Seewölfe Paket 1. Roy Palmer
abwechselnd weit nach vorn griffen und den langen Körper durchs Wasser zogen.
Der Profoß und der Kapitän standen mit offenen Mündern an der Heckgalerie und starrten dem durchs Wasser schießenden Riesen nach, der direkt auf den wild um sich schlagenden Kutscher zusteuerte.
„Wie der schwimmt“, murmelte der Kapitän, „haben Sie so etwas schon mal gesehen, Carberry?“
Der schüttelte den Kopf.
„Nein, Sir. Aber bei dem Seewolf wundert mich nichts mehr.“
„Seewolf?“
„Sie nennen ihn so – seit er vor der ‚Bloody Mary‘ mit Evarts’ Leuten förmlich Ball gespielt hat. Evarts erzählte, dieser Himmelhund habe London-Jack nur mal so eben mit dem kleinen Finger ins Hafenwasser befördert, und mit Tom Smith sei er im Kreis gerannt.
„Im Kreis gerannt?“
Der Profoß nickte.
„Ja, Sir. Er hatte Tom Smith an den Beinen fest im Griff. Dann hat er sich immer schneller im Kreis gedreht und mit Tom Smith alles um sich herum weggesäbelt. Und dann ist ihm Tom Smith aus den Stiefeln gerutscht und davongeflogen – wegen des Schwungs, verstehen Sie, Sir? Da muß soviel Kraft dahintergesteckt haben, daß Tom Smith glatt mit dem Kopf voran durch einen Fensterladen gerast ist …“
„Carberry“, sagte der Kapitän, und seiner Stimme waren die Zweifel anzuhören.
„Bestimmt, Sir, dieser Seewolf ist ein ganz verdammter Satansbraten. Unten in der Vorpiek hat er mir doch glatt einen Augbolzen aus dem Spantholz gewuchtet. Mit dem Ding und der Kette hat er dann die Ratten bearbeitet, da lagen zwei …“
„Carberry“, mahnte der Kapitän. „Was ist denn mit Ihnen los? Bewundern Sie den Mann?“
Der Profoß räusperte sich und starrte über das Wasser. Die „Marygold“ war Überstag gegangen. Die Stimme des Bootsmanns schallte über das Deck.
„Schrickt weg die Schoten, ihr Bastarde – willig, willig, Mann, gib doch lose in den verdammten Tampen, hopp-hopp …“
„Ja“, sagte der Profoß sehr leise, „ich bewundere ihn.“ Er beugte sich weit über die Galerie, um den Mann voraus im Wasser beobachten zu können.
Die „Marygold“ war in einem weiten Bogen herumgeschwungen und segelte raumschots auf die beiden Männer im Wasser zu.
„Na bitte“, sagte er und deutete voraus.
Hasard hatte den Kutscher erreicht, und der schnellte sich gerade wie ein zappelnder Fisch aus dem Wasser, umarmte den Seewolf und verschwand mit ihm unter der Oberfläche. Sekunden später tauchte der Kopf des Seewolfes wieder auf. Er schien nach unten zu greifen, etwas festzuhalten, dann legte er sich auf den Rücken, zog zwischen den Beinen den Kutscher zu sich heran und schob ihn sich auf die Brust.
„So sicher wie ein Säugling an der Mutterbrust“, sagte der Profoß vor sich hin.
Diesmal räusperte sich der Kapitän und verfolgte, wie Hasard den Kutscher mit dem linken Arm festhielt und mit dem rechten rückwärts schwamm – auf die „Marygold“ zu.
„Lassen Sie beidrehen, Profoß“, sagte der Kapitän.
„Aye, aye, Sir.“
Carberry verschwand von der Heckgalerie, raunzte den Rudergänger an, jetzt, verdammt noch mal, Kurs zu halten und brüllte vom Achterkastell Ben Brighton zu, die Segel gegenzubrassen, um das Schiff zum Stehen zu bringen.
Ben Brighton zeigte klar und lüftete seine Decksmannen an, Vor- und Großsegel backzubrassen. Auf diese Weise wurde die Vortriebskraft der Segel aufgehoben, die „Marygold“ verlor an Fahrt und trieb schließlich seitwärts, und zwar so, daß sie Hasard mit dem Kutscher auf ihrer Leeseite hatte.
Hasard schwamm mit dem Kutscher dichter an die „Marygold“ heran und griff nach der Jakobsleiter, die Brighton über die Leeseite hatte wegfieren lassen. Der Bootsmann wollte hinuntersteigen, um Hasard zu helfen, aber der winkte ab.
Er griff nach dem untersten Querholm, zog sich heran, wartete eine Welle ab, die ihn anhob, und enterte mit dem Kutscher unter dem linken Arm an der Jakobsleiter hoch. Das geschah so mühelos, als habe Hasard sein ganzes Leben nichts anderes getan, als tagtäglich halbbesoffene Kerle an Bord zu hieven.
Er stieg mit dem Kutscher über das Schanzkleid, sprang mit ihm an Deck, legte ihn übers Knie und schüttelte ihn wie einen Bettsack.
Der Kutscher ächzte und hustete, spuckte Wasser, röchelte und brüllte schließlich, daß Hasard aufhören solle.
Hasard stellte den Mann auf die Füße und blickte ihn aus zusammengekniffenen Augen an.
„Hör zu, Kutscher“, sagte er. „Wenn man oben im Mast ist, hält man sich mit der einen Hand fest. Die andere ist für die Arbeit da. Wer diese Regel außer acht läßt, ist entweder ein Trottel oder lebensmüde. Ist das klar?“
Der Kutscher hustete und spuckte über das Schanzkleid.
„Lebensmüde bin ich eigentlich nicht“, sagte er.
„Dann bist du ein Trottel“, sagte Hasard. „Außerdem hat einer, der schwimmen kann, bessere Chancen, zu überleben, wenn er mal ins Wasser fällt. Aber wem sag ich das!“
Der Kutscher nieste, und das enthob ihn einer Antwort. Außerdem stieg der Profoß aufs Mitteldeck. Unter dem Arm hatte er eine Flasche.
„Vom Kapitän“, sagte er, ohne Hasard direkt anzusehen. „Ohne dich wäre der Kutscher ja wohl abgesoffen, was, wie?“
Hasard sagte gar nichts. Er schielte auf die Flasche, dachte an den andalusischen Schlaftrunk von dem feisten Nathaniel Plymson und wurde mißtrauisch.
Der Profoß verfolgte Philip Hasards Blick zur Flasche und streichelte sie.
„Schottischer“, sagte er und kriegte lüsterne Augen, „der Kapitän hat da so seine Quellen.“
Er spähte hastig über die rechte Schulter. Aber auf dem Achterdeck stand nur Ben Brighton. Der Kapitän war nicht zu sehen.
„Soll ich mal probieren?“ flüsterte er hoffnungsvoll. „Ich meine, das Zeug ist bestimmt gut, und der Kapitän will euch bestimmt nicht vergiften, ganz bestimmt nicht, aber vielleicht sollte ich doch …“
„Sauf!“ sagte Hasard kurz und bündig.
Das wüste Narbengesicht strahlte vor Entzücken und war drauf und dran, die Moral zu untergraben. Die Decksleute glotzten begehrlich.
Hasard sah es noch rechtzeitig und räusperte sich.
„Kommando zurück“, sagte er. „Vielleicht sollten wir drei mal in der Kombüse nachsehen, was Mac im Topf hat.“
Carberry starrte ihn verblüfft an, dann begriff er und nickte hastig.
„Aye, aye, Sir!“ Diesmal sagte er es tatsächlich und merkte es noch nicht einmal. Und dem Bootsmann rief er zu: „Zurück auf den alten Kurs, Ben, oder dachtest du, wir wollen beigedreht hier überwintern, was, wie?“
„Aye, aye“, sagte Ben Brighton, „zurück auf den alten Kurs.“
Der Profoß schnaufte und marschierte über das Deck zur Kombüse. Hasard und der Kutscher folgten ihm und zogen eine nasse Spur über das Oberdeck.
„Verschwinde!“ sagte der Profoß zu Gordon Brown, der damit beschäftigt war, ziemlich sinnlos in einem Kessel herumzuscheuern, der bereits blank wie der Mond war.
„Mac hat gesagt, ich soll den Kessel scheuern“, erklärte Gordon Brown giftig. „Soll ich den nun scheuern, oder was soll ich?“
Der Profoß zog Gordon Brown von der Backskiste, auf der er gesessen hatte, und schob ihn nach draußen.
„Melde dich beim Stückmeister“, sagte er. „Die Kanonen müssen gereinigt werden. Da kannst du auch scheuern. Laß den Kessel