Seewölfe Paket 27. Roy Palmer
An diesem Tag ruhten sie noch aus und verdünnten das bißchen Wasser, das sich noch in den Fässern befand mit ein wenig Seewasser, um es zu strecken.
Am nächsten Morgen wurden beide Jollen vorgespannt, und damit begann ein höllischer Törn, als die „Santa Barbara“ aus der Kalmenzone geschleppt wurde.
Hasard ließ weiter nach Norden trecken, wo er Wind erhoffte. Er mußte sich dabei auf sein Gespür verlassen. Wenn das versagte, dann waren sie erledigt. Aber sie hatten abgestimmt, wie immer in derartigen Situationen, und jetzt pullten sie die Galeone nordwärts.
Jeweils eine Stunde wurde gepullt, dann lösten sie sich ab.
Der Schweiß rann ihnen in Strömen über die Körper, als sie das schwere Schiff durch die glatte See schleppten. Die „Santa Barbara“ ging mit hängenden Segeln auf Nordkurs. Unendlich langsam bewegte sie sich im Takt der Riemen durch die See.
Den ganzen Tag über wurde gepullt. Immer wenn die Ruderer wechselten, legten sich die anderen erschöpft und ausgelaugt hin und schliefen wie Tote.
Sie hatten keinen Blick mehr für das Wasser. Mit gesenkten Köpfen pullten und pullten sie, bis die Körper schmerzten, bis es vor ihren Augen flimmerte und die Muskeln sich verkrampften.
Der Große Pazifik spielte sein tödliches Spiel mit ihnen. Er ließ sie in der bangen Ungewißheit, ob sie es schaffen würden oder nicht, ob sie sich die Seelen aus dem Leib pullten, oder ob sie endgültig auf der Strecke blieben.
Die Sonne schickte sich an, hinter der Kimm zu verschwinden. Hasard wollte das Zeichen zum Aufhören geben, doch die Männer wehrten ab.
„Noch ein paar Stunden“, sagte Carberry müde. „Wir pullen, bis wir nicht mehr können. Es ist vielleicht auch besser, wenn wir künftig nur noch nachts pullen. Dann entgehen wir der Hitze.“
„Eine gute Idee“, sagte Hasard, der selbst in der Jolle saß und die Riemen durchs Wasser zog.
Noch einmal legten sie sich in die Riemen, bis die Sonne nur noch ein winziger Strich auf der Wasserfläche war.
Da ließ sie ein Schrei zusammenfahren.
Dan O’Flynn richtete sich in der Jolle auf und zeigte voraus.
„Da vorn kräuselt sich das Wasser!“ brüllte er. „Noch eine knappe Meile, dann haben wir eine schwache Brise.“
Müde Augen richteten sich auf jene Stelle.
„Wahrhaftig“, sagte Hasard, „die See bewegt sich. Es hat den Anschein, als würde sich da tatsächlich etwas tun.“
Die verkrampften Gesichter entspannten sich. Schmerzgebeugte Rücken wurden gestreckt. Der Profos spuckte in die riesigen Fäuste.
„Auf“, sagte er heiser, „jetzt wollen wir es wissen. Entweder kriegen wir jetzt Wind, oder uns holt der Teufel. Langt noch mal kräftig ’rein, Männer.“
Die letzten Reserven wurden mobilisiert. Schwielige Fäuste packten zu, und dann brüllten sie ein dreifaches Hurra auf den Seewolf und dessen gutes Gespür.
Das Wasser um sie her kräuselte sich schwach. Über ihre schwitzenden Körper rann sekundenlang ein kühler Schauer. Das Geschenk des Himmels war da, aber es war hart erkämpft worden – bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit.
Die Schleppleinen hingen immer mehr durch, während die Sonne ihre letzten kupferfarbenen Strahlen über das Wasser sandte.
„Zurück an Bord!“ rief Hasard. „Und dann Schleppleinen los! Wir haben es geschafft.“
Jetzt war alle Müdigkeit wie weggeblasen. Die Augen leuchteten wieder, und die Hoffnung gab ihnen neuen Mut und Zuversicht.
In aller Eile wurde an Bord gepullt, die Jollen wurden auf gehievt.
Die Brise war deutlich spürbar, frisch und versprach neues Leben. In den Segeln war wieder Bewegung. Äolus blies hinein und straffte sie.
„Weiter auf Nordkurs“, sagte Hasard. „Wir brauchen noch mehr Wind, damit wir segeln können.“
„Und Land brauchen wir noch, damit wir leben können“, murmelte der Kutscher. „Aber das eine hängt vom anderen ab.“
Etwas später glitt die „Santa Barbara“ mit halbgefüllten Segeln in die Nacht. Die Arwenacks standen grinsend und erleichtert an Deck und genossen das Fäßchen Rum, das Hasard zur Feier des Tages spendiert hatte.
Zwei Tage nach der Flaute änderte sich ihr Leben und nahm eine neue Wende.
Gleich am frühen Morgen stellten die Ausgucks fest, daß sich voraus an der Kimm offenbar an einigen Stellen Nebel zu bilden begann. An drei Stellen waren Punkte zu sehen, die wie feine Gespinste wirkten, die auf der See zu schweben schienen.
Dan O’Flynn griff nach dem Kieker, Hasard ebenfalls. Sie hatten nur diese beiden Spektive an Bord.
„Eigenartig“, sagte der Seewolf, „direkt merkwürdig. Die Nebel wachsen buchstäblich zusammen. Hoffentlich steht uns da nicht eine neue Flaute bevor. Ich kann das Wort Windstille schon nicht mehr hören.“
Alle starrten gebannt nach vorn, wo jetzt nur noch ein merkwürdig anzusehendes Nebelgespinst auf dem Wasser schwebte. Mal war der weißliche Schleier kompakt, dann zerfaserte er wieder und streckte sich, als verberge sich dahinter etwas.
„Sollen wir darauf zuhalten?“ fragte Pete Ballie.
Hasard zögerte die Antwort hinaus. Schließlich nickte er widerwillig.
„Mal sehen, was es damit auf sich hat. Kann auch eine Untiefe sein, wo das Wasser wärmer ist. Kurs darauf, Pete. Kurz vorher drehen wir ab, falls es eine Nebelbank ist.“
Das seltsame Gespinst zerfaserte wieder. Eine gute Stunde lang segelten sie darauf zu, die Blicke pausenlos nach vorn gerichtet.
Dann brüllte aus dem Großmars die Stimme Blackys los. Er ruderte mit beiden Armen und fiel vor Freude und Begeisterung fast aus dem Mars.
„Land! Land voraus! Oh, verflucht, Mann, wir haben Land.“
Da hielt es niemanden mehr. Sie wußten, daß sie sich auf die Meldung verlassen konnten, aber sie wollten es mit eigenen Augen sehen, daß da tatsächlich Land war – Land, das sie solange entbehrt hatten, so daß sie bereits geglaubt hatten, es gäbe überhaupt kein Land mehr.
Sie flitzten nur so in die Wanten, und dann sahen sie es. Ungläubig blickten sie zu einem langgestreckten weißen Strand. Eine Brandungswelle war zu sehen, die an den Strand anrannte, aber von einem Riff gebremst wurde. An dem Korallenriff schäumte und brodelte das Wasser. Die Welle stürzte mit Donnergetöse darauf zu, brandete wild und schäumend auf und stob als gewaltige Gischtwolke auseinander.
Das Donnern war jetzt schon als leises Brausen zu hören und wiederholte sich in regelmäßigen Abständen.
Der Strand selbst wurde von langen Reihen Kokospalmen gesäumt, die ihre Wedel im frischen Wind bewegten.
„Eine Insel, die unbewohnt zu sein scheint“, meinte Dan zufrieden. Sie konnten sich an dem Anblick nicht satt genug sehen. Vor dem Korallenriff zerstob immer wieder der anfangs so mysteriös erscheinende Nebel und bildete sich an anderer Stelle neu.
Jetzt waren sie alle von freudiger Erwartung erfüllt, denn allein der Anblick der zahlreichen Kokospalmen versprach schon die Rettung aus der großen Misere. Kokosnüsse bedeuteten Leben, denn sie trugen die nahrhafte Milch in sich und das frische Fruchtfleisch, das sie wieder auf die Beine bringen würde.
Unter vollem Preß jagte die „Santa Barbara“ der Insel entgegen, die jetzt immer deutlicher und klarer zu erkennen war.
„Vielleicht bedeutet das auch gleichzeitig frisches, köstliches und kaltes Trinkwasser“, schwärmte der Profos. „Das wäre eine Wohltat, nachdem wir lange Zeit nur brackige und grüne Jauche geschluckt haben.“
Bei dem Gedanken an frisches Quellwasser lief ein erwartungsfroher Schauer