Seewölfe Paket 1. Roy Palmer

Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer


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den lächelnden Hasard mißtrauisch. „Bist du bereit oder gibt’s wieder Ärger?“

      „Ich bin bereit.“

      Hasard streckte die Hände vor.

      Der Profoß trat an ihn heran und schloß die Eisenmanschetten auf.

      „Ich muß dir aber jetzt die Hände auf den Rücken fesseln.“

      „Bitte sehr“, sagte der Seewolf, „aber es ist wirklich nicht nötig. Wenn ihr mich nachher an die Wanten fesselt, genügt das. Den Gang bis dahin würde ich gern ungefesselt gehen.“

      „In Ordnung“, sagte der Profoß und mußte sich wieder auf die Lippen beißen, um nicht „Sir“ hinzuzufügen. Edwin Carberry, eisenharter Mann und Zuchtmeister auf der „Marygold“, geriet in Verwirrung.

      Fing er an, auf seine alten Tage weich zu werden? Mitleid?

      Nein, das war es nicht. Dieser unbeugsame Riese brauchte kein Mitleid, der nicht. Der würde höchstens in seiner unnachahmlichen Art amüsiert lächeln.

      Was war es dann? Verdammt, was war es?

      Und als Carberry es begriff, verfluchte er sich, darüber nachgedacht zu haben. Denn er hatte begriffen, daß für diesen Mann, den sie Seewolf nannten, andere Gesetze galten. Das Zuchtmittel mit der Neunschwänzigen war völlig sinnlos. Ja, genau das war es, es war sinnlos. Genausogut konnte man versuchen, einen Sturm mit einer Muskete aufhalten zu wollen. Auch der Sturm folgte seinen eigenen Gesetzen. Sturm war etwas, vor dem Carberry den gebührenden Respekt des gesalzenen Seemanns hatte, Respekt und Achtung. Man konnte mit ihm kämpfen, aber man mußte höllisch aufpassen.

      Und dieser Seewolf war wie ein Sturm.

      „Gehen wir“, sagte Hasard lächelnd – so, als gelte es, zu einem verrückten Tanz in einer Schenke aufzuspielen.

      Der Profoß nickte und marschierte hinter dem Riesen her, der gebückt – um nicht an die Decksbalken zu stoßen – und dennoch geschmeidig voranging, vorbei an den sechs anderen Männern, die ihre Öllampen hochhielten und sich dann anschlossen.

      Hasard enterte den Niedergang hoch und trat an Oberdeck. Geblendet schloß er die Augen. Das Wasser glitzerte und spiegelte Milliarden Lichtreflexe. Eine sanfte Dünung wiegte sich unter einem beständigen Nordwest, der die „Marygold“ mit Backstagsbrise über Backbordbug liegend unaufhaltsam nach Süden schob. Die Sonne, ein flammender Ball, stand im Südosten und bewegte sich auf den Mittag zu.

      Hasard atmete tief durch, roch in den Wind und reckte sich auf. Ja, das war die salzige See – gestern von tobender, elementarer Zerstörungswut und heute ein sanftes Liebkosen. Eine Möwe segelte mit schrillem Schrei über das Schiff, ließ sich mit ausgebreiteten Schwingen treiben und äugte nach unten. Hasard sah ihr mit zusammengekniffenen Augen nach und beneidete sie, wie sie in die Sonne hochstieg, immer weiter, bis sie in der gelbflammenden Glut nicht mehr zu erkennen war.

      Sie hatten alle Segel gesetzt: vorn unter dem Bugspriet die Blinde, am Vormast Fock und Vormarssegel, am Großmast Großsegel und Großmarssegel und am Besanmast das fast dreieckig geschnittene Lateinersegel mit der riesigen Gaffel.

      Auf dem Deck des Achterkastells standen mehrere Gentlemen und starrten zu ihm hinüber. Unter ihnen auf der Kuhl, dem Deck zwischen Großmast und Vormast, drängte sich die Besatzung.

      Auf der Steuerbordseite bei den Hauptwanten lauerte Gordon Brown, die Neunschwänzige in der Rechten, ein schmieriges, gemeines Grinsen im Gesicht.

      Hasard ging langsam auf ihn zu, den Blick fest auf ihn gerichtet. Hinter sich hörte er den Profoß und die sechs anderen Männer.

      „Er ist nicht gefesselt!“ brüllte Gordon Brown entsetzt und wich zurück.

      „Auch nicht nötig“, sagte der Profoß hinter Hasard wütend. „Halt’s Maul, du Schreihals!“

      Der Seewolf blieb vor Gordon Brown stehen und wartete. Er stand völlig zwanglos und frei, die Beine leicht gespreizt auf dem nach Backbord geneigten Deck. Die sanften Bewegungen des Schiffes balancierte er sich wie immer aus. Sie waren ihm von klein auf vertraut.

      Der Profoß stieg den Niedergang zum Achterkastell hoch und blieb vor einem untersetzten, rotbärtigen Mann stehen.

      „Der Delinquent ist bereit, Sir“, meldete er.

      Der rotbärtige Mann nickte.

      „Dann tun Sie Ihre Pflicht, Profoß.“

      Hasard starrte zum Achterkastell hoch und glaubte zu träumen.

      Dieser untersetzte Mann dort oben mit dem scharfgeschnittenen kühnen Gesicht und den grauen Augen war niemand anderes als Francis Drake, der legendäre Drake, der den machthungrigen Spaniern seinen privaten Krieg erklärt, in der Karibik seine tollkühnen Raids durchgeführt und spanische Schatzschiffe gekapert hatte.

      Dort oben stand er und schaute kühl und gelassen auf den Seewolf hinunter.

      Hasard hätte sich in den Hintern beißen können, aber er tat etwas anderes, und es durchdrang das ganze Schiff vom Heck bis zum Bug und stieg hoch zu den Segeln und Masttoppen. Er legte den Kopf in den Nacken und schickte eine donnernde Lachsalve auf die Reise. Sie drang von tief unten aus seinem mächtigen Brustkasten und grollte wie eine Sturmflut über das Deck der „Marygold“.

      Die Seeleute standen mit glotzenden Augen und verblüfften Gesichtern da.

      Francis Drake runzelte die Stirn, wirkte etwas konsterniert und wandte sich an den Profoß.

      „Muß das sein, Carberry?“

      Der zuckte hilflos mit den Schultern und verstand überhaupt nichts mehr.

      „Soll – soll ich ihn mal fragen?“ fragte er lahm.

      „Fragen Sie ihn.“

      Hasard wischte sich die Tränen aus den Augen und schnappte japsend nach Luft, als der Profoß den Niedergang hinunterstiefelte und sich vor ihm aufbaute.

      Dieser lange Kerl gab ihm Rätsel über Rätsel auf. Er blickte hoch in die lachenden blauen Augen und sagte: „Bist du übergeschnappt, was, wie? Sollst die Neunschwänzige kriegen und lachst dich vorher halbtot. Ist das eine Art? Der Kapitän verlangt eine Erklärung – und jetzt laß dir was einfallen, du Himmelhund!“

      Hasard deutete eine Verbeugung an und lächelte.

      „Meine Empfehlung an Sir Francis Drake, und ich bitte um sein Verständnis. Ich kam nach Plymouth, weil ich gehört hatte, daß der Kapitän Männer braucht. Ich wollte bei ihm anheuern und mich zur Verfügung stellen. Jetzt bin ich bei ihm an Bord, wurde zweimal dafür zusammengeschlagen und stehe noch dazu unter der Anklage wegen versuchter Meuterei!“ Er knuffte dem Profoß die Rechte in die Seite und schrie: „Ist das ein Witz, Profoß, oder ist das keiner?“

      Der Mund Carberrys zuckte, wurde breiter, immer breiter, in seine Augen trat ein heiteres Funkeln – und dann lachten die beiden Männer aus vollem Hals und schlugen sich abwechselnd auf die Schultern.

      Der nächste, der loskicherte, war Donegal Daniel O’Flynn. Er steckte die anderen an, und die „Marygold“ geriet aus den Fugen, als der Lachchor der Männer einsetzte.

      Von allen Schiffen, die auf den Weltmeeren fuhren, war die „Marygold“ in diesen Minuten sicherlich das fröhlichste Schiff, das es je gegeben hatte.

      Francis Drake hielt sich den wackelnden Bauch und stöhnte.

      Nur einer lachte nicht: Gordon Brown.

      Und noch einer – ein dunkler Mann mit dunklen Augen und dunklen Haaren. Er stand gleichgültig zwischen den Seeleuten, denn er war taubstumm und konnte nicht verstehen, warum die anderen lachten und sich wie wildgewordene Affen aufführten.

      Als das Gelächter und Lachen verebbte, trat der Kapitän drei Schritte vor und stützte die Hände auf die Schmuckbalustrade, die den Querabschluß des Decks auf dem Achterkastell bildete.

      „Das Urteil wird revidiert“, sagte


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