Seewölfe Paket 7. Roy Palmer

Seewölfe Paket 7 - Roy Palmer


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es kein Entweichen mehr gab. Nur die Dunkelheit hatte ihre Aktion unterbrochen. Die Nacht war der traute Verbündete der Seewölfe.

      Hasard hockte sich so hinter die Tür, daß sie zu ihm hin aufschwingen und ihn verdecken mußte. Er sah zu seinen Männern. Eine Absprache war nicht nötig, nicht einmal ein Winken oder Zeichengeben. Ihr gemeinsames Handeln war in vielen Einsätzen erprobt, jede Bewegung, jede Positionsnahme gleichsam zur Routine eingeschliffen, wenngleich jedes Unternehmen seine ureigenen Abläufe hatte und von ihnen verlangte, daß sie sich blitzschnell darauf einzustellen wußten.

      Eben das war es. Sie waren schnell. Ungemein schnell.

      Dan und Blacky nahmen die jweils äußerste Ecke der Galerie an Back- und Steuerbord ein. Carberry, Smoky und Ferris Tucker kauerten sprungbereit vor der Balustrade und schienen in diesen Sekunden in sich zusammenzukriechen, um so gut wie möglich mit der Finsternis zu verwachsen.

      „Genießen wir einen Moment die frische Luft“, sagte der Capitán. „Bootsmann, bring die Karaffe mit, wir wollen auf eine erfolgreiche Sache anstoßen. Ein Glas Rotwein, das ist jetzt genau das richtige.“

      Ja, dachte der Seewolf, ich finde auch, das ist ein großartiger Einfall.

      Die Tür öffnete sich. Sie prallte fast gegen ihn. Kaltblütig und voll Berechnung hockte er da. Als die Gestalt des portugiesischen Kapitäns die Deckung der Tür verließ und neben ihm erschien, schoß Hasard hoch.

      Ungefähr zur selben Zeit schritt Lucio do Velho auf einem kleinen, unbedeutenden Eiland rund hundert Meilen nördlich von Formosa auf einem Plateau vor seinen Untergebenen auf und ab. Er hatte die Hände hinter dem Rücken ineinandergelegt und gab sich den Anschein eines Mannes, der in tiefschürfende Erwägungen verstrickt war. Dies war eine seiner beliebtesten Posen, wie die Mimik überhaupt sein ein und alles war.

      Drei Männer waren sein Publikum.

      Drei – dabei hatte seine Mannschaft aus fast vier Dutzend erfahrenen Seeleuten und Soldaten bestanden.

      Die Insel war felsig und unwirtlich. Ihre Entdecker hatten ihr seinerzeit nicht einmal einen Namen gegeben, und auch do Velho hielt es für absolut unwichtig, sie jetzt nachträglich zu taufen.

      Auf dem Eiland gab es keine Eingeborenen, keine Tiere und kaum Pflanzen. Ein Fleckchen Erde, vielleicht zwölf, dreizehn Quadratmeilen groß, schroff, karstig, ohne natürliche Attraktionen. Das Plateau stellte den höchsten Punkt dar, es lag vielleicht vierzig Fuß über dem Meeresspiegel, möglicherweise auch ein bißchen mehr.

      In der Nähe gab es ein kleines Wasserloch, die einzige Quelle der Insel. Das Trinkwasser war genießbar. Während der letzten, unendlich erscheinenden Stunden hatten die vier Männer sich wiederholt vor das Loch gelegt und das Naß in sich hineingeschlürft.

      Dieses Wasser – es war zum Leben zuwenig und zum Sterben zuviel.

      Do Velho bemühte sich trotzdem, seiner Miene einen Anstrich der Zuversicht zu geben. Er blieb stehen, wandte sich abrupt den drei Männern zu und sagte: „Und ich erkläre euch, wir schaffen es trotzdem. Wir halten durch. Wir sind zäh und lassen uns nicht unterkriegen.“

      Carlos, ein untersetzter Mann mit großflächigem Gesicht, schaute auf. „Wir haben keinen Proviant, Capitán, vergeßt das nicht. Es gibt nichts zu essen auf der Insel, nicht einmal Wurzeln, die man ausgraben kann.“

      „Und wenn es jagdbares Wild gäbe, könnten wir es nicht erlegen“, warf Ignazio ein. Seine Stirn war gefurcht, seine Augenbrauen fast drohend zusammengezogen. Er stammte aus Porto, ein muskulöser Mann, groß, breitschultrig, mit einem einfältigen Gemüt. „Wir haben eine Pistole“, fuhr er fort. „Und die ist nicht mehr brauchbar, obwohl wir das Pulver getrocknet haben, nachdem wir an Land geschwommen sind. Das Seewasser hat das Schloß ruiniert.“

      „Egal“, erwiderte do Velho wegwerfend. „Wir sind darauf nicht angewiesen. Wißt ihr, wie lange ein Mensch durchhalten kann, wenn er genügend Trinkwasser hat? Bis zu zwei Wochen.“

      Der vierte Mann meldete sich nun zu Wort. Sein hageres Gesicht drückte offene Wut aus. Bislang hatte er sich mühsam bezähmt, aber jetzt konnte er nicht mehr an sich halten. Sein Name war Vicente, er war einer der Stückmeister an Bord des nun zerstörten, versenkten Schiffes gewesen.

      „Capitán“, stieß er hervor. „Eine Woche, habt Ihr doch wohl sagen wollen. Aber welche Bedeutung hat das für uns? Schon morgen können wir uns vor Schwäche nicht mehr auf den Beinen halten. Übermorgen kriechen wir wie todwunde Tiere auf allen vieren. Am fünften Tag schleppen wir uns mit letzter Kraft ans Wasserloch, am sechsten und siebten dämmern wir dem Tod entgegen, am achten werden wir vielleicht endlich von diesem – diesem grausamen Schicksal erlöst.“

      Er sprang auf. „Wir können nicht einmal das Pulver zünden und Feuer entfachen! Nur dasitzen können wir, abwarten, bis der Tod sich zu uns auf die Insel schleicht, sich neben uns hockt und auf den ersten lauert, den er entführen kann. Oder? Oder was gedenkt Ihr zu tun, Capitán?“

      Do Velho lächelte ihn an. „Du hast eine blumige Art, dich auszudrücken, Vicente. Eine Schule hättest du besuchen sollen. Vielleicht wärest du fürs Theater besser geeignet gewesen als für die Seefahrt. Vielleicht hättest du auch einen guten Priester abgegeben. Ja, das wäre möglich.“

      Diese Worte warfen den hageren Mann endgültig aus der Fassung. Zornbebend stand er da. „Hier gibt es noch jemanden, der seine Aufgabe verfehlt hat. So verrückt daherzureden, das kann doch nicht dein Ernst sein, do Velho. Oder doch – es ist dein Ernst. Du hast uns von Anfang an verschaukelt, es ist deine Schuld, daß unsere Kameraden über die Klinge gesprungen sind. Du bist …“

      „Hör auf“, versuchte Carlos ihm das Wort abzuschneiden. „Das hat doch auch keinen Zweck.“

      „… ein Versager!“ schrie Vicente. „Jawohl, ein Versager!“

      Lucio do Velho stand mit leicht abgewinkelten Beinen und stemmte jetzt beide Fäuste in die Hüften. „Wer hat dir die Erlaubnis gegeben, mich zu duzen?“ sagte er nicht besonders laut. „Da muß ein Mißverständnis vorliegen. Vicente, ich fordere dich auf …“

      „Ja!“ brüllte der hagere Mann. „Ein Mißverständnis! Und was für eins! Studiert hat er, unser Senhor Capitán, und ein gebildeter Mann ist er. Kluge, raffinierte Leute müssen her, um die Kolonien unseres Weltreichs zu schützen und Kerle wie den Seewolf zu hetzen. Die alte Garde von dummen Hunden reicht da nicht mehr aus. Aber er ist auf den Arsch gefallen, unser schlauer, studierter Capitán, und jetzt steht er da und weiß nicht weiter.“

      Do Velhos Gesicht war eine bleiche Maske unter dem Mondlicht geworden. „Schluß jetzt. Das geht zu weit. Nimm zurück, was du eben gesagt hast, Bastard. Es ist deine einzige Chance.“ Seine Stimme klang völlig verändert.

      „Vicente!“ rief Ignazio. „Tu, was der Capitán sagt.“ Er war ebenfalls aufgestanden und trat auf den Kameraden zu.

      Vicente zückte seinen Säbel und sprang ein Stück auf dem Plateau zurück. „Bleib mir vom Leib! Ich steche dich nieder, wenn du mir zu nahe kommst!“

      „Du bist ja wahnsinnig!“ schrie Carlos. Etwas wankend erhob er sich.

      Vicente richtete den Säbel auf Lucio do Velho. „Capitán, auch ich gewähre dir eine letzte Chance. Ich wiederhole meine Frage. Was gedenkst du zu unserer Rettung zu tun?“

      Do Velho verengte die Augen zu Schlitzen. Kalt taxierte er den Abstand zwischen sich und dem Aufgebrachten und seine Möglichkeiten. So gesehen, konnte Vicente jeden Augenblick vorstürmen, an Carlos und Ignazio vorbei, und ihm, do Velho, den Säbel in die Brust stechen, ehe er überhaupt die Hand am Degengriff hatte.

      „Ich werde es dir sagen“, erklärte do Velho deshalb.

      „Na los!“ rief Vicente. „Aber ich will keine Durchhalteparolen oder nichtssagende Phrasen hören.“

      Do Velho wies mit der Linken zur Bucht im Südwesten. „Unsere Galeone liegt auf dem Grund der Bucht, aber die Maststangen ragen aus dem Wasser, das heißt, die Wassertiefe ist nicht allzu groß.


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