Seewölfe Paket 27. Roy Palmer
Mit der „Santa Barbara“ konnten sie durch die Brandung nicht hindurch, aber mit der Jolle würde es klappen.
Hasard hatte erst vor, einen Teil der Insel zu runden, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen, doch er unterließ es, als er den wilden Hunger in den Gesichtern seiner Männer sah. Sie waren ganz versessen darauf, an Land zu gehen, um wieder einmal festen Boden unter den Füßen zu haben, Kokosnüsse zu pflücken und Trinkwasser zu suchen.
Wie die Insel hieß, der sie sich näherten, wußte allerdings niemand. Sie kannten sie nicht. Aber das war vorerst auch unwichtig. Diese Insel bedeutete Leben.
„Wir gehen vor der Korallenbank vor Anker“, sagte der Seewolf. „Und dann sehen wir uns genau um.“
Die Segel wurden aufgegeit, Carberry und drei andere lauerten schon darauf, den Anker zu setzen. Sie alle hatten es furchtbar eilig. Aber das war nach der langen Reise auch kein Wunder. Von der Insel erhofften sich alle das Paradies.
Als der Anker Grund faßte, war es für alle wie eine Erlösung.
Die große und die kleine Jolle wurden abgefiert. Den Arwenacks kribbelte es in den Fingern, wenn sie das nahe Land sahen.
„Wer darf denn alles an Land?“ erkundigte sich der Profos eifrig.
„Jeder, der will. Zwei oder drei Männer werden allerdings zurückbleiben. Sie können dann später an Land gehen und sich umsehen.“
Ben Brighton, Will Thorne und Old O’Flynn blieben freiwillig zurück. Die anderen enterten mit freudigem Gebrüll in die Jollen ab.
„Vorsicht bei der Brandung“, warnte Dan O’Flynn. „Wenn ihr nicht genau die richtigen Wellen abpaßt, landet ihr im Bach.“
Aber solche läppischen Kleinigkeiten störten sie nicht. Carberry, Ferris Tucker, Matt Davies und Luke Morgan knüppelten die Jolle durch das Wasser und konnten die Landung kaum noch erwarten. Es dauerte ihnen auch viel zu lange, die richtige Welle abzupassen, denn in der Brandung gab es einen gewissen Rhythmus, der das Hindurchgleiten ermöglichte.
Vor ihnen rauschte und donnerte es laut. Gerade brach sich die Welle mit Getöse. Alles verschwand sekundenlang in einer riesigen Wolke aus hochstiebender Gischt.
„Ha, die setzt uns genau am Strand ab“, prophezeite der Profos, als das nächste schaumige Ungetüm herandonnerte.
Er hatte sich jedoch verrechnet, der Profos. Das erwartungsvolle Grinsen verging ihm von einem Augenblick zum anderen.
Die donnernde Walze erfaßte die Jolle, hob sie hoch und trieb sie brüllend und schäumend vor sich her. Die Arwenacks hielten die Luft an und warteten gottergeben, denn das war das einzige, was sie jetzt noch tun konnten. Zwei, drei Sekunden lang hofften sie noch, das brüllende Monstrum würde sie in rasender Fahrt weiterschieben. Dann erkannten sie ihren Irrtum.
Urplötzlich kippte die Welle um. Ein riesiges Gebirge türmte sich auf, donnerte, brüllte und zischte wie ein rasender Höllenhund.
Der Profos brüllte mit. Er brüllte, die anderen sollten sich festhalten, doch seine Brüllerei wurde mühelos von dem gewaltigen Brausen übertönt. Sie hielten sich sowieso ganz automatisch fest und ließen erst los, als die Jolle unter Wasser gedrückt wurde.
Dann wurde es ziemlich eng für sie. Ferris schoß wie ein Hai durchs Wasser, wurde hin und hergedreht und fand sich Augenblicke später dicht vor dem Strand wieder. Der Profos stieß wie ein angesengter Hammerhai aus dem Wasser, schnappte empört nach Luft und griff haltsuchend um sich. Aber da gab es keinen Halt, nur Schaum und brodelnde See. Edwin Carberry ging wieder fluchend auf Tiefe. Danach rollte er wie eine Kugel auf den Strand zu. Als er sich erhob, warf ihn die folgende kleinere Welle noch einmal um.
„Ei, ei, das war aber knapp“, brummte er. „Wo ist denn die Jolle geblieben?“
Die Jolle trieb kieloben in der See. Kräftige Fäuste packten zu, drehten sie um und schoben sie zum Strand.
Die andere Jolle war noch unterwegs, hatte die Brandung geschafft und näherte sich ihnen. Carberry tönte schon wieder herum.
„Da sieht man mal, was richtige Schlagmänner sind. Wir waren jedenfalls zuerst am Strand, was, wie?“
„Und was habt ihr davon?“ fragte Dan O’Flynn trocken.
„Ja, was haben wir davon?“ murmelte der Profos und wischte sich das Salzwasser aus dem Gesicht. „Immerhin haben wir den Besitzanspruch auf diese Insel, die wir als erste betreten haben.“
Darüber freuten sie sich alle, weil sie jetzt eine neue Insel hatten. Daß die aber schon besetzt war, ahnte zu diesem Zeitpunkt noch keiner.
„Ist es dann gestattet, euer Land betreten zu dürfen?“ erkundigte sich Dan ironisch.
Der Profos gestattete es huldvoll. Dann setzte er zu einem schnellen Spurt auf die Kokospalme an.
Da hingen sie, die Dinger, verheißungsvoll mit ihrer frischen Milch und dem saftigen Fruchtfleisch. Ed, Ferris, Matt und Big Old Shane begannen, an dem kräftigen Stamm zu rütteln. Sie taten das mit einer Kraft, als wollten sie die Palme aus dem Boden rupfen. Hoch über ihnen im Wipfel rauschte es dumpf, dann begann es zu regnen, schöne schwere Kokosnüsse.
Boing! Der Profos hörte etwas krachen und sprang zur Seite. Leider war er nicht schnell genug. Er sah auch noch einen rötlichen Nebel und wackelte taumelnd herum. Sein Blick war etwas durcheinandergeraten, und so stolperte er von einem zum anderen.
„Der Büffel muß doch immer alles mit Gewalt angehen“, hörte er eine tadelnde Stimme. „Und dann wundert er sich, wenn ihm was auf die Glocke fällt.“
Wie durch einen Schleier hindurch sah er die Kerle grinsen und feixen. Wahrhaftig, da war ihm tatsächlich eine Kokosnuß auf den Dachstuhl gefallen.
„Mann, hab’ ich heute ein Pech“, murmelte er erschüttert. Aber dann griff er hastig zu, als ihm Matt Davies eine Nuß reichte, die er gerade aufgeschlagen hatte.
Schlürfend standen rund dreißig Kerle am Strand und labten sich voller Behagen. Eine Nuß nach der anderen wurde geköpft und leergetrunken. Die zurückgebliebenen Männer auf der „Santa Barbara“ wunderten sich lediglich darüber, daß die Kerle die Schalen nicht gleich mitfraßen. Die Schlürferei war bis an Bord zu hören.
Hasard und der Kutscher ließen sofort weitere Nüsse zusammentragen und zu einem Haufen aufschichten. Dann pullten vier Mann mit der kleinen Jolle zurück an Bord und luden die Kostbarkeiten ab, damit die anderen nicht so lange warten mußten.
Dann wurde die erste Exkursion vorgenommen. Trinkwasser sollte gesucht werden.
„Die Insel verspricht einiges“, sagte Hasard. „Sie ist bergig, und es wird meiner Ansicht nach tiefeingeschnittene Täler geben. Dort werden wir ganz sicher auch Trinkwasser finden.“
Einer der Gipfel war von hier aus schon zu sehen. Seine Spitze war in feinen Nebel gehüllt, er war mindestens tausend Yards hoch, wie allgemein geschätzt wurde.
Der Kutscher blieb nach einigen Schritten stehen und deutete voraus.
„Brotfrüchte“, sagte er heiser. „Brotfruchtbäume mit Früchten. Die haben wir schon einmal auf einer Insel im Pazifik gefunden. Allein damit löst sich eins unserer größten Probleme.“
„Jetzt fehlt nur noch Fleisch“, sagte Paddy Rogers, aber da warf ihm der Kutscher einen so strafenden Blick zu, daß Paddy seine Freßsucht vergaß und krampfhaft schluckte.
Sie besahen sich die Brotfruchtbäume aus der Nähe und waren dankbar für diese Gabe der Natur. Ohne diese Insel hätten sie nicht mehr sehr lange durchgehalten.
Als sie weitergingen, stießen sie immer wieder auf neue Überraschungen und konnten sich kaum sattsehen. An einer Stelle fanden sie einen kleinen Wald voller Brotfruchtbäume, jeder etwa fünfzehn Yards hoch und mit schweren Früchten behangen. Aber auf der Insel wuchsen auch Papayas, Bananen, Mangos und Taro, wie sie voller Freude zur Kenntnis nahmen.
Der