Seewölfe Paket 7. Roy Palmer
Die „Isabella“ krängte wieder nach Backbord. Ein Ächzen lief durch den Schiffskörper. Hasard registrierte als erster, was sich plötzlich auf der Kuhl abspielte, und er hatte das Gefühl, ein Hagel von Eispickeln ginge auf seinem Rücken nieder.
Eine der Culverinen auf der Backbordseite der Kuhl hatte sich halb gelöst. Sie wurde nur noch von der einen Brook gehalten, die ein Zurückrollen über Deck verhindern sollte. Im Vorwärtspoltern wurde sie nicht mehr gebremst. Sie donnerte voran und rammte sich mit ihrem vollen Gewicht in die Stückpforte des Oberdecks, daß der Lukensüll fast herausbrach.
Die ganze Zeit über hatte der Seewolf mit . etwas Derartigem bereits gerechnet. Er hielt sich mit aller Macht an den Manntauen fest und hangelte auf dem stark abschüssigen Deck auf den 17-Pfünder zu. Er konnte den Dingen nicht einfach ihren Lauf lassen. Wenn die „Isabella“ zur anderen Seite krängte, konnte auch das zweite Brooktau reißen. Dann raste die Culverine wie ein Riesengeschoß quer über die Kuhl und zerschmetterte an Steuerbord das Schanzkleid, und falls in diesem Augenblick ein Mann im Wege stand, mußte es ihn zermalmen.
Hasard hatte den schweren 17-Pfünder erreicht. Immer noch lag die „Isabella“ auf ihrer Backbordseite, als müsse sie jeden Moment kentern.
Hasard arbeitete mit fliegenden Fingern und versuchte, das lose Brooktau wieder zu belegen. Aber das stieß auf unverhoffte Schwierigkeiten. Das Tauwerk war an zwei Stellen gebrochen. Es war unmöglich, es durch Knoten wiederherzustellen und sich gleichzeitig am Manntau festzuhalten. Hasard fluchte.
Eine Gestalt sauste plötzlich an ihm vorbei – die von Ben Brighton. Es sah so aus, als würde der eigene Schwung den Bootsmann und ersten Offizier über die Oberkante des Schanzkleides befördern. Hasard stieß einen Ruf aus und streckte die Hand aus.
Ben stand ohne Halt für zwei, drei Sekunden auf dem überfluteten Schanzkleid. Er ruderte mit den Armen. Ein Tau hatte er sich um die Hüften geschlungen. Zweifellos wollte er dem Seewolf helfen.
„Ben!“ brüllte der Seewolf.
Ben brachte seinen Oberkörper in Richtung Deck, packte Hasards Hand, zerrte daran – und konnte sich neben ihn befördern. Er atmete auf. Sie hingen in den Manntauen, rollten in aller Eile das von Ben mitgebrachte Tau auseinander und schlangen es um die Hinterpartie der Kanone zwischen Bodenstück und Lafette. Noch steckte der 17-Pfünder in der Stückpforte festgeklemmt. Noch!
Aber dann krängte die „Isabella“ nach Steuerbord. Als sich das Deck in der Waagerechten befand, begann das Geschütz sich aus dem Süll zu lösen. Hasard sprang auf das Schanzkleid zu, warf sich herum, stemmte sich mit den Füßen fest und packte das Brooktau, das die Rückwärtsbewegung der Culverine aufhalten sollte.
Er zerrte daran und verhinderte auf diese Weise, daß die Culverine in Schwung geriet. Sie rollte nur noch ein Stück auf den Hartholzrädern ihrer Lafette in Richtung Kuhlgräting. Dann stand sie.
Ben hatte den Augenblick ebenfalls genutzt und das neue Tau an der Deckshalterung belegt. Man hätte das Tauende in den soliden Augbolzen verspleißen sollen, um ganze Arbeit zu leisten, aber dazu war keine Zeit. Ben zurrte das Tau fest, so gut es ging, Hasard unterstützte ihn. Dann mußten sie von der Culverine ablassen und auf das Achterdecksschott zustürzen, um sich in Sicherheit zu bringen.
Ein Brecher, der alle bisherigen übertraf, wuchs so gigantisch wie eine Kathedrale neben der „Isabella“ hoch und fuhr auf sie zu. Querzuschlagen drohte das Schiff unter dem niederschmetternden Wasserberg, und doch geschah es nicht. Irgend etwas hielt die „Isabella“ immer noch, vielleicht die achtern ausgebrachte Trosse, vielleicht das, was man eine glückliche Fügung nennt. Stöhnend richtete sie sich wieder auf. Sie glitt auf einen schäumenden Wogenkamm hinauf und raste dann wieder in eine Schlucht hinunter, dem schwarzgähnenden Abgrund der Hölle entgegen.
Wie lange stand sie das noch durch?
Hasard stellte sich diese Frage nicht. Er wußte, daß es der Beginn der Kapitulation sein würde. Durchhalten, dachte er deshalb, nicht grübeln, durchhalten!
Er lag im finsteren Achterdecksgang und hatte das Gefühl, seine Knochen einzeln zusammensuchen zu müssen. Den Niedergang war er hinuntergestürzt, danach hatte ihn die Schiffsbewegung ein beträchtliches Stück schliddern lassen.
Ben Brighton – wo steckte er?
„Ben?“ schrie der Seewolf.
Keine Antwort gellte zurück. Hasard schaute zum Schott auf und sah, daß es offenstand. Ein Wasserschwall gischtete herein. Er zischte auf ihn nieder, konnte ihn aber nicht noch mehr durchweichen. Naß bis auf die Haut war der Seewolf, die Kleider klebten ihm am Leib.
Er kroch auf dem Gang entlang. Hin und her warf ihn die Sturmgewalt, aber er hielt nicht an, sondern kletterte die Stufen des Niederganges wieder hoch. Eine furchtbare Ahnung trieb ihn voran. Zweimal rief er Ben Brightons Namen noch. Eine Erwiderung hörte er nicht.
Dann kauerte er oben, in dem offenen Schott, und starrte erschüttert in das Inferno auf Deck. Schwarze Fluten, grau durchsetzt, brodelten auf ihn zu und hüllten ihn ein. Er stemmte sich in dem Viereck fest, brüllte noch einmal Bens Namen – und plötzlich, wie aus weiter Ferne, aus einer unbekannten Region, die weit hinter dem Wüten des Taifuns lag, schien die Stimme des Bootsmanns zu ertönen.
Hasard wußte, daß er sich nicht getäuscht hatte. Er wartete das Abrauschen des Brechers ab, beugte sich dann so weit wie irgend möglich vor – und gewahrte Ben, der sich draußen am offenen Schott festgeklammert hatte. Das Schott schwang hin und her. Ben krachte immer wieder mit der Schulter gegen die Querwand der Hütte, konnte aber nichts weiter tun, als sich an seinem Halt festzukrallen.
„Ben, hierher!“ Hasard hielt ihm die ausgestreckte Hand hin.
Dankbar packte der durchnäßte Mann zu. Seine Augen waren geweitet, in seinen Zügen stand deutlich zu lesen, daß er mit dem Schlimmsten gerechnet hatte.
Hasard riß ihn vom Schott weg, zerrte ihn zu sich in den Gang, kriegte dann das Schott zu fassen und rammte und riegelte es zu. Im Stockdunkeln polterten sie die Stufen hinunter, taumelten durch den Gang und stießen fast mit den Köpfen zusammen.
„Hölle, Mister Brighton!“ rief der Seewolf. „Du scheinst es ja darauf angelegt zu haben, heute nacht auf irgendeine Weise zu krepieren. Was dir lieber, außenbords zu gehen oder dir sämtliche Knochen zu brechen?“
„Die Wahl fällt mir schwer!“ schrie Ben zurück.
7.
Alles konnte man den Seewölfen nehmen, nur ihren Galgenhumor nicht. Auf der Suche nach den Kameraden hörten Hasard und Ben nicht auf, sich anzustänkern. Gab es denn eine andere Möglichkeit, die immer wieder aufsteigende Verzweiflung zu bezwingen?
Im Achterdeck waren die Kameraden nicht zu entdecken, weder in der Kapitänskammer noch in den anderen Kammern. Hasard und Ben mußten in die Frachträume hinunterklettern und unter Lebensgefahr zwischen den unsagbar wertvollen Ladegütern hindurchturnen, die im Begriff zu sein schienen, sich zu verselbständigen.
Es hatte wenig Sinn, die Schatztruhen, die Barren und kostbaren Einzelstücke zusätzlich festzurren zu wollen. In dieser Situation wäre es eine reine Idiotenarbeit gewesen.
Bis ins Vorschiff mußten Hasard und Ben vordringen. Hier, im Mannschaftslogis, stießen sie endlich auf die Männer. Carberry versuchte immer wieder, eine Öllampe in Betrieb zu setzen, aber länger als ein paar Sekunden hielt sich die Flamme nicht.
Die Männer waren dicht zusammengerückt. Ein bißchen Wasser war eingedrungen, es plätscherte hin und her, und draußen war das Brüllen der entfesselten See.
„Wir befinden uns im Zentrum des Taifuns!“ rief Shane.
„Die Spanier nennen es das Zyklonenauge“, erwiderte der Seewolf, während er nach Halt suchte. „Bildet euch bloß nicht ein, daß wir da ungeschoren wieder ’rauskommen.“
„Und das zu Weihnachten!“ brüllte der Profos. „Kutscher,