Seewölfe Paket 27. Roy Palmer
Jetzt aber, als die ersten Brocken in einer langgezogenen Kurve ins Meer rasten, verschwand auch Pete Ballie vom Achterdeck. Es wäre Wahnsinn gewesen, sich an Deck diesem himmlischen Bombardement auszusetzen. Da war ihnen die trügerische Sicherheit unter den hölzernen Planken doch lieber.
Torkelnd, fallend und stolpernd erreichten sie die unteren Räume. Immer noch wurde die Galeone von einer Seite zur anderen geworfen, auf hohe Wellenkämme getragen oder in tiefe Abgründe geschleudert. Niemand konnte sich mehr richtig auf den Beinen halten.
Hasard hatte das Gefühl, als sei das Schiff in einen riesigen Sog geraten, der es ständig um seine Achse wirbelte und auf Tiefe zu ziehen versuchte.
Die „Santa Barbara“ trieb steuerlos in einer kochenden, brüllenden und aufgewühlten See, die sich durch die pausenlosen Eruptionen immer stärker aufheizte.
Kaum unten angelangt, erschütterte auch schon ein harter Schlag die Galeone. Holz krachte und knirschte, grelles Zischen war zu hören, dann ein Knistern, das von weiteren Donnerschlägen überlagert wurde.
„Treffer“, sagte Dan mit zusammengepreßten Lippen. Er duckte sich unwillkürlich, als gleich mehrere Schläge das Schiff erschütterten.
Der Profos wollte an Deck, um nachzusehen, was die Donnerschläge bewirkt hatten. Hasard hielt ihn zurück.
„Ich sehe selbst nach. Bleibt hier.“
„Es ist Wahnsinn, jetzt an Deck zu gehen, Sir“, rief Smoky ihm nach.
Das Schott flog krachend zu. Ein einziger schneller Blick genügte jedoch, um zu erkennen, daß es an Deck hell war. Irgendwo war auch dichter Qualm zu sehen.
Gleich darauf erklang Hasards Stimme. Er mußte laut brüllen, um durch das Donnern verstanden zu werden.
„Feuer an Bord!“
Diese Hiobsbotschaft riß augenblicklich alle hoch. Der Profos drückte es wieder mal drastisch aus.
„’raus mit euch! Jetzt sind wir sowieso im Arsch. Entweder verbrennen wir, oder wir werden an Deck erschlagen. Vielleicht haben wir aber noch eine Chance.“
Die ganze Meute drängte nach, als der Profos das Schott öffnete und an Deck sprang.
Zuerst blieben sie einen Lidschlag lang wie erstarrt stehen. Fast alles hatte sich in der kurzen Zeit verändert.
Der Himmel war dunkel, als sei Nacht. Nur die gewaltige rote Säule stand lodernd und immer wieder explodierend mitten in der See und schleuderte Brocken hoch. Diese Brocken pfiffen ihnen mit einem häßlichen Heulen um die Ohren, und wer von ihnen getroffen wurde, der war so gut wie erledigt, denn sie zischten mit unheimlicher Geschwindigkeit und zerstörerischer Wucht heran.
Die „Santa Barbara“ tanzte und schlingerte immer noch steuerlos in dieser Hölle – und sie brannte an einigen Stellen, wo das flüssige Gestein sie getroffen hatte.
In der Takelage qualmte es. Auf dem Achterdeck flackerte es auf den Planken, und von der Nagelbank am Fockmast loderten ebenfalls kleine Flammen, die nach dem Segel leckten.
Den einen aufflackernden Brand löschte die See, als ein Brecher über das Vorschiff tobte.
Ferris Tucker, Batuti, der Profos und Gary Andrews schnappten sich die Pützen und gingen fast über Bord, als sie Wasser schöpften. Immer wieder wurden ihnen die Beine weggerissen.
Hasard, Dan, Don Juan und Shane waren nach achtern gestürmt und schlugen die Flammen mit allem aus, was sie in die Hände kriegten.
Ein rotglühender Brocken raste auf das Achterschiff zu. Er streifte den Besanmast und zerplatzte in kleine Funken, die über die gesamte Galeone regneten.
Da brüllte Bill los, da fluchte Mac Pellew, und da stieß der bärtige Shane einen erschrockenen Schrei aus, als es in seinem grauen Bart zu knistern begann.
Tausende glühender und messerscharfer Nadeln stachen ihnen in Gesichter, Beine und Arme. Sie bohrten sich wie Feuerameisen in die Haut und hinterließen kleine Brandflecken, die bestialisch schmerzten.
Sie befanden sich mitten im Inferno, und es schien, als hätten sich alle Elemente gegen sie verschworen. Die Luft war zum Atmen zu heiß. Außerdem trug sie schwarzbraune heiße Asche heran, die sich in Augen, Ohren, Nase und Mund festsetzte. Dazwischen brüllte das Meer wie eine Horde hungriger Teufel, und zu allem Überfluß flogen immer noch glühende Brocken heran.
Es wurde ein Kampf auf Leben und Tod in einer Hölle, die nur noch aus kochenden Urgewalten bestand.
Etwas später sahen sie selbst wie wilde rußgeschwärzte Teufel aus. Hemden und Hosen waren versengt. Der Schweiß lief ihnen in Strömen über die Gesichter. Selbst das Wasser, das sich donnernd und brausend über sie ergoß, war keine Erfrischung. Es war mitunter so heiß, daß sie sich wie unter einem Hieb krümmten.
Es war kaum noch etwas zu sehen, außer dem glühenden Licht weit in der See und den immer noch aufflackernden Flammen, die wie aus dem Nichts auf den Planken entstanden.
Hasard hatte winzige Brandwunden im Gesicht. Der Profos war von einem glühenden Brocken am Arm gestreift worden und blutete. Es gab kaum noch einen, der keine Blessuren hatte. Aber bisher war noch keiner ernsthaft getroffen worden oder ausgefallen.
Für die Behandlung der Blessuren war jetzt ebenfalls keine Zeit. Das Wichtigste war, das Feuer zu bekämpfen. Brach ein nicht zu löschender Brand aus, dann waren sie hoffnungslos verloren. Es gab dann keine Rettung mehr in dem flammenden Inferno. Niemand hätte es geschafft, schwimmend die Küste zu erreichen, von der man noch nicht einmal mehr wußte, wo sie sich befand.
Zwei Segel waren aus dem Liek gerissen und wurden geborgen. Besan- und Großmarssegel waren von unzähligen schwarzen Punkten durchlöchert, durch die der heiße Wind pfiff.
Alles Tuch wurde unter lautem Gebrüll weggenommen. Sie brüllten alle und schlugen immer wieder mit den Händen nach den roten Feuersternen, die sich in ihre Haut brannten.
Es sah auch nicht so aus, als würde sich der jetzige Zustand bald ändern oder bessern. Eher wurde es noch schlimmer.
Sie lenzten jetzt als hilfloser Spielball der Elemente vor Topp und Takel. Die See hämmerte unermüdlich auf die Galeone ein, so daß sie in allen Verbänden knackte und krachte.
Hasard versuchte, sich anhand der Magmasäule zu orientieren, doch das erwies sich als unmöglich, denn das Monstrum, das eine neue Insel gebar, wanderte unaufhörlich weiter. Den Kompaß konnte er ebenfalls nicht ablesen, dazu war es zu dunkel.
Irgendwann einmal spürten sie, daß die „Santa Barbara“ immer schneller wurde. Ein gewaltiger Sog bewegte sie rasend schnell fort. Eine riesige Welle tat ein übriges, auf der sie stundenlang mitritten. Dann gab es wiederum nur noch Dunkelheit, heiße Luft und Feuer.
3.
Es war weder Tag noch Nacht. Es war ein Zustand, der sich kaum beschreiben ließ. Niemand wußte, wieviel Zeit inzwischen vergangen war.
Aber sie schöpften wieder neue Hoffnung.
Himmel und Meer waren eins. Es gab keinen sichtbaren Übergang. Auch die Sonne schien nicht.
Der Himmel war von tiefer dunkler Farbe, vermischt mit einem schmutzigen fahlen Gelb in der Mitte. Das Wasser hatte die gleiche Färbung. Die Sicht betrug bestenfalls eine halbe Meile. Von da an verwischte alles zu einem konturlosen Gespinst. Sie befanden sich in einer Art Dunstglocke, deren Umfang nicht abzuschätzen war.
Die Decks waren dunkelgrau von herabgeregneter Asche, die mit dem überkommenden Seewasser eine dicke Schmiere gebildet hatte.
Dazwischen gab es überall schwarze Brandflecken.
Immer noch trieb die „Santa Barbara“ auf einer Dünung, die sie eilig durch die See schob.
Nach der harten Schufterei hatten sie abwechselnd jeder ein, zwei Stunden vor Erschöpfung