Seewölfe Paket 18. Roy Palmer
Isidoro hatte nur einmal mit dem Spektiv hinzusehen brauchen, um zu begreifen, daß auch die Engländer ihr Gefechtshandwerk beherrschten. Und sie war prächtig armiert, diese verteufelt schlanke Galeone. Keine leicht zu knackende Nuß, darüber war sich jeder an Bord der „Santa Teresa“ im klaren.
„Haben Sie gesehen, wie sie ihr Schiff nennen?“ fragte der Erste Offizier, ein schlanker Mann mit gepflegtem Oberlippenbart, der seinem Gesicht etwas Blasiertes verlieh.
Don José nickte und stieß einen grimmigen Knurrlaut aus.
„Isabella. Allein das ist eine Unverschämtheit, eine Herausforderung für jeden spanischen Ehrenmann. Sich am guten Namen der Isabella von Kastilien zu vergreifen und ein englisches Schiff damit zu schmücken! Unglaublich!“
Der Erste Offizier grinste süffisant.
„Nun, Señor Capitán, ich denke, diese Unverschämtheit wird unser Auge nicht mehr lange beleidigen.“
„Ich bin ganz Ihrer Meinung.“ Isidoro lachte kurz und trocken. „Wir werden keinerlei Schwierigkeiten haben, das Wettrennen zu gewinnen.“
Der Erste Offizier zog die Stirn in Falten, was ihn noch blasierter aussehen ließ.
„Wenn wir es mit den Briten allein zu tun hätten, wäre ich nicht so sicher, Señor Capitán. Mit Verlaub, dieses Schiff sieht so aus, als ob es uns glatt davonlaufen kann.“
„Das würden sie wahrscheinlich am liebsten tun, diese britischen Hunde“, entgegnete Isidoro lachend, „den Schwanz einziehen und sich verdrücken – das entspricht doch ihrer Mentalität. Aber sie wollen ihre Indianerfreunde nicht im Stich lassen, und das behindert sie. Haben Sie gesehen, was für ein Zustand auf der ‚San Donato‘ herrscht? Diese Rothäute haben doch nur linke Hände.“
„Aber sie haben ein paar fachkundige Verbündete.“
„Verräterpack“, sagte Isidoro zähneknirschend, „für diese Abtrünnigen wird es keine Gnade geben.“
„Ich verstehe nicht“, sagte der Erste kopfschüttelnd, „warum sich die Engländer auf die Seite dieser indianischen Kreaturen schlagen.“
„Das verstehen Sie nicht?“ Isidoro blies die Luft durch die Nase. „Nichts ist erklärlicher als das. Natürlich planen sie eine großangelegte Verschwörung gegen die spanische Krone. Die Rebellion in der Waccasassa-Bucht war immerhin schon ein deutlicher Anfang. Die Britenhunde wiegeln die Indianer gegen uns auf, und sie hoffen, daß wir dann bald mit den Schwierigkeiten nicht mehr fertigwerden. Aber diese Rechnung wird nicht aufgehen. Wir werden ein Zeichen setzen, das sie so bald nicht vergessen.“
Der Erste Offizier nickte. Alles in allem hatte Don José Isidoro recht. Im Verbund mit der lahmen „San Donato“ sah es für die Briten in der Tat schlecht aus. Und bei den jetzigen Windverhältnissen würde es höchstens zwei Stunden dauern, bis sie die „Isabella“ eingeholt hatten und ihr die erste Breitseite verpassen konnten.
Shawano, der alte Mann, wurde von seinem Volk für weise gehalten. Sie hatten ihn zu ihrem Häuptling gewählt, und sie erwarteten von ihm, daß er auf jede Frage eine Antwort wußte. Seit die Fieberepidemie ausgebrochen war, hatte er begriffen, daß seiner Weisheit Grenzen gesetzt waren.
Doch das Seltsame war: Je bedrohlicher die Lage wurde, desto mehr klammerte sich sein Volk an ihn und erwartete von ihm ein Allheilmittel für jedes quälende Problem.
Mit dem Fieber hatte es begonnen. Jetzt aber, auf den Planken dieses großen fremden Schiffes, spürte Shawano seine Grenzen um ein Vielfaches deutlicher. Er erkannte, daß die Welt der Timucua eine enge Welt gewesen war. Wie er hier so auf dem Achterdeck stand, fühlte er sich wie ein billiger Imitator.
War es denn nicht vermessen von ihm, diesen Platz einzunehmen? Einen Platz, den nur Männer von der Art eines Philip Hasard Killigrew wirklich ausfüllen konnten. Er, Shawano, hatte im Grunde kein Recht, sich mit diesem großen Schiff zu schmücken, von dessen Funktion er weniger verstand als die Männer seines Volkes. Gewiß, sie hatten dieses Schiff gebaut und kannten alle Einzelteile, aus denen es zusammengefügt war. Aber mit gutem Grund hatten ihnen die spanischen Unterdrücker nicht mehr erklärt als unbedingt notwendig. Niemals sollten sie den weißen Eroberern ebenbürtig werden.
Shawano wußte in der Tiefe seines Herzens, daß es weder den Timucua noch irgendeinem anderen indianischen Volk jemals gelingen konnte, die Eroberer zu verjagen. Immer würde es so sein, wie es die Timucua in dieser schicksalsschweren Stunde erlebten. Sie würden sich auf der Flucht befinden, mit wachsender Verzweiflung nach immer neuen Lebensräumen suchen und dann doch nur wieder vertrieben werden.
Gewiß, dem Mann, den seine Freunde den Seewolf nannten, konnte es gelingen, sein Versprechen zu erfüllen. Aber waren die Hindernisse, die sich ihm in den Weg stellten, nicht unüberwindbar? Shawano wußte, daß seine Leute – die Gesunden ebenso wie die Kranken – dem Seewolf nur hinderlich waren. Ihrer Unbeholfenheit wegen begab er sich in größte Gefahr. Die „San Donato“ wurde zur verwundbaren Stelle für die stolze „Isabella“, die es unter normalen Umständen niemals nötig gehabt hätte, den Spaniern davonzulaufen.
Shawano brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, daß die spanische Kriegsgaleone zügig aufholte. Die wachsende Bedrohung war fast körperlich spürbar.
Mit brennenden Augen beobachtete der weißhaarige alte Mann das niederschmetternde Geschehen an Bord der „San Donato“.
Rafael, Domingo, José und Mariano, die vier Freunde von Marcos, waren in den zurückliegenden Stunden unermüdlich gewesen. Geduldig hatten sie den Timucua-Männern all das erklärt, was man wissen mußte, um ein so mächtiges Schiff wie diese Galeone zu manövrieren. Anfangs hatte es so ausgesehen, als seien die Schwierigkeiten unüberwindbar. Nach und nach hatten Shawanos Männer aber begriffen, mit der verwirrenden Vielfalt des Tauwerks umzugehen.
Jetzt jedoch, nach dem Kurswechsel, gab es erneut Probleme. Die Spanier wollten sich mit der Stellung der Segel nicht zufriedengeben und schickten die Timucua immer wieder an jene Taue, die sie Brassen und Schoten nannten. Shawano sah, daß seine Männer aufzumucken begannen. Nach der stundenlangen ungewohnten Schinderei waren sie gereizt und müde.
Marcos selbst bediente jenes hölzerne Ding, das sie Kolderstock nannten und mit dem man bestimmen konnte, welchen Weg das Schiff nahm. Shawano hatte indes gelernt, daß für diesen Zweck nicht allein das Steuer maßgebend war. Immer war ein solches Schiff abhängig von der Windrichtung. Je nachdem, wie die Segelstellung war, neigte es sich mehr oder weniger bedrohlich zur einen oder anderen Seite. Der Häuptling hatte gesehen, wie sich seine Leute furchtsam festklammerten, und sie alle hatten begriffen, daß sie sich auf einem wahren Wunderwerk befanden.
Ja, die Errungenschaften des weißen Mannes entstammten einer fernen, unbekannten Welt. Shawano empfand Unbehagen bei dem Gedanken an all das, was sein Volk zu lernen hatte. Sein eigenes Leben war nicht mehr lang genug, das wußte er. Aber den jungen Timucua blieb genug Zeit, um sich das Rüstzeug für eine bessere Zukunft zu verschaffen.
Seit die spanische Galeone aus dem Nebel aufgetaucht war, hatte sich die Stimmung auf der „San Donato“ verschlechtert. Die wachsende Gefahr ließ die Männer unbeherrscht werden. Auf jedes Wort ihrer spanischen Lehrmeister reagierten die jungen Timucua bissig und angriffslustig. Immer lauter wurden die Worte, immer erregter die Gesten.
Shawano begriff nicht, was vor sich ging. Er sah nur, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis ein handfester Streit ausbrach. Woran sich die Gemüter erhitzten, vermochte er jedoch nicht festzustellen. Ihm fehlte die Kenntnis jener Dinge, die die Spanier den jungen Männern seines Stammes so mühevoll beigebracht hatten.
Mit besorgter Miene trat der Häuptling auf den Rudergänger zu. Marcos wandte nur kurz den Kopf, richtete dann den Blick wieder aufmerksam nach vorn.
„Sie werden eingreifen müssen, Shawano“, sagte Marcos, „meine Freunde verlieren die Kontrolle über Ihre jungen Hitzköpfe.“
„Aber warum?“ entgegnete der weißhaarige alte Mann stirnrunzelnd.
„Es gibt mehrere Probleme“, antwortete