Seewölfe - Piraten der Weltmeere 146. Kelly Kevin
und zwischen Felsen und Gebüsch auftauchten. Sie saßen ab, bevor sie das freie Gelände um die Schenke erreichten. Eilig banden sie ihre Tiere mit den Zügeln an ein paar Äste, dann huschten sie geduckt auf die „Linterna Roja“ zu.
„Baskische Rebellen?“ fragte Dan halblaut.
„Ich weiß nicht“, sagte Pieter Ameland. „Auf jeden Fall erscheint mir die Sache merkwürdig.“
„Dann gehen wir doch hin und sehen nach“, knurrte Carberry. „Oder wollt ihr hier Wurzeln schlagen, was, wie?“
„Ich riskiere mal einen Blick.“
Dan O’Flynn hatte sich bereits aus dem Schatten der Kiefern gelöst, schlug einen Bogen und glitt von der Seite her auf die Tür der Schenke zu, durch die eben die drei Unbekannten verschwunden waren. Im Haus war alles still. Keine Spur von Hasard und seiner Gruppe, keine Spur von dem Wirt oder den restlichen Bewohnern. Man hätte annehmen sollen, daß sie um diese Zeit schliefen, doch die offene Tür sprach genauso dagegen wie die Selbstverständlichkeit, mit der die drei Männer den Schankraum betreten hatten.
Dan drückte sich neben einem der kleinen, tiefen Fenster gegen die Wand und spähte vorsichtig durch die Scheibe.
Eine Petroleumlampe brannte. An dem langen Schanktisch stand ein schwarzhaariges junges Mädchen mit dunklen Glutaugen im blassen, ernsten Gesicht. Sie preßte die Handflächen gegeneinander und redete auf die drei Männer ein. Laut genug, so daß Dan die Worte hätte verstehen können, doch sie benutzte eine Sprache, die dem jungen O’Flynn völlig unbekannt war.
Er fluchte in sich hinein.
Ob die Geusen das Kauderwelsch verstanden? Er wandte sich um und wollte den anderen ein Zeichen geben; doch da stand schon wie aus dem Boden gewachsen der blonde, helläugige Pieter Ameland neben ihm.
Er lächelte matt.
„Sie werden Baskisch sprechen, Eskuara“, flüsterte er. „Ich verstehe ein bißchen davon, seit wir einmal mit der ‘Hoek van Holland‘ ein paar Rebellen an Bord genommen haben, die vor den Spaniern auf der Flucht waren.“
„Und was, zum Teufel, erzählen sie sich?“
Ameland kniff die Augen zusammen und lauschte gespannt.
„Das Mädchen sagt etwas von Verwundeten“, murmelte er. „Sie hat sie im Weinkeller versteckt. Jetzt gehen sie hinunter.“
„Verdammt“, knirschte Dan.
Ameland warf ihm einen Blick zu. „Ich war schon einmal hier. Es gibt einen Einstieg auf der Rückseite des Hauses.“
„Auf was warten wir dann?“
Sie grinsten sich an.
Lautlos wandten sie sich ab und umrundeten das Gebäude. Inzwischen war es heller geworden, der rote Widerschein am Himmel im Osten zeigte, daß bald die Sonne über den Horizont steigen würde. Deutlich konnten die beiden Männer die schräge Holzklappe sehen, hinter der vermutlich eine Rutsche lag, die dem schnellen Transport von Holz oder Vorräten in den Keller diente.
Behutsam hob Dan O’Flynn die Luke.
Die Scharniere waren schlecht geölt, doch da er sie nur wenig bewegte, hielt sich das Knirschen in Grenzen. Tatsächlich fiel das graue Morgenlicht auf eine hölzerne Rutsche. In dem Kellerraum, in den sie führte, regte sich nichts. Dan schwang sich kurz entschlossen auf die Schräge.
Pieter Ameland folgte ihm.
Sekunden später standen sie in der Finsternis des Kellers und lauschten. Jetzt brauchten sie die drei Männer und das Mädchen nur noch zu finden.
Miranda Lleones hielt die blakende Öllampe hoch.
In ihrem Licht beugten sich die drei Basken über die Verwundeten, die auf einem provisorischen Dekkenlager zwischen zwei riesigen Weinfässern lagen. Sie hatten viel Blut verloren. Miranda, die ein wenig von der Wundbehandlung verstand, war der Ansicht gewesen, daß sie einen Transport auf den rumpelnden Wagen nicht überleben würden. Jetzt fühlten sie sich schon wesentlich besser, auf jeden Fall konnten sie bereits wieder kräftig fluchen.
„Schon gut, Dario.“ Der hagere Baske, der den kleinen Trupp anführte, grinste im Halbdunkel. „Wir wissen selbst, daß die Kerle wie die Teufel gekämpft haben, wir waren schließlich dabei. Dieser Seewolf hat sogar unterwegs noch einen Ausbruch versucht. Er sprengte die Fesseln, als ob es gar nichts wäre. Aber jetzt haben wir sie auf Nummer sicher. Und die Spanier werden unsere Leute sehr schnell freilassen, wenn wir ihnen Jan Joerdans und El Lobo del Mar zum. Tausch anbieten.“
„Ah! Hoffentlich! Und wie wollt ihr sie es wissen lassen?“
„Das wird Miranda übernehmen.“ Der Baske vollführte eine rasche Handbewegung, um den Protest des Verwundeten abzuschneiden. „Keine Angst, sie braucht sich nicht in Gefahr zu begeben. Sie geht zum Haus des Hafenkommandanten und schiebt einen Brief durch die Tür oder ein Fenster. Uvalde, dieser Hund, hält sich zwar fast nie in seinem Palacio auf, weil er sich vor Anschlägen fürchtet, aber seine Bediensteten werden schon dafür sorgen, daß die Nachricht in seine Hände gerät.“
„Gut. Und wann holt ihr uns hier heraus?“
„Später, mein Freund, wenn ihr euch etwas erholt habt. Wir reiten zunächst ins Lager zurück. Miranda?“
Das Mädchen griff nach dem zusammengerollten, versiegelten Pergament, das der Baske ihr hinhielt. Sie dachte an den Mann mit dem langen schwarzen Haar und den eisblauen Augen und an die beiden Geusen, die ihr vertraut hatten. Und an ihren Vater, der im Kerker der Festung schmachtete, vielleicht gefoltert wurde und nur eine Chance hatte, am Leben zu bleiben, wenn El Vascos Plan klappte.
Der Preis war Verrat.
Mit den englischen Freibeutern hatten die Basken nichts zu schaffen, wohl aber mit den Geusen. Hier in der „Linterna Roja“ hatten die Holländer schon mehr als einmal Vorräte übernommen. Und es war Jan Joerdans’ „Hoek van Holland“ gewesen, die damals in der Stiefelbucht Gian Malandrès und seiner Gruppe den Weg freigeschossen und die Männer an Bord genommen hatte, bevor die Spanier sie erwischen konnten. Und jetzt würde Gian Malandrès seine Freiheit Jan Joerdans’ Tod verdanken. Wollte er das? Und wollte es ihr, Vater? Miranda schluckte schwer und dachte daran, daß wohl jeder jeden Preis für die Freiheit zu zahlen bereit war, wenn die Spanier irgendwelches Wissen bei ihm vermuteten, das es ihm zu entreißen galt.
„Du weißt, was du zu tun hast?“ fragte der Baske mit einem scharfen Blick in das bleiche Gesicht des Mädchens.
Miranda nickte. „Ich weiß es, Manòs. Werdet ihr – versuchen, die Spanier zu täuschen?“
„Versuchen wohl. Aber ich bezweifle, daß sie sich täuschen lassen. Sie werden Zug um Zug vorgehen wollen, und ich fürchte, El Vasco bleibt nichts übrig, als sich den Bedingungen zu beugen.“
„Es ist nicht recht, Manòs. Es ist einfach nicht recht! Wenn wir nur eine andere Wahl hätten!“
„Wir haben keine. Los jetzt, Miranda!“
Schweigend wandten sie sich ab.
Das Mädchen hielt die Lampe und umklammerte mit der anderen Hand die Pergamentrolle. Ihre dunklen Augen wirkten wie erloschen, sie bemühte sich verzweifelt, nicht länger nachzudenken.
Dan O’Flynn hielt den Atem an.
Seine blauen Augen flammten vor Wut, in dem braungebrannten Gesicht bildeten die Lippen einen harten, blutleeren Strich. Er mußte an sich halten, um seinen kochenden Zorn nicht explodieren zu lassen, während sie sich lautlos von der schweren Bohlentür des Weinkellers zurückzogen.
Sekunden später glitten sie wieder durch die schräge Luke ins Freie.
Aus der Schenke drangen Gemurmel und ein leises Klirren. Offenbar tranken die drei Basken noch ein Glas Wein, bevor sie aufbrachen. Hastig entfernten sich Pieter Ameland und der junge O’Flynn von dem Haus und huschte im Bogen zurück zu dem Kieferwäldchen, wo ihre Kameraden warteten.
„Diese