Seewölfe Paket 27. Roy Palmer
bestand darin, daß Rumpf und Planken ständig mit Seewasser übergossen wurden.
Hin und wieder war ein trockenes Knacken im Holz zu hören, oder ein Block knarrte. Das waren – abgesehen von ihren eigenen Stimmen – die einzigen Laute weit und breit.
Die Stille in der unendlichen Weite des Pazifiks war körperlich spürbar, seit die vertrauten Geräusche verschwunden waren. Da war nicht einmal mehr das Gluckern von Wasser zu hören – oder der Wind, wenn er durch die Takelage pfiff. Auch das Raunen der See war verschwunden und der entsetzlichen Stille gewichen.
Die Kalme hielt an, und die See blieb glatt wie ein Spiegel. Sobald sich einmal das Wasser auch nur leicht kräuselte, sprangen sie hoch und starrten sich die Augen aus. Aber das war kein Wind, vielleicht hing es nur mit einer unterseeischen Strömung zusammen.
Als auch der Proviant gekürzt wurde, murrte zwar niemand, dafür waren sie viel zu einsichtig und diszipliniert, aber die Stimmung wurde noch schlechter.
Ständig wechselten die Ausgucks, und so manch hoffnungsvoller Blick richtete sich auf die Kimm. Doch jedesmal wurde eine Enttäuschung daraus.
Sie befanden sich irgendwo in der trostlosen Weite des riesigen Meeres und kannten nicht einmal genau ihren Standort.
Trinkwasser gab es jetzt nur noch zweimal am Tag. Einmal morgens, dann erst wieder am späten Nachmittag. Das Frühstück fiel ebenfalls sehr sparsam aus, aber zum Glück hatten sie bei der wilden Hitze sowieso keinen großen Hunger. Der Durst war schlimmer.
Die Kalme hielt jetzt bereits dreieinhalb Tage an, und immer noch war kein Ende abzusehen. Der Wind, den sie herbeisehnten, der über Leben oder Tod entschied, blieb weiterhin aus.
„Regnen müßte es“, sagte der Kutscher, „wenigstens ein paar Stunden lang. Dann wäre das Trinkwasserproblem für eine Weile gelöst.“
„Und das Hungerproblem?“ fragte Matt Davies, „wie lösen wir das?“
„Verdursten ist schlimmer. Bevor wir verhungern, sind wir längst verdurstet.“
„Sehr beruhigend.“
„Ja, das ist das einzige, was wir mit Sicherheit annehmen können. Aber wie wäre es, wenn wir es mal mit Angeln versuchen würden?“
„Daran habe ich auch schon gedacht“, sagte Ben Brighton. „Aber zum Angeln brauchen wir Köder, und woher nehmen wir die?“
„Salzfleisch vielleicht“, murmelte der Kutscher. „Immerhin können wir es versuchen.“
Nach einer Stunde waren die ersten Angelleinen ausgeworfen und mit Salzfleisch bestückt. Anfangs waren sie noch mit Feuereifer bei der Sache, doch als sich nach zwei, drei Stunden immer noch nichts rührte, verloren einige langsam die Geduld.
Der Kutscher schlug vor, die Leinen zu verlängern. Das wurde getan, aber es brachte keinen Erfolg. Kein einziger Fisch biß an.
„Die haben ja recht, die Außenbordkameraden“, motzte der Profos, „ich an ihrer Stelle würde auch kein ungenießbares und steinhartes Salzfleisch fressen, wenn in der Tiefe bessere Brocken lauern. Die haben doch ihren Tisch gedeckt, die Burschen.“
Sie ließen die Angelleinen auch über Nacht hängen. Am anderen Morgen hingen die Köder unberührt dran. Die Pazifik-Bewohner hatten offenbar einen besseren Geschmack.
Von nun an ging es bergab. Jeden Morgen erwartete sie ein strahlend blauer Himmel, an dem nicht die Andeutung einer Wolke zu sehen war. Das glatte Meer regte sie auf. Wenn sie Durst hatten, dann mußten sie warten, bis ihnen die Zungen zum Hals heraushingen, und wenn sie Hunger hatten, mußten sie ebenfalls warten, bis der Kutscher und Mac ihnen die spärlich bemessenen Rationen zuteilten.
Eines Mittags war plötzlich ein ungewohntes Geräusch in der entsetzlichen Stille zu hören. Wie elektrisiert stürzten die Arwenacks an das Schanzkleid.
Sie sahen einem Schauspiel zu, das sie schon mehr als einmal erlebt hatten.
Tief unter ihnen glitzerte das Wasser wie Silber. Riesige Schwärme kleinerer Fische flitzten aufgeregt dahin. Sie veränderten blitzschnell ihre Richtung, gingen tiefer oder stießen näher zur Oberfläche hoch.
Ganze silbrig blinkende Fischschwärme flüchteten in wilder Panik. Einige gerieten der Oberfläche dabei so nahe, daß man sie mit der Hand hätte fangen können.
„Räuber sind hinter ihnen her“, sagte Mac Pellew. Er zuckte zusammen, als ein paar silbrige Leiber blitzschnell aus dem Wasser sprangen. Sie sprangen mehrere Fuß hoch und fielen dann wieder zurück.
„Los, in die Jolle“, sagte Carberry eifrig, „vielleicht fangen wir ein paar der Burschen.“
Die Jolle hing schon seit zwei Tagen außenbords. Sie benutzten sie zum Zeitvertreib, pullten ein wenig um das Schiff oder schwammen in dem kühlenden Wasser.
Die Aussicht, den mageren Speisezettel aufzufrischen und gebackenen Fisch zu essen, beflügelte sie. Sie waren ganz versessen darauf, und ihnen lief schon das Wasser im Mund zusammen.
Ferris, Ed, Smoky und Bill enterten in die Jolle und pullten zu jener Stelle, wo immer wieder mal ein paar Fische aus dem Wasser sprangen. Sie starrten ihnen mit hungrigen Augen nach.
Unter ihnen spielte sich ein Drama in der See ab. Unsichtbare Räuber fuhren wie verrückt in den Schwarm. Sie sahen es daran, wenn winzige Fetzen an die Oberfläche trieben. Die Räuber selbst waren jedoch nicht zu entdecken. Ferris Tucker tippte auf Barracudas, gierige und räuberische Pfeilhechte, die mit ihren scharfen Zähnen Brocken aus den Fischen rissen, dann umkehrten und sie verschluckten.
Dicht neben dem Boot kochte und brodelte das Wasser.
Smoky zuckte zurück, als etwas vor ihm ins Wasser fuhr. Er sah den Pfeil nicht einmal, den Batuti mit seinem Bogen abgefeuert hatte. Er hörte ihn nur ins Meer zischen. An dem Pfeil hing eine dünne Leine aus Kabelgarn. Der Riese aus Gambia hatte auf gut Glück mitten in den quirligen Fischschwarm geschossen.
Als er jetzt die Leine einholte, zappelten am Pfeil zwei mehr als handgroße Fische, was ein lautstarkes „Hurra“ bei den Arwenacks auslöste. Der nächste Schuß brachte ein weiteres Exemplar an Bord, zwei weitere sprangen in ihrer Angst vor den Räubern ins Boot.
An Deck wurde jetzt vor Begeisterung gejohlt, doch dann war der Spuk zu Ende. Er verschwand so schnell, wie er begonnen hatte.
Nur in weiter Ferne zeigte sich noch einmal ein Fisch, dann war alles vorbei.
„Fünf Fische“, sagte der Kutscher, „immerhin fünf Fische. Aber leider werden davon nicht einmal zwei Männer satt.“ Er sah bedeutungsvoll in die Runde und erkannte den Hunger in den Gesichtern. Sie hatten wahrhaftig nicht mehr viel zu essen als das ekelhafte und immer schmieriger werdende Pökelfleisch, ein paar Kastanien und Mais. An den Schiffszwieback mochte er schon gar nicht denken. Der war nur bei Dunkelheit einigermaßen genießbar. Dann sah man die schwarzköpfigen Maden nicht, die sich darin tummelten.
„Na sicher sind es fünf Fische“, sagte Ferris Tucker, „fünf kleine, lausige Fische. Zu mehr hat es nicht gereicht, leider. Aber sollen wir sie wieder ins Meer zurückwerfen, nur, weil keiner davon satt wird?“
Der Kutscher schüttelte den Kopf und sah bedrückt auf die Fische.
„In gewisser Weise ja, Ferris. Wir sollten sie als Köder benutzen, um damit größere Burschen zu fangen. Mit diesen Fischen haben wir einen wirklich guten Köder, das hat die Jagd eben bewiesen.“
„Ein salomonischer Gedanke“, sagte Hasard. „So werden wir es auch halten. Wir nehmen sie als Köder, oder hat jemand Einwände?“
Niemand hatte Einwände, aber angesichts dieser zappelnden Fische glaubte jeder, seinen Magen überlaut knurren zu hören. Sie alle stellten sie sich gebraten oder gebacken vor.
„Also dann – auf zum Angeln!“ sagte Hasard.
Der Profos grinste ein bißchen schief.
„Wir könnten es mal so versuchen