Seewölfe Paket 27. Roy Palmer
und wieder schlug er auch wie verrückt aus, oder die Nadel drehte sich.
Der Seewolf hatte alle drei Ausgucks besetzen lassen. Dan O’Flynn leistete dabei den Großteil freiwillig, denn wenn wirklich eine Insel irgendwo auftauchte, dann stand mit Sicherheit fest, daß er sie sah.
Sie brauchten nur ein paar lächerliche Meilen an der Sichtweite von Land vorbeizusegeln, dann liefen sie wieder ins Leere, und das konnte tödlich werden.
Jeder an Bord wußte das, und so wurde mit scharfen Augen und wachen Sinnen pausenlos die Kimm abgesucht.
Die Hoffnung, Land zu entdecken, schien jedoch seltsamerweise immer aussichtsloser zu werden, je weiter sie in den Pazifik vorstießen.
Es war wie verhext, und es wirkte bedrückend, keinen einzigen Seevogel oder mal einen Landstrich zu sehen.
An diesem Tag segelten sie sozusagen in eine neue Flaute.
Noch am Morgen hatte sie der Wind kräftig geschoben, und sie waren mit Steuerbordhalsen, über Backbordbug liegend, gesegelt. Doch dann war Äolus es leid geworden, das kleine Schiffchen weiter über das Meer zu blasen. Vielleicht dachte er auch, daß sich das gar nicht lohne.
Der Atem des Windgottes wurde schwächer und schwächer, bis es nur noch ein leises Seufzen war.
Smoky hockte mit ein paar anderen unter einem Sonnensegel. Zu tun gab es so gut wie nichts, das Schiffchen war in Ordnung und – von außen her gesehen – in einem guten Zustand.
Langeweile kam auf – ein Zustand, den die Seewölfe kaum kannten. Doch hier gab es nichts zu tun. So hatten sie sich die Zeit mit Spielen oder Würfeln vertrieben, doch auch das brachte jetzt keinen richtigen Spaß mehr.
Man sann auf Abwechslung, und die hatte Mac Pellew gebracht, weil der sich über die Kakerlaken geärgert hatte. Da seien ganz besonders bösartige und triefäugige dabei, hatte er versichert. Boshafte Viecher, die es ausschließlich darauf anlegten, nur ihn und keinen anderen zu ärgern.
Natürlich hatte wieder einmal Edwin Carberry die Sache persönlich in die Hand genommen und kurzerhand ein paar der Biester eingefangen, weil Mac sie nicht anfassen mochte.
Jetzt hatten sie drei Kakerlaken „gezähmt“ und ihnen auch noch Namen verpaßt. Eine gehörte dem Decksältesten Smoky, der sie auf den Namen Jonny getauft hatte. Die zweite gehörte Gary Andrews und wurde Benny gerufen. Der Profos hatte seiner Cucaracha den sinnvollen Namen Mac verpaßt, eine boshafte Anzüglichkeit gegenüber dem Zweitkoch. Aber Carberry behauptete unerschütterlich, daß Mac immer einen ganz besonders traurigen Gesichtsausdruck habe, was wohl auf verwandtschaftliche Verhältnisse zurückzuführen sei.
Die drei Kakerlaken hockten auf den warmen Planken unter dem Sonnensegel und warteten ergeben ab. Sie flüchteten auch nicht, wenn sich Hände nach ihnen ausstreckten. Außerdem waren sie satt und vollgefressen von den Abfällen. Sie waren von dunkelbrauner Farbe und hatten verkürzte Flügel. Schön sahen sie nicht gerade aus, aber sie halfen mit, die Langeweile an Bord ein wenig zu vertreiben.
Mac, Jonny und Benny hockten, tiefäugig blickend, auf den Planken und sahen zu, wie der Profos Seewasser in die Waschbalje putzte. Ob sie das überhaupt mitkriegten, wußte der Profos nicht, aber sie mußten mitspielen, weil sie schließlich ebenfalls zur See fuhren und damit dem Kommando Edwin Carberrys unterstanden. Er hatte sich selbst dazu ernannt, weil Hasard und Ben großzügig darauf verzichtet hatten.
Unter dem allgemeinen Gegrinse der Kerle wurde Carberry somit feierlich zum Kakerlaken-Oberbefehlshaber zur See ernannt.
Nachdem der Profos zwei Daumenbreiten Wasser in die Balje geputzt hatte, erklärte er noch einmal die Spielregeln.
„Das Spiel nennt sich Sturmfahrt über den Pazifik“, sagte er. Dann holte er grinsend drei kleine Federn aus der Hosentasche und verteilte sie. Die Federn stammten von Sir John und waren bei der täglichen Reinigung verlorengegangen.
Die Zwillinge Hasard und Philip waren dazu ausersehen, den Kakerlaken die „Segel“ zu setzen und Vierkant zu brassen, was sie auch mit großer Hingabe taten.
Zuerst wurde Benny das Sturmsegel auf den schmalen Rücken geklebt. Er ließ es widerstandslos über sich ergehen, als ihm die Feder auf den Rücken gepappt wurde. Da die Feder knallrot war, unterschied er sich jetzt ganz beträchtlich von seinen Genossen. Außerdem, fand Gary, sah Benny jetzt richtig verwegen aus, fast wie ein kleiner Pirat.
Dann war Jonny an der Reihe und kriegte eine grüne, etwas gekrümmte Feder verpaßt, was seinen Besitzer Smoky mit sichtlichem Stolz erfüllte. Die beiden Kakerlaken wurden wieder auf die Planken gesetzt und glotzten sich erstaunt an.
Der Profos reichte Mac an die Zwillinge weiter. Die klebten ihm eine gekrümmte gelbleuchtende Feder auf den Rücken. Mac ließ das mit traurigen Blicken über sich ergehen. Offenbar mißfiel ihm Gelb.
„Na, die sehen doch prächtig aus“, meinte Carberry. „Natürlich müßt ihr sie als eine Art Galeeren betrachten, denn die Burschen werden kräftig mit ihren Beinen rudern. Hier vorn“, er deutete auf das Ende der Waschbalje, „ist China. Achteraus befindet sich das Festland, von dem sie absegeln werden. Verhältnisse also wie bei uns an Bord. Wer von den drei Piraten zuerst China erreicht, der hat gewonnen. Kursabweichungen können durch leichtes Pusten korrigiert werden. Habt ihr das alle kapiert?“
„Klar!“ rief Smoky. „Und um was geht es? Schließlich können wir die Strapazen nicht umsonst auf uns nehmen.“
Inzwischen hatten sich fast alle Arwenacks um die seltsame Prozession versammelt und hieben sich vor Lachen auf die Schenkel, als sie die drei prächtig gekleideten „Piraten“ auf den Planken sahen. Ein bißchen verstört wirkten die Burschen schon, ganz besonders die Kakerlake Mac, deren Mimik fast betroffen war.
„Die hat tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit Mac“, sagte Sam Roskill erstaunt. „Kaum zu glauben, aber das ist eine Tatsache.“
Mac Pellew stand im Hintergrund und hörte finster zu. Im Geiste versprach er dem dämlich grinsenden Sam Roskill die Hölle auf Erden.
„Sicher, deshalb habe ich sie auch Mac genannt“, erklärte Carberry. „Solche Ähnlichkeiten muß man ausnutzen. Ach ja, um was geht es bei der Sturmfahrt eigentlich? Hm, um ein Goldstück. Oder es werden Wetten abgeschlossen, wer Erster wird.“
„Das halte ich für noch besser!“ rief Smoky. „Grünjonny scheint ein guter Segler zu sein. Dann soll jeder setzen, einverstanden?“
„Die Chancen von Rotbenny dürften noch besser sein“, meinte Gary voller Stolz.
„Gelbmac wird Erster“, widersprach der Profos. „Der untersteht meinem ganz persönlichen Kommando. Dem werde ich Wind in die Segel blasen, bis er backbrassen muß, damit er in China nicht an Land läuft.“
Die Heiterkeit kannte jetzt keine Grenzen mehr. Das, was sich der Profos da ausgedacht hatte, war mal eine feine und abwechslungsreiche Sache. Dabei kam keine Langeweile auf.
Dann wurde gewettet und jeder setzte auf eine der drei federbewehrten Kakerlaken ein paar Münzen.
Auf dem Achterdeck waren Hasard und Ben zwar ebenfalls entzückt von dem tollen Einfall des Profos’, aber da war noch etwas anderes, was sie wesentlich weniger begeisterte. Die Männer auf der Kuhl waren abgelenkt und merkten noch nichts. Hasard ließ sie daher ihr Spielchen auch weiterhin treiben. Es war ja doch nichts zu ändern.
Der Seewolf blickte besorgt in die Takelage. Die Segel standen nicht mehr voll und bei. Ein paar zeigten „Ermüdungserscheinungen“.
Sie blähten sich nicht, killten aber auch noch nicht, sondern fielen fast unmerklich in sich zusammen.
„Sieht wieder mal nach einer Flaute aus“, meinte Hasard. „In ein oder zwei Stunden liegen wir bewegungslos auf dem Wasser.“
„Ja, das sieht wirklich so aus“, bestätigte Ben. „Der Wind wird immer schwächer. Aber gerade eine langanhaltende Flaute können wir uns nicht leisten.“
Hasard lachte kurz und trocken auf.