Seewölfe Paket 27. Roy Palmer
entstehen.
Wie ein geducktes Ungetüm lag das Schiff auf dem weißen Sand. Es verströmte einen seltsamen Geruch, eine Mischung aus Seetang, Holz, Teer und Salzwasser. Gleichzeitig strahlte Hitze von dem Wrack nach allen Seiten ab.
Dort, wo das Wrack lag, war der Strand fast hundert Yards breit. Dann stand an seinem Ende eine Palmengruppe, hinter der dichter, urwaldähnlicher Wald begann. Auch von hier aus war wieder der Berg sowie ein kurzer Einschnitt in ein buntblühendes Tal zu sehen.
Sie gingen erst einmal um das Wrack herum, das die See so hoch auf den Strand geschoben hatte.
Der Anstrich aus Teer und Harpüse war abgeblättert, das Holz an vielen Stellen ausgebleicht und gerissen. Manche Risse waren so breit, daß man den Finger durchschieben konnte.
„Kein Name, kein Heimathafen, nichts mehr zu erkennen“, sagte Hasard. „Aber es muß eine spanische Galeone sein, die hier vor langer Zeit strandete oder auf ein Riff lief. Vielleicht gibt uns das Innere etwas mehr Aufschluß.“
Es rührte sich immer noch nichts. Sie hatten wieder einmal das Gefühl, ganz allein auf der Welt zu sein. Es war warm, die Wellen plätscherten leise an den Strand, und über ihnen wölbte sich ein blauer Himmel.
Von der Backbordseite hingen zwei Tampen herab, direkt einladend, wie der Profos feststellte.
„Na, dann wollen wir mal“, sagte er, griff nach dem Tampen und wollte an Bord hangeln.
Der Tampen war aber schon sehr alt, sehr morsch und sehr brüchig. Einen Koloß wie den Profos hielt er nicht mehr aus. Als er hochschwingen wollte, brach der Tampen. Carberry landete fluchend im Sand.
„Lausiger Torfkahn!“ schimpfte er. „Bei den Dons ist aber auch wirklich alles vergammelt.“
Hasard lachte leise und half Carberry wieder auf die Beine.
„Mit der Zeit vergammelt eben alles. Versuch du es mal, Philip“, wandte er sich dann an seinen Sohn.
Philip angelte nach dem anderen Tampen. Der Profos half ein bißchen nach, und gleich darauf befand sich der Junior an Bord.
„Vorsicht an Deck“, warnte Hasard, „die Planken sind morsch. Paß auf, daß du nicht durchbrichst.“
„Die sind noch ganz in Ordnung!“ rief Philip. „Einen Augenblick, ich sehe da ein paar Taue liegen.“
Hasard junior, der es ebenfalls nicht mehr erwarten konnte, enterte bereits mit Hilfestellung auf.
Dann warfen sie Tauzeug über Bord und befestigten es. Auch dieses Tauwerk war brüchig und zu lange der Sonne ausgesetzt gewesen. Erst als sie es doppelt nahmen, konnten auch die anderen vorsichtig aufentern.
Etwas später standen sie alle an Deck und sahen sich neugierig um.
Der Geruch nach Holz und Teer wurde noch intensiver. Das brüchige Deck warf die Hitze zurück. Zwischen den Planken gab es daumendicke Risse, aber sie hielten.
Wo die beiden Masten geblieben waren, ließ sich nicht mehr feststellen. Wahrscheinlich hatte sie die See geschluckt und an einer anderen Stelle angetrieben.
Ein Beiboot befand sich an Bord, eine Jolle mit angeknacksten und geborstenen Planken. Sie war noch verzurrt, hing aber so schief wie das Wrack selbst.
Die Schotten hingen gleichfalls schief in den Scharnieren. Jeder leise Luftzug bewegte sie, und dann gab es ein leises knarrendes Geräusch, das den Profos ruckartig herumfahren ließ.
Das Schanzkleid an der Steuerbordseite war eingedrückt, vermutlich durch die über Bord gegangenen Masten. Überall hatte die Sonne das Holz gebleicht.
Auf irgendeine geheimnisvolle Weise schien das Wrack von Leben erfüllt zu sein, denn jetzt aus allernächster Nähe waren von überall her leise Laute zu vernehmen. Mal war da ein leises Ächzen, dann knarzte ein Schott, oder es knackte in einer Planke.
„Fangen wir vorn an“, sagte Hasard. Er stand auf dem schräggeneigten Deck und warf wieder einen prüfenden Blick zu den Palmen hinüber.
„Ich glaube nicht, daß uns noch irgendeine Gefahr droht. Aber haltet trotzdem die Augen offen und laßt euch nicht ablenken.“
Sie gingen nach vorn. Unter ihren Schritten drückten sich mitunter ganz leicht die Planken durch. Manche knarrten auch bei der leisesten Berührung entsetzlich.
Das Schott vom Mannschaftslogis war aus den Scharnieren gebrochen und lag neben dem Eingang.
Als Hasard vorangehen wollte, hielt er noch einmal inne und sah über die sonnenüberfluteten Decks.
„Der Don hat nur zwei kleine Kanonen“, sagte er. „Folglich war es ein Handelsfahrer – oder ein Schiff, das die Dons zur Erkundung und Entdeckung ausgeschickt hatten.“
Den anderen fiel das auch erst jetzt auf. Da standen auf dem Quarterdeck tatsächlich nur zwei armselige und vergammelte Kanönchen.
„Die langen bestenfalls zum Spatzenschießen“, meinte Carberry. „Damit konnten sie wirklich nicht viel ausrichten.“
Hasard war inzwischen schon die morschen Stufen hinuntergestiegen, die in einen dunklen und fensterlosen Raum führten.
Sie gewöhnten sich jedoch sehr schnell an das Halbdunkel und sahen sich um.
In dem Raum waren eingebaute Kojen, flache Mulden, die blankgescheuert waren. Sonst gab es nichts.
„Keinerlei Klamotten, kein Geschirr, absolut nichts“, staunte der Kutscher. „Das ist ja nicht sehr ergiebig.“
„Sehr eigenartig“, meinte auch Hasard. „Das sieht so aus, als sei das ganz bewußt alles ausgeräumt worden.“
Der Profos, der im Geist schon wieder Knochenmänner vermutet hatte, war’s zufrieden, denn Totenschiffe waren ihm unheimlich, und für Knochenmänner hatte er noch nie was übrig gehabt.
Sehr erleichtert stieg er wieder nach oben.
Als nächstes nahmen sie sich die Kombüse vor, deren Schott ebenfalls nur angelehnt war. Der gemauerte Herd stand noch drin, sonst war da nur gähnende Leere.
Diesmal kratzte sich der Kutscher verblüfft den Schädel.
„Absolut nichts“, sagte er wieder. „Nicht mal ein lausiger Topf oder eine schmierige Pfanne.“
Er riß ein Schapp auf und starrte hinein. Zwei vertrocknete Kakerlaken hatten darin ihr Leben ausgehaucht. Das war alles.
Die Verblüffung der Arwenacks wuchs immer mehr.
„Vielleicht haben sie alles in die Laderäume geschafft“, sagte Dan. „Die sind noch verschalkt und geschlossen.“
Die Zwillinge dachten wieder an Schätze, die sie irgendwo an Bord vermuteten, doch auch sie wurden enttäuscht.
„Wozu sollten sie das getan haben?“ fragte Hasard. „Außerdem würde das beweisen, daß sie dann noch am Leben waren.“
„Ein anderes Schiff kann sie gefunden und mitgenommen haben. Das wäre auch noch eine Möglichkeit. Dann hat man den ganzen Kram eben umgeladen.“
Aber auch mit der Theorie konnte sich der Seewolf nicht so recht befreunden. Irgend etwas Mysteriöses lag über diesem Wrack. Die Verschalkung des Laderaumes war zwar noch intakt, doch an einer Stelle, dicht bei dem zerfetzten Mast, war er geöffnet worden. Dort fehlten ein paar Bohlen.
Carberry war wieder mal als erster Mann vor Ort. Neugierig spähte er in den Laderaum, erwartungsvoll grinsend, weil vermutlich wieder eine Entdeckung bevorstand.
Er entdeckte auch etwas, dann begann er zu schielen und wurde ganz biestig im Gesicht. Mit einem wilden Satz sprang er zurück.
„Knochenmänner!“ ächzte er.
Hasard trat an den offenen Teil und blickte nach unten. Was er sah, ließ auch ihn für einen Augenblick erschauern.
Im Laderaum des Schiffes lagen, hockten oder saßen