Seewölfe Paket 7. Roy Palmer

Seewölfe Paket 7 - Roy Palmer


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richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf. Sir John verlor den Halt und landete fast auf den Planken. Er fing sich im letzten Augenblick und verließ schimpfend das Häuschen auf dem Quarterdeck.

      „Sir“, begann Carberry in der Absicht, seinen Worten Gewicht zu verleihen. „Willst du dort der königlichen Lissy die Beute abliefern?“

      „Soweit sind wir noch nicht, Ed.“

      „Natürlich steht es mir nicht zu, dir in den Kram zu reden“, fuhr der Profos fort. „Aber, äh, bei unserem letzten Besuch sind wir nicht gerade – zuvorkommend behandelt worden.“

      Hasard musterte ihn aufmerksam. „Abgesehen von unseren Schätzen und der Königin, Ed, zieht es dich manchmal nicht auch nach Old England zurück?“

      „Ich …“

      „Ed“, sagte Old O’Flynn mit süßsaurem Grinsen. „Bald ist Weihnachten. Und beim dicken Plymson gibt’s dann fetten Schweinebraten.“

      „Ach, hör doch auf“, sagte der Profos brummig.

      Hasard sah auf die kleinen Inseln, die Luzon im Norden vorgelagert waren, und prägte sich ihre Namen ein. Er überlegte ein wenig, sah dann wieder zu den Männern und sagte: „Eins wissen wir alle genau. Die Jagd ist noch nicht zu Ende. Die Dons scheinen in dieser Gegend ganz wild darauf zu sein, uns zu packen. Vielleicht hängt das mit unserem Überfall auf die Manila-Galeone zusammen. Wie die ‚Isabella‘ aussieht, scheint sich zumindest in der Umgebung der Philippinen herumgesprochen zu haben. Wir werden immer mehr Feinde im Nacken haben.“

      „Mit anderen Worten, sie sitzen uns auf dem Pelz wie die Zecken am Arsch der Kuh“, erklärte Edwin Carberry.

      Gary Andrews hätte fast losgeprustet, aber er besann sich im letzten Augenblick. Ferris Tucker holte tief Luft, dann entgegnete er: „Das hast du fein gesagt, Ed, wirklich.“

      „Will ich auch meinen“, brummte der Profos.

      Hasard verzog keine Miene. „Manila ist eine Hochburg der spanischen Kolonisation. Trotzdem segeln wir den Dons in den Rachen. Ich will in den Indischen Ozean, und der kürzeste Weg führt westlich an den Philippinen vorbei. Eine offene Frage: Hat jemand Einwände?“

      Er blickte von Mann zu Mann.

      Sie schwiegen.

      Einwände? Nein, die hatten sie nicht, wenn es darum ging, die Spanier zu reizen. Der Seewolf war mal wieder tollkühn genug, keinen Umweg zu wählen. Aber auch seine Achterdecksmänner waren keineswegs bereit, irgendwelche schalen Kompromisse mit dem Feind einzugehen. Und die Männer der Kuhl und des Vordecks waren der gleichen Meinung. Carberry hätte dafür seine Hand ins Feuer gelegt, sofort, auf der Stelle. Er wäre auch bereit gewesen, die Pranke in siedendheißes Wasser zu tauchen, wie’s die Mönche von Formosa bei ihren Übungen taten, oder über glühende Kohlen zu laufen, so felsenfest war er vom Zusammenhalt der Crew überzeugt.

      „Mehr noch“, sagte der Seewolf. „Ich lenke die Verfolger absichtlich auf meine Fährte. Wir müssen sie von Formosa weglocken, damit Sun Lo und seine Glaubensbrüder für einige Zeit Ruhe vor diesen eroberungssüchtigen Kerlen haben.“

      „Gute Idee“, sagte Shane. „Du glaubst also, die letzte heile Galeone aus dem portugiesischen Kriegsschiff-Verband trifft vor der Nordküste ein und fischt die Schiffbrüchigen der ‚Sao Paolo‘ auf?“

      „Ich rechne fest damit.“

      Hasard wußte zu diesem Zeitpunkt nicht, daß noch ein sechster Segler zu dem Verband zählte. Hätte er es erfahren, hätte er sich aber auch nicht gewundert. Sechs, sieben, acht Galeonen – je stärker ein Verband war, desto mehr Chancen hatte er, auf die Dauer gegen Piraten und Korsaren zu bestehen. Die Zahl derer, die Spanien gern etwas von seinem Reichtum entrissen, wuchs ständig, ganz abgesehen von den unterschiedlichen Motiven, aus denen die Kaperfahrten gegen die Flota unternommen wurden.

      Hasard trat mit seinen Männern auf das Quarterdeck hinaus.

      „Etwas anderes“, sagte er. „Donegal ließ es eben anklingen – bald ist Weihnachten. Ich habe Berechnungen angestellt und herausgefunden, daß heute tatsächlich schon Heiligabend ist.“

      Carberry strahlte plötzlich, was seinem narbenverwüsteten Gesicht einen bedenklichen Anstrich gab. „Das muß gefeiert werden — oder, Sir?“

      „Ja. Der Kutscher soll heute nachmittag Whisky und Rum auffahren – und die Kuchen, die er gebacken hat.“

      5.

      Am Nachmittag dieses Tages traf die „Santa Luzia“, die Lucio do Velho und Ignazio, den Mann aus Porto, tatsächlich von dem winzigen Eiland aufgenommen hatte, vor der Nordküste von Formosa ein. Lucio do Velho stand auf dem Achterdeck neben dem Kapitän Braga de Sor, als der Ausguck im Vormars die Boote entdeckte.

      Sein Ruf weckte Alarmstimmung. Vorsichtshalber ließ de Sor klar zum Gefecht rüsten, aber wenig später stellte sich heraus, daß es sich bei den Männern in den beiden großen Booten und der kleineren Jolle um Landsleute handelte.

      Damit nicht genug: Von der „Santa Luzia“ aus erkannte man den Kapitän Nuno Goncalves, den ersten und den zweiten Offizier sowie den Bootsmann von der „Sao Paolo“.

      Sofort ließ der Capitán Braga de Sor alle erforderlichen Manöver für die Übernahme der Schiffbrüchigen durchführen.

      Die erste Frage, die de Sor seinem Rangkollegen Goncalves stellte, als dieser an Bord stieg, lautete: „Wo ist Ihr Schiff, Senhor?“

      Goncalves zuckte mit den Schultern.

      Redseliger wurde er, als kurze Zeit darauf ein zweites Schiff an der Stätte der Begegnung erschien – die „Bahia Blanca“, das fünfte Schiff des Verbandes.

      Die Verspätung, mit der sie auftauchte, war folgendermaßen zu erklären: Kapitän Vincenzo Cunhal hatte zunächst die Überlebenden aus dem Gefecht mit der „Isabella“ aufgesammelt, während die „Sao Paolo“ weiter dem Schiff der englischen Korsaren gefolgt war. Zu den Männern, die sich von dem versenkten Flaggschiff „Bartolomeu Diaz“ und der dritten Galeone „Vasco da Gama“ hatten retten können, gehörte auch der Kommandant des Verbandes: Silvan da Odemira. Er hatte sofort den Befehl über die „Bahia Blanca“ übernommen und die Inseln im Norden von Formosa abgesucht, in der Hoffnung, auf die „Sao Fernao“ von Lucio do Velho und die „Santa Luzia“ des Braga de Sor zu treffen. Anschließend war er nach Süden abgelaufen, hatte jedoch zunächst die Westküste von Formosa erreicht.

      An Bord der „Bahia Blanca“ fand nun eine Versammlung des Kommandanten und der vier Kapitäne statt.

      „Der Seewolf hat die ‚Sao Paolo‘ entführt“, sagte Nuno Goncalves niedergeschlagen. „Anders kann es nicht sein. Sie ist spurlos verschwunden. Seit dem Morgengrauen suchen wir sie – ohne Erfolg.“

      „Unmöglich“, widersprach do Velho sofort. „El Lobo del Mar hat nicht genügend Kerle zur Verfügung, um auch ein zweites Schiff zu bemannen. Außerdem – wenn er eine zweite Galeone gewollt hätte, hätte er schon die ‚Sao Fernao‘ als Prise genommen.“

      „Do Velho“, wandte sich der Kommandant an den Mann mit der mimischen Begabung. „Was ist eigentlich mit Ihrem Schiff passiert?“

      Do Velho schilderte, was sich in der Bucht der kleinen Insel nördlich von Formosa ereignet hatte. Er schloß mit dem Bericht über Vicentes und Carlos’ Meuterei, dann sprach er noch einmal über die „Sao Paolo“: „Ich bin der Ansicht, die Engländer haben sie versenkt. Ich wäre bereit, einiges darum zu verwetten.“

      Silvan da Odemira stand eine Weile fassungslos da. „Vier gut armierte Kriegsgaleonen vernichtet – und auf welche Art! Es ist kaum zu glauben. Ich bin – zutiefst erschüttert.“

      Die Kapitäne und die Offiziere entgegneten nichts. Sie hatten die Befürchtung, von ihrem Comandante für das ganze Mißgeschick verantwortlich gemacht zu werden. Goncalves beschloß im stillen, die


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