast fertige Wasserfahrzeug, „trägt nicht mehr als vier Mann und ein bißchen Ausrüstung.“
Die Decksleute starrten ihn an.
„Woher willst du denn das wissen?“ zischte Morro.
„So was kann ich ausrechnen“, behauptete Acosta. „Aus der Länge und dem Durchmesser der Hölzer, malgenommen mit der Gesamtzahl von acht, ergibt sich die Tragfähigkeit. Ihr könnt es ausprobieren, und ihr werdet sehen, daß ich recht habe.“
Ehrfurcht zeichnete sich in den meisten der Gesichter ab. Nur Prado und Morro blieben verächtlich.
„Weitermachen“, sagte Prado.
„Eins würde ich euch noch empfehlen!“ rief Acosta. „Rundet die Hölzer vorn und achtern ein wenig ab! Dann erreicht ihr bei dem plumpen Ding immerhin etwas mehr Schiffigkeit.“
Wieder hatte Acosta Land gewonnen, denn Prado und Morro konnten diesem Vorschlag nur zustimmen, dagegen gab es beim besten Willen nichts einzuwenden.
Die Äxte wirbelten mit blitzenden Klingen, und sehr bald hatte das Floß vorn und achtern sauber gerundete Hölzer. Mittschiffs achtern wurde eine Dolle zum Wriggen mit einem Riemen angebracht. Danach stand dem Fieren mittels der Großrah nichts mehr im Wege. Voller Stolz beobachteten die Kerle, wie ihr Bauwerk längsseits unter der Jakobsleiter dümpelte.
„Jetzt die Belastungsprobe!“ rief Prado. „Erst mal zehn Mann!“
„Doch vorsichtig geworden?“ sagte Acosta grinsend, als die Kerle schon zur Pforte im Schanzkleid liefen. „Ich behaupte, das Ding geht trotzdem unter. Vielleicht wäre es besser, deine sogenannte Belastungsprobe an Backbord durchzuführen, wo’s die Kerle vom Strand aus nicht sehen. Möglich, daß sie sich sonst totlachen.“
Prado wischte mit einer ärgerlichen Handbewegung durch die Luft. Morro knurrte nur unwillig, und gemeinsam mit den drei anderen, die noch an Bord geblieben waren, beugten sie sich über die Verschanzung und spähten nach unten, wo einer nach dem anderen das Floß betrat.
Auch Acosta verfolgte das Geschehen und sah voller Genugtuung, daß sich die obere Hälfte der Rundhölzer schon beim fünften und sechsten Mann bedrohlich der Wasserlinie näherte. Als sich der siebente auf das Floß wagte, standen sie gleich darauf bereits bis zu den Knöcheln im Wasser.
„Ihr müßt euch besser verteilen!“ brüllte Prado. „Dann klappt es auch!“
„Irrtum“, sagte Acosta triumphierend. „Vier Mann, wie ich berechnet habe. Das ist die beste Auslastung für euer feines Floß.“
Prado und Morro mußten zähneknirschend einsehen, daß der Schwarzbärtige recht behielt. Auch die Gewichtsverlagerung nutzte nichts. Mit vier Mann war die Tragfähigkeit gerade so weit ausgenutzt, daß sich das Floß noch gefahrlos manövrieren ließ.
Acosta übernahm wieder das Kommando, und der Bootsmann und der Dürre hatten nichts mehr einzuwenden. Wenn Acosta nicht verrückt spielte, war er immer noch ein verdammt brauchbarer Bursche. Den vier Kerlen, die gleich nach der „Belastungsprobe“ das Floß bemannten, erteilte der Schwarzbärtige genau festgelegte Aufgaben. Einer begab sich zum Loten nach vorn, zwei Musketenschützen postierten sich mittschiffs, und der vierte Mann übernahm achtern den Wriggriemen.
Er legte den Kopf in den Nacken und blickte fragend zur Verschanzung der Galeone hoch.
„Welchen Kurs?“
Es war nun wieder selbstverständlich, daß Acosta antwortete und damit den Befehl erteilte.
„Nach Süden!“ tönte die energische Stimme des Schwarzbärtigen, und die Männer auf dem Floß warteten nicht erst ab, ob Prado und Morro dazu noch etwas zu bemerken hatten.
Der Mann am Wriggriemen brachte das Floß in Fahrt, nachdem die drei anderen mitgeholfen hatten, es von der Bordwand der „San Jacinto“ abzustoßen. Der Ankerplatz der Galeone befand sich etwa in der Mitte vor der Westseite der langgestreckten Insel, die in Nordsüdrichtung verlief.
Die Ostseite der Insel war wegen der geringen Wassertiefe für Schiffe des Galeonen-Typs nicht erreichbar. Dort erwies sich die Große Bahama Bank als alles beeinflussendes Hindernis. Dagegen lag die Cat Cays mit ihrer Westseite fast unmittelbar an der tiefen Florida-Straße. Nur von Westen her konnte man sich also der Inselgruppe nähern, und dabei galt es, die vorgelagerten Riffs genau zu beachten.
3.
„Schade“, sagte Old Donegal enttäuscht. „Wirklich schade, daß sie sich nicht gegenseitig die Schädel eingeschlagen haben.“
Ed Carberrys Miene spiegelte Entrüstung.
„Schade nennst du das? Ein Glück, sage ich! So bleibt uns wenigstens das Vergnügen, ihnen was auf die Nuß zu klopfen.“
Die Männer lachten glucksend.
„Langsam reicht’s mir!“ fauchte der alte O’Flynn. „Deine ewigen Widerworte gehen mir verdammt auf den Nerv, Mister Carberry. Du treibst es noch so weit, daß ich dir Redeverbot erteilen muß.“
Der Profos spielte den Erschrockenen, schlug sich mit der flachen Hand vor den Mund und sperrte die Augen weit auf.
„Ach du liebe Güte“, sagte er in gekünsteltem Respekt. „Das würde mir aber gar nicht