Seewölfe Paket 7. Roy Palmer
nicht mehr gerechnet hatte.
3.
Nuno Goncalves sah die Gestalt neben sich hochschnellen, und fast gleichzeitig stellte er fest, daß sich in der Dunkelheit vor ihm noch mehr ungebetene Gäste eingefunden hatten. Schemen, die vor der Balustrade kauerten. Selten war die Heckgalerie der „Sao Paolo“ derart belebt gewesen.
Ein Schlag traf Goncalves, ehe er schreien, handeln oder kämpfen konnte. Dieser Hieb, auf seine rechte Flanke gezielt, war so hart, daß er nach Steuerbord katapultiert wurde. Er flog Dan O’Flynn entgegen, und der ließ seinen rechten Fuß hochzukken, wie Sun Lo es ihn gelehrt hatte.
Ein Ruck, der Goncalves’ Körper durchlief, ein erstickter Laut, ein Fallgeräusch, und der portugiesische Kriegsschiff-Kapitän lag ausgestreckt vor Dan auf den Planken.
Ergötzen konnte Dan sich an diesem Anblick allerdings nicht, er mußte den anderen nach. Carberry, Smoky und Ferris Tucker waren wie die Teufel in die Kapitänskammer gestürmt. Hasard wirbelte herum und lief ihnen nach, Blakky schloß sich ihm an.
Der erste Offizier der „Sao Paolo“ hatte seinen Kapitän wie durch Spuk aus dem Rechteck der Türöffnung verschwinden sehen. Sofort hatte er die Hand auf den Griff seiner wertvollen Radschloßpistole fallen lassen. Im Grunde war das die richtige Reaktion, und man mußte es dem schlanken, schneidigen Mann lassen: Er hatte das Rüstzeug eines vollwertigen Kapitäns.
Der Bootsmann klappte den Mund auf und stand für eine Weile ratlos da.
Ein Klotz aus Muskeln, Narben, Häßlichkeit und englischen Flüchen raste auf den ersten Offizier zu. Der zückte die Pistole, um ein Loch in diesen Berg zu brennen, aber Carberry war schneller. Im Eifer des Gefechts vergaß er Sun Lo, die Klosterschüler und den ganzen Kram, den er da oben im Bergkloster vernommen hatte. Er knallte dem Gegner eine brettharte Linke auf den Waffenarm, so daß die Pistole durch den Raum segelte und zu Boden polterte. Die rechte Faust rammte er ihm unters Kinn – nach guter alter Cornwall-Art und wie’s ihm spontan einfiel.
Smoky und Ferris schlüpften an dem zusammenbrechenden Ersten vorbei und erreichten den Bootsmann. Sie nahmen neben ihm Aufstellung, keilten ihn ein, und Ferris raunte dem Entsetzten auf spanisch zu: „Ruhig bleiben. Ich an deiner Stelle würde nichts von dem versuchen, was du vielleicht vorhast.“
Der Bootsmann hatte bereits die Karaffe mit dem Vinho tinto in der linken Hand, wie Nuno Goncalves es ihm befohlen hatte. Seine rechte Hand umspannte einen gläsernen Kelch, den er soeben einem dunkel lackierten Schrank aus kostbarstem Nußbaumholz entnommen hatte.
Ferris nahm ihm die Karaffe ab. Smoky fing das Glas auf, als der Bootsmann es einfach fallen ließ.
„Na, na“, sagte Hasards Schiffszimmermann. „Wir wollen doch nicht, daß hier was kaputtgeht.“
Der Bootsmann stürzte mit einem Aufschrei auf Hasard zu. Blacky und Dan befanden sich hinter dem Seewolf, brauchten aber nicht mehr einzugreifen, weil Hasard den Anrükkenden mit einem einzigen Schlag fällte.
Der Bootsmann hätte gern wie am Spieß geschrien und um sich geprügelt. Statt dessen legte er sich sanft auf den Boden der Kammer.
„Donnerkiel“, sagte Carberry. „Das war ein Hieb, Sir.“
„Waffenloser Kampf“, erwiderte der Seewolf leise. „Langsam kriege ich Geschmack daran.“
„Sun Lo sollte uns sehen“, flüsterte Dan.
Hasard huschte zur Tür, die auf den Gang des Achterkastells führte. Er lauschte, wandte sich dann wieder um und raunte: „Kommt. Noch rührt sich nichts, aber vielleicht ist der Ruf des Burschen an Oberdeck doch vernommen worden.“
Hasard öffnete die Tür und zog den Schlüssel ab, der von innen steckte. Er zwängte sich als erster durch den Spalt in den stockfinsteren Gang. Nichts, das irgendwie Gefahr verkünden konnte, ließ sich im Achterdeck vernehmen. Hasard schlich weiter.
Dan O’Flynn löschte das Licht in der Kammer, damit sie den Schein nicht im Rücken hatten. Blacky, Smoky, Carberry und Tucker waren an ihm vorbei. Er verließ als letzter die Kammer.
Auf dem Gang dachte der Profos: Hölle, es ist nicht leicht, sich so ganz ohne Anhaltspunkte im Dunkeln voranzubewegen, aber, hol’s der Henker, wir haben langsam ja schon Übung darin.
Kurze Zeit darauf hatten sie den Gang hinter sich gebracht. Dan als letzter des kleinen Trupps hatte die Kapitänskammertür von außen zugeschlossen – damit die drei ohnmächtigen Gegner ihnen nicht in den Rücken fallen konnten, wenn sie vorzeitig erwachten.
Hasard drückte das Schott, das auf die Kuhl mündete, vorsichtig auf, aber er konnte es doch nicht verhindern, daß die Eisenangeln ein leises Knarren von sich gaben.
Er verharrte.
Über ihm, an der Schmuckbalustrade, die den vorderen Querabschluß des Achterdecks bildete, standen zwei der vier Deckswachen dicht nebeneinander.
„Hast du das gehört?“ sagte der eine. „Dann habe ich mich eben also doch nicht getäuscht. Erst ein Schrei – jetzt ein deutliches Knarren.“
„Das wird der Capitán sein“, meinte der andere.
„Nein, unmöglich. Warum sollte der schreien?“
„Vielleicht hat er den Ersten angebrüllt.“
„Ich glaub’s einfach nicht. Woher kam das Knarren?“
„Vom Schott“, antwortete der zweite Posten trocken. „Es steht halb offen und wird vom Wind bewegt.“
„Du meinst, alles sei in Ordnung?“
„Ja. Was soll denn schon passieren?“
Eben, was soll schon passieren, dachte auch der erste Posten. Er sann für eine Weile nach, dann gab er sich einen Ruck und sagte: „Trotzdem. Ich gehe kurz ’runter und sehe nach.“
Der andere zuckte mit den Schultern.
Der erste Posten stieg den Backbordniedergang zur Kuhl hinunter, wandte sich nach rechts und sah gerade noch, daß das Schott zum Achterkastell tatsächlich halb offen war. Er wollte sich darüber wundern, denn noch vor ein paar Minuten hatte er es fest verschlossen gesehen. Aber zu solchen oder ähnlichen Überlegungen blieb ihm keine Zeit.
Jemand sprang ihn an.
Hasard hatte das Achterkastell auf leisen Sohlen verlassen und neben dem Backbordniedergang gekauert. Ein Hieb mit der Handkante gegen die Nakkenpartie des Postens genügte, und der Mann sank vor der Hütte zusammen, ohne auch nur den leisesten Laut von sich zu geben.
Ein wenig Licht von der Hecklaterne drang bis auf die Kuhl, aber dicht vor der Querwand der Hütte herrschte schwärzeste Finsternis. Hasard ließ sich neben dem Bewußtlosen nieder, hockte völlig reglos da und wartete ab.
Wenig später verließ auch die zweite Wache das Achterdeck. „He, wo steckst du?“ rief der Mann.
Von der Back meldete sich ein dritter Mann. Er trat an die Querbalustrade über der Kuhl, und fast gleichzeitig erschien neben ihm eine weitere Gestalt. „Was ist los? Warum rufst du?“
„Sirio meint, was gehört zu haben“, brummte der zweite Posten. Er hatte die Stufen des Backbordniedergangs hinter sich gebracht und blieb ganz nah vor Hasard stehen. „Möchte wissen, was der hat. Ich sage euch, er sieht Gespenster.“
Hasard spähte zum Vordeck hinüber. Weitere Wachtposten konnte er nicht entdecken. Vier waren es also. Es galt, die beiden auf der Back außer Gefecht zu setzen, ohne daß sie den Rest der Mannschaft wachtrommeln konnten.
Sirios Kumpan beugte sich ein wenig vor. Offenbar versuchte er zu erkennen, was sich im Dunkel vor der Poop tat.
Hasard hatte Sirios Stimme vorher deutlich genug vernommen, er konnte sie ohne Schwierigkeiten nachahmen.
„Aqui, eis“, raunte er auf portugiesisch. „Hier, hier ist …“
Der