Seewölfe - Piraten der Weltmeere 227. Fred McMason
Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-563-7
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Inhalt
1.
Dieser 14. Juni 1591 schien ein ganz besonders friedvoller Tag zu werden, dafür sprachen alle Anzeichen.
Die „Isabella VIII.“ segelte mit Dreiviertelwind unter seidig blauem Himmel auf grünlich schimmernden Wogen.
An Backbord lag die Insel Hispaniola als dunkelgrüner Strich. Alles sah verträumt und friedvoll aus, und so hatten die Männer der „Isabella“ auch ausgesprochen gute Laune.
Auf der Kuhl schnitt der alte Segelmacher Will Thorne ein neues Schönwettersegel zurecht. Der Moses Bill half ihm dabei, und wenn es nichts zu helfen gab, dann schaute er dem Segelmacher die kleinen Tricks und Kniffe ab, die der Alte im Schlaf beherrschte.
Seit sie die Silverbank passiert hatten, war ihnen kein einziger Don mehr begegnet. Überhaupt schien es weit und breit kein einziges Schiff zu geben, und die Seewölfe hatten das Gefühl, als segelten sie allein durch das Karibische Meer.
Gegen Mittag wurde die friedvolle Ruhe dann jäh unterbrochen, und ein Ereignis trat ein, mit dem niemand gerechnet hatte.
„Auf Nordnordwest gehen!“ sagte Philip Hasard Killigrew zu Gary Andrews, der am Ruder stand. „Da drüben haben wir schon Cabo Isabela, es wird also langsam Zeit zum Kurswechsel.“
„Auf Nordnordwest gehen“, wiederholte der hellblonde, hagere Gary.
Seine schlimme Narbe über der Brust war im Laufe der Jahre verblaßt, aber jetzt, als er mit nacktem Oberkörper am Ruder stand, sah man sie deutlich als fast weißen Strich.
„Nordnordwest liegt an, Sir“, sagte Gary nach einer Weile, als er Ruder gelegt hatte. „Übrigens, Sir, wir sind nicht mehr weit von Tortuga entfernt. Erinnerst du dich noch?“
Hasard sah Gary Andrews lächelnd an. Mit einer schnellen Handbewegung strich er sich die schwarzen Haare aus der Stirn.
„Und ob, mein lieber Gary. Wer könnte Tortuga jemals vergessen! Das Stichwort Tortuga ist gleichbedeutend mit Caligu, mit Juanita, Alana und dem fetten Diego, dem Kneipenwirt. Aber das liegt schon eine sehr lange Zeit zurück.“
„Diego“, sagte Gary grinsend. „Ob es den wohl noch gibt?“
„Das werden wir spätestens auf der Schlangen-Insel erfahren. Zweihundert Seemeilen noch, dann wissen wir es.“
„Warum sollte es ihn eigentlich nicht mehr geben?“ fragte Gary sinnend. „Er ist ein Kerl, der sich eine Position erschaffen hat, die er auch behält. So eine Art Festung ist er, und er ist kein Gauner wie Nathaniel Plymson. Diego hat sich immer neutral verhalten.“
„Das ist richtig. Vielleicht hat er sich gerade aus diesem Grund immer behaupten und durchsetzen können.“
Hasard blickte auf die Seewölfe, die gerade mit dem Nachbrassen beschäftigt waren. Der Profos Edwin Carberry scheuchte mit grimmigem Gesicht die Männer herum und ließ wieder seine Lieblingssprüche ab, die sich um edle Körperteile drehten.
Dann war es mit der Ruhe vorbei.
Der Seewolf wollte gerade nach achtern in seine Kammer gehen und hatte den Fuß bereits auf die erste Stufe des Niedergangs gesetzt, als ein donnernder Schlag durch die „Isabella“ ging. Es polterte laut, es knirschte und rumpelte, und dann war Stille.
Unmerklich hob sich das Achterschiff, dann glitt der ranke Segler weiter, als wäre nichts geschehen.
Ein Riff, dachte Hasard im ersten Augenblick. Ein Riff oder eine kleine Korallenbank, die sich ganz dicht unter der Wasseroberfläche befand. Und da waren sie rübergeschrammt!
Er warf einen wilden Blick nach oben in den Großmars, wo Luke Morgan Ausguck hatte.
„Verdammt! Hast du nichts gesehen, Luke!“ brüllte der Seewolf mit einer Stimme, die noch mühelos bis zum fernen Küstenstrich zu hören sein mußte.
Luke stand oben hinter der Segeltuchverkleidung und starrte angestrengt in das schaumige Kielwasser, die Bahn aus Blasen, die die „Isabella“ achteraus zurückließ.
Er zuckte deutlich zusammen und schüttelte dann den Kopf.
„Nein, Sir, nichts! Kein Riff, gar nichts! Auch jetzt ist immer noch nichts zu sehen.“
Hasard lief wieder nach achtern zurück und warf einen Blick in das Kielwasser. Aber sosehr er seine Augen auch anstrengte, er sah ebenfalls nichts, nicht die Andeutung eines Riffs, keinen typischen Wirbel im Wasser.
Nun, dann kann Luke ebenfalls nichts gesehen haben, dachte er. Und als Dan O’Flynn die See achteraus mit den Blicken absuchte, entdeckten selbst seine scharfen Adleraugen keine Spur.
„Das könnte auch ein großer Fisch gewesen sein, der uns gerammt hat“, vermutete er. „Ein Wal vielleicht, der anschließend gleich wieder auf Tiefe gegangen ist.“
Er wollte noch etwas hinzufügen, doch dann sah er, daß das Kielwasser einen „Knick“ kriegte, und im selben Augenblick tönte Gary Andrews Stimme.
„Wir laufen aus dem Ruder, Sir!“ schrie Gary. „Anscheinend ist das Ruderblatt gebrochen.“
Dann folgte das, was unbedingt folgen mußte. Es war schon so eine Art Bordgesetz, daß der alte O’Flynn wieder seinen Senf dazugab.
„Das war ein Meermann“, behauptete er hartnäckig, und um das zu bekräftigen, stieß er mit seinem Holzbein hart auf die Planken.
„Ein Meermann, dessen Zorn wir herausgefordert haben“, setzte er noch hinzu. „Diese Burschen können dann fuchsteufelswild …“
„Ich auch!“ schrie Hasard. „Und zwar sofort! Ich will von deinen lausigen Meermännern nichts mehr hören, Donegal Daniel O’Flynn!“
Der Mund des Alten verkniff sich, und seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Wortlos drehte er sich um und humpelte davon. Gleich darauf sah ihn Hasard an der Arbeit.
Inzwischen hatte Ben Brighton das Kommando zum Aufgeien gegeben, denn die „Isabella“ lief immer mehr aus dem Ruder, luvte an, und die Segel begannen zu killen.
Hasard sprang selbst ans Ruder und legte es nach Backbord.
„Der Bolzen ist es nicht“, sagte er, „und verklemmt ist der lausige Quirl ebenfalls nicht.“
Vor noch gar nicht so langer Zeit war ihnen schon etwas Ähnliches bei der Insel der Feuerberge passiert. Da war es ein Baumstamm gewesen, der das Ruder beschädigt hatte. Aber da hatten sie eindeutig gesehen, was passiert war.
Hier ließ sich nur vermuten, daß es ebenfalls ein unter Wasser treibender Gegenstand gewesen sein mußte. Womöglich ebenfalls ein Baumstamm, der sich kurz vorm Absaufen befand und der das Ruderblatt noch einmal erwischt hatte. Vermutlich war er bei diesem Anprall dann auf Tiefe gegangen, so jedenfalls schätzte der Seewolf die Situation ein.
Das Ruder funktionierte wie sonst auch immer, es ließ sich leicht drehen, zu leicht diesmal, und das hieß nichts anderes, als daß ein Teil des Blattes fehlte.
Inzwischen hingen die Segel im Gei, und der Rahsegler dümpelte leicht durch das Wasser.
Der