Seewölfe Paket 18. Roy Palmer
Spanier nickte.
„Si, Señor. Ich kenne sogar einen Platz, der für unser gemeinsames Vorhaben besonders gut geeignet ist. Dort werden wir so sicher sein wie in Abrahams Schoß. Es gibt dort keine Spanier, keine Piraten und auch keine feindlichen Indianerstämme, die uns etwas anhaben können.“
„Na, na“, antwortete Hasard lächelnd, „übertreiben Sie da nicht? Wirklich sicher kann man nirgendwo auf der Welt sein.“ Er ahnte nicht, wie sehr sich diese Bemerkung noch bestätigen sollte.
„Ich spreche die Wahrheit“, beteuerte Marcos mit ernster Miene, „ich, kenne die Küste nördlich unserer jetzigen Position sehr genau, und zwar von mehreren früheren Reisen an Bord spanischer Schiffe. Was ich meine, ist ein großer See, der eine schiffbare Verbindung zum Meer hat. Französische Freibeuter haben ihm vor Jahren den Namen ‚Lake Pontchartrain‘ gegeben.“
Die zweite Bö fauchte über die Decks der „San Donato“, und unwillkürlich zogen die gepeinigten Menschen an Bord die Köpfe ein. Sie spürten, daß Unheil in der Luft lag. Hasard brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, daß die düstere Wand über der südlichen Kimm mittlerweile größer geworden war.
„Marcos hat recht, Señor Killigrew“, sagte Shawano, „wir brauchen einen sicheren Ort, und wir müssen ihn so schnell wie möglich erreichen.“
Der Seewolf nickte gedankenverloren. Man konnte das Für und Wider abwägen, wie man wollte, es blieb doch nur die eine mögliche Entscheidung: Sie mußten diesen Lake Pontchartrain anlaufen. Denn an erster Stelle stand für Hasard die Aufgabe, die Timucua in Sicherheit zu bringen und die Kranken unter ihnen vom tückischen Sumpffieber zu heilen.
Immerhin: Asiaga war wieder völlig genesen. Es bestand also auch für ihre Stammesbrüder und -schwestern berechtigte Hoffnung. Aber es war keine Zeit mehr zu verlieren, das Notlazarett mußte so schnell wie möglich eingerichtet werden.
Denn nach allem, was der Seewolf an Bord der „San Donato“ gesehen hatte, gab es für ihn in einem Punkt nicht mehr den geringsten Zweifel: Eine lange Überfahrt zu den Caicos-Inseln würde noch mehr Tod und Verderben bringen. Vielleicht würde eine solche Überfahrt sogar den völligen Untergang dieser bedauernswerten Menschen bedeuten.
Das Fieber konnte sie alle hinwegraffen, wenn nicht schleunigst etwas getan wurde.
2.
An Bord der „Isabella“ wurde gesägt und gehämmert, daß es eine wahre Freude war. Die Männer waren eins in ihren Gefühlen für das Schiff. Jeder von ihnen trachtete danach, die stolze Lady wieder so herzurichten, wie es ihr zustand.
Wie besessen schufteten sie, um die Gefechtsschäden zu beseitigen. Denn jede Wunde im ranken Leib der Galeone fügte ihnen fast körperlich spürbare Schmerzen zu. Hasard war stolz auf seine Arwenacks, diesen wildverwegenen Haufen. Wahrhaftig, wie Pech und Schwefel hielten sie zusammen und waren mit keiner anderen Crew auf den Weltmeeren zu vergleichen.
Der Anteil, den jeder einzelne Mann an der „Isabella“ hatte, bestand nicht nur in materiellem Wert. Nein, jeder von ihnen war auch mit einem Stück seiner Seele beteiligt.
Während er zurückpullte, ertappte sich der Seewolf bei diesen Gedanken, und er führte es auf das zurück, was er an Bord der „San Donato“ gesehen hatte. Das Schicksal des Indianervolkes hatte ihn bis in die Tiefe seines Herzens getroffen. Es zeigte ihm und sicherlich auch seinen Gefährten, wie glücklich sie sich schätzen konnten.
Sie besaßen ihr eigenes Schiff. Um es bauen zu können, hatten sie mehr als einmal ihr Leben einsetzen müssen. Ja, so manches Mal waren sie mit Todesverachtung mitten in die Hölle gesegelt, um dem Gehörnten am Schwanz zu ziehen. Gern benutzten sie diesen Vergleich, um sich auch selbst vor Augen zu führen, daß ihnen das, was sie an Gold und Geld zusammengetragen hatten, beileibe nicht in den Schoß gefallen war.
Sie hatten ihr eigenes Schiff, und bald würden sie ihr eigenes, freies Leben führen. Was ihnen gelungen war, den Zwängen und der Düsternis des Lebens im alten Europa für immer den Rücken zu kehren, blieb für Tausende von Menschen dort ein unerfüllbarer Wunschtraum.
Philip Hasard Killigrew war sich all dieser Tatsachen in vollem Umfang bewußt, und es erwuchs für ihn die Pflicht daraus, den Timucua auf der Suche nach einem neuen, glückbringenden Lebensraum zur Seite zu stehen.
Gewiß, man konnte ihm und seinen Freunden auf der Schlangeninsel eine Spur von Eigennutz dabei vorhalten. Die Menschen, die sie auf Coral Island anzusiedeln gedachten, sollten schließlich einen vorbestimmten Zweck erfüllen.
Aber diese Menschen würden auch ein freies Leben führen, und den Anbau von Feldfrüchten würden sie nicht als Sklaven betreiben. Wenn man so wollte, wurden sie Lieferanten, die einen Teil ihrer Produktion an die Bewohner der Schlangeninsel weitergaben.
Es war schon so, wie Shawano gesagt hatte: Für die Timucua würde Coral Island in der Tat ein Paradies werden.
Hasard erreichte die Bordwand der „Isabella“. Luke Morgan, Bob Grey und einige andere waren bereits zur Stelle, um die Jolle an Bord zu hieven. Hasard enterte die Jakobsleiter auf. Als er die Pforte im Schanzkleid erreichte, empfing ihn der Profos mit unübersehbaren Sorgenfalten im Narbengesicht.
„Hol’s der Teufel, Sir“, sagte Ed Carberry dröhnend, „aber wenn wir uns nicht schleunigst verdrücken, sehe ich schwarz für unsere Freunde drüben auf dem spanischen Eimer.“ Er deutete erst nach Süden und dann zur „San Donato“, wo bereits der Treibanker auf gehievt wurde.
„Ich weiß“, sagte Hasard und nickte. „Wenn wir Pech haben, holt uns der Sturm trotzdem ein.“ Die schwarze Wolkenwand im Süden hatte sich noch drohender zusammengeballt.
Der Wind hatte indessen weiter aufgefrischt, was zunächst als günstiger Umstand anzusehen war.
Hasard verständigte sich mit Ben Brighton durch ein Handzeichen. Der Erste Offizier der „Isabella“ gab seine Kommandos, während der Seewolf über das Quarterdeck zum Achterdeck aufenterte. Der Treibanker wurde eingeholt, und behende enterten die Männer in den Wanten auf, um Großsegel, Fock, Besan und auch die Marssegel zu setzen. Die Ausbesserungsarbeiten mußten vorerst unterbrochen werden, doch sämtliche Mitglieder der Crew hatten begriffen, daß es wichtiger war, vor dem Sturm abzulaufen – insbesondere mit Rücksicht auf die Indianer an Bord der „San Donato“.
Unter der Anleitung von Marcos und seinen vier Gefährten taten die Timucua-Männer ihr Bestes. Die spanische Galeone ging auf Kurs Nordnordwest und legte sich mit Vollzeug vor den Wind.
Die „Isabella“ folgte im Kielwasser der „San Donato“, und die Arwenacks waren sich ihrer Aufgabe bewußt, die voraussegelnde Galeone nach Süden, Westen und Osten abzuschirmen.
„Dieser Marcos ist ein brauchbarer Bursche“, sagte Hasard, „er übernimmt drüben an Bord die Rolle des Lotsen und wird uns zum Lake Pontchartrain führen.“ In knappen Worten berichtete er, welche Bewandtnis es mit dem See hatte.
„Klingt nicht schlecht“, erwiderte Ben Brighton einsilbig. Ein leiser Zweifel schwang in seiner Stimme mit, und auf seiner Stirn standen deutliche Furchen.
Hasard sah ihn forschend an.
„Dir liegt etwas auf der Zunge, Ben. Das merke ich doch. Warum rückst du nicht damit heraus?“
Der Erste Offizier der „Isabella“ grinste matt.
„Ich will nicht dauernd als Schwarzseher dastehen.“
„Unsinn.“ Hasard schüttelte energisch den Kopf. „Du weißt, daß ich auf deine Meinung immer großen Wert gelegt habe. Und du brauchst dich nicht in eine Ecke zu stellen, in die du nicht gehörst.“
In der Tat war Ben Brighton in manchen Dingen eher übervorsichtig, solange genügend Zeit blieb, über ein Problem nachzudenken. Das hatte sich oftmals ausgezahlt und die Männer an Bord der „Isabella“ vor unbedachten Entscheidungen bewahrt. Galt es allerdings, eine kritische