Seewölfe Paket 1. Roy Palmer
genug weg.
„Du kriegst die Neunschwänzige, hat der Profoß gesagt“, stieß er zischend heraus. „Und weißt du, wer sie schwingen wird?“
„Vermutlich du“, sagte Hasard gleichgültig, und dann setzte er hart hinzu: „Vergiß dabei aber nicht, daß ich bisher immer zurückgezahlt habe. Dein verbrannter Hintern war da nur ein bescheidener Anfang.“
Gordon Brown fluchte wieder und rammte das Schott dicht. Die Riegel rasteten ein, und dann war da nur noch die Finsternis.
Aber nicht lange.
Ein scharrendes Geräusch ertönte vor dem Schott, und wieder schimmerte Licht durch den Spalt zwischen Gräting und Vorpiekschott, allerdings nicht so hell wie zuvor. Die beiden Riegel wurden vorsichtig zurückgeschoben.
Hasard zog die Beine an. Man konnte nie wissen.
Das Schott schwang auf, eine Kerze erschien, und dahinter tauchte die schmale Gestalt von Donegal Daniel O’Flynn auf.
„He!“ sagte Hasard.
„Pst, nicht so laut“, wisperte das Bürschchen. „Ich bin vorhin der Ratte gefolgt und hab alles mitangehört. Dieser Mistkerl!“
„Dan“, sagte der Seewolf sanft, „tu mir einen Gefallen und verschwinde. Wenn sie dich hier erwischen, bist du reif.“
Empört sagte das Bürschchen: „Ich laß doch meinen alten Freund Hasard Killigrew nicht sitzen, verdammt noch mal. Jetzt ist Mitternacht, und bis auf die Wache pennen alle. Aus der Kombüse hab ich Speck geklaut. Ich muß dich wohl füttern, wie? Mann, haben die dich hier festgezurrt. Aber erst kriegst du Wasser, warte mal.“
Er praktizierte die Kerze auf eine Tonne und zog eine Muck unter dem Hemd hervor. Dann zapfte er Wasser ab, beugte sich über den Seewolf und gab ihm zu trinken.
Hasard trank mit tiefen Zügen.
Donegal Daniel O’Flynn schnüffelte und sagte: „Mann, stinkt das hier. Wie hälst du das nur aus?“
„Nicht weiter schlimm“, sagte Hasard. „wenn man nachdenkt, vergißt man alles andere um sich herum. Spürst du die Schiffsbewegungen?“
Das Bürschchen nickte.
„Sie haben einen ganz bestimmten Rhythmus“, sagte Hasard. „Ich bin darauf gestoßen, daß jede fünfte Talfahrt steiler und tiefer als die vier vorigen ist.“
Dan riß die Augen auf und staunte.
„Mann“, sagte er „und wie kommt das?“
„Eben das möchte ich auch wissen“, erwiderte der Seewolf, „und darüber habe ich die ganze Zeit nachgedacht. In der Bewegung der Wellen liegt eine bestimmte Gesetzmäßigkeit, die man ergründen müßte. Die Frage lautet: warum bauen sich die Wellen so und nicht anders auf? Hängt das mit der Wassertiefe zusammen, mit dem Druck des Windes?“
„Mann, Mann“, flüsterte das Bürschchen, „du hast vielleicht Nerven. Hier – nimm mal die Speckscheibe.“ Er stopfte sie Hasard in den Mund und zapfte erneut Wasser in die Muck.
Hasard kaute und fand, daß es ihm eigentlich recht gut ginge – bis auf die beiden Ketten, die seine Arme auseinanderzerrten. Aber man konnte eben nicht alles haben.
„Die Maden habe ich vorher herausgepult“, sagte Donegal Daniel O’Flynn.
„Was?“
„Die Maden in dem Speck“, erläuterte das Bürschchen. „Du brauchst also keine Sorge zu haben, daß du jetzt Maden frißt.“
„Danke“, sagte der Seewolf und mußte grinsen. Dieser O’Flynn-Sohn war eine Marke für sich. Dann fiel ihm etwas ein, und er fragte: „Hat sich der Kapitän von diesem Kasten schon mal auf dem Achterdeck gezeigt?“
Dan schüttelte den Kopf.
„Nicht die Bohne. Die tun alle so geheimnisvoll. Ben Brighton, das ist ein Bootsmann, hat uns heute nachmittag in die Masten gescheucht und mit uns ’rumexerziert. Die Kanonen hat er uns auch erklärt. Bald würde scharf geschossen, hat er gesagt. Der Brighton ist ein feiner Kerl – die anderen sind es eigentlich auch, bis auf Gordon Brown.“
„Gordon Brown?“
„Die Ratte, der Kerl, den du in die Kombüse gefeuert hast. Er hilft doch dem Koch.“ Er schob Hasard wieder. Speck zwischen die Zähne. „Hast du vor morgen Angst, Hasard?“
„Ich? Wieso?“
„Du sollst morgen vor versammelter Mannschaft ausgepeitscht werden – von Gordon Brown.“
„Ach so.“ Hasard lächelte. „Wenn man den Willen aufbringt, kann man Schmerzen ignorieren. Das ist alles.“
Dan nickte wichtig.
„Also habe ich einen Willen. Früher habe ich immer gebrüllt, wenn der Alte mich mit seinem Holzbein verdrosch, aber später habe ich dann die Zähne zusammengebissen und keinen Ton herausgebracht. Und weißt du warum? Weil der Alte sich grün ärgerte, wenn ich nicht mehr brüllte, und die Lust verlor, mich zu verdreschen. Hier, trink noch mal!“
Hasard trank und kriegte anschließend noch eine Speckscheibe in den Mund gestopft.
„Der Profoß hat eine Stinkwut auf dich“, sagte Donegal Daniel O’Flynn, „erst hatte er dich an der Rah aufknüpfen wollen, aber Patrick Evarts, der Segelmacher, war dagegen. Sie brauchen uns wohl, weil zwei Kerle von dem Preßkommando an Land geblieben sind. Sie sprechen alle von dir – wegen der Keilerei vor der ‚Bloody Mary‘, und weil du den Profoß zusammengeschlagen hast. Das hat noch keiner geschafft.“
„Na ja“, sagte Hasard, „viel hat’s mir auch nicht eingebracht.“
„Doch, sagte Dan. „Die meisten stehen hinter dir. Wenn wir wollen, können wir den ganzen Kasten auseinandernehmen. Was meinst du?“
„Abwarten“, erwiderte der Seewolf.
„Ich könnte doch versuchen, die Manschetten an deinen Handgelenken aufzubrechen“, schlug Donegal Daniel O’Flynn vor.
„Womit denn? Die sind aus Eisen, und der Profoß hat den Schlüssel. Laß den Unsinn, Dan. Ich stecke morgen meine Prügelstrafe ein und damit basta. Was dann wird, werden wir sehen. Und dann verbiete ich dir, für mich Kopf und Kragen zu riskieren. Ist das klar?“
„Aye, aye, Sir. Ich meine ja auch nur ...“
Drei Minuten später verschwand Donegal Daniel O’Flynn und riegelte das Vorpiekschott wieder ab.
Irgendwann in der Nacht wurden die Stampf- und Schlingerbewegungen der „Marygold“ geringer und zu einem sanftem Wiegen. Philip Hasard Killigrew entspannte sich, soweit das überhaupt ging. Jedenfalls brauchte er nicht mehr zu befürchten, wie ein Katze ersäuft zu werden. Das stinkende Bilgewasser schwappte nur noch träge unterhalb der Gräting.
Dann erschienen die Ratten.
Zu sehen war nichts, aber da war das Pfeifen. Und dann spürte es der Seewolf. Ein länglicher Körper huschte über seinen Fuß, etwas scharrte an seiner Hose, und plötzlich stach ein nadelscharfer Schmerz durch sein rechtes Bein.
Philip Hasard Killigrew krümmte das Bein und schleuderte es – den Oberkörper qualvoll hochgebogen – wieder in die Streckung zurück.
Etwas quiekte schrill auf, klatschte gegen das Schott und fiel auf die Gräting. Noch einmal quiekte es und erstarb. Unzählige Pfeiftöne schnitten durch die Finsternis, an dem Schott wimmelten Leiber durcheinander, die sich scharrend und kratzend und fiepend bewegten.
Der Seewolf hämmerte seine Stiefel auf die Gräting und ließ seine Beine wirbeln, fegte mit ihnen über die Gräting, trat und stieß zu.
Wenn die Bestien an ihm vorbeihuschten und sich in seinen Hals verbissen, dann würde er in diesem Loch elend verrecken. Unkontrollierte Angst schoß in ihm hoch. Er tobte und riß an den Ketten, zog sich hoch, wälzte sich herum, trat mit den Füßen