Seewölfe Paket 18. Roy Palmer
seines Ersten durch das Heulen des Windes. Sturmlaternen wurden angezündet, und die Lage stellte sich noch schlimmer dar, als man das in der Dunkelheit hätte ahnen können.
Don José Isidoro hatte dieses niederschmetternde Gefühl, daß eine unsichtbare Macht versuchte, ihm den Boden unter den Füßen wegzureißen. Wie tückische Teufelszähne ragten die Riffs aus der brodelnden Wasseroberfläche. Und es gab keine Frage: Bei einem mit voller Kraft entfesselten Sturm wäre die „Santa Teresa“ sofort zerschellt. Dennoch entstand für Isidoro nicht der Eindruck, Glück im Unglück zu haben.
Zuviel war schiefgegangen.
Die verfluchten Britenbastarde und ihre indianischen Verbündeten waren entwischt. An eine weitere Verfolgung war nicht zu denken. Aus und vorbei. Jetzt galt es nur noch, die eigene Haut zu retten.
Die Hoffnung, daß die Gegner vielleicht von einem ähnlichen Schicksal ereilt wurden, blieb für Don José Isidoro weniger als ein schwacher Trost.
5.
Der Seewolf war sich darüber im klaren: Neben der Dunkelheit und dem heraufziehenden Sturm war es vor allem eine gehörige Portion Glück, die sie an diesem Abend vor einem Gefecht bewahrte.
Denn jetzt, da sie sich bereits der Einfahrt zum Lake Pontchartrain näherten, brauchten sie mit den Verfolgern nicht mehr zu rechnen. Auf der „Isabella“ und auch auf der „San Donato“ wurden alle Hände gebraucht, um zu verhindern, daß die Schiffe auf Legerwall gedrückt wurden. Nicht anders konnte es den Spaniern auf der „Santa Teresa“ ergehen, im Gewirr der Inseln mußten sie vollauf damit beschäftigt sein, ihre eigenen Schwierigkeiten zu bewältigen.
Der Südwind gebärdete sich mittlerweile wie wild. Die See schien zu kochen, und Gischtschwaden wurden über die Decks gepeitscht. Längst hatten die Männer auf beiden Schiffen die Segelfläche verringert. Hasard und Ben Brighton mußten höllisch aufpassen, die Tuchfühlung mit der „San Donato“ nicht zu verlieren, die Sturmsegel waren in der Dunkelheit nicht mehr als helle Flecken, verblassenden Irrlichtern gleich.
Pete Ballie, der als Gefechtsrudergänger seinen Platz beibehalten hatte, hielt das Steuerruder mit seinen Fäusten, die so groß waren wie Ankerklüsen und durch nichts erschüttert werden konnten.
Durch die Manntaue gesichert, harrten die Arwenacks auf den Decks aus. Auch auf dem Quarterdeck und dem Achterdeck waren inzwischen Taue gespannt worden. Die Gefechtsbereitschaft war aufgehoben, die Kohlebecken, die jetzt nur noch gefährlich werden konnten, waren gelöscht.
Gemeinsam mit dem Kutscher und Mac Pellew befanden sich die Zwillinge bei Tamao und Asiaga in der Krankenkammer. Auch dort wurde jede Hand gebraucht. Es galt, die Fieberkranken durch Stricke auf ihren Lagern zu sichern und ihnen Mut zu machen. Denn keiner von ihnen hatte jemals die Hölle eines Sturmes auf See erlebt.
Nur für Augenblicke riß die Wolkendecke von Zeit zu Zeit auf. Dann waren die düsteren Küstenabschnitte zu sehen, denen die „Isabella“ und die „San Donato“ bedrohlich nahe waren. Was Marcos und die Indianer leisteten, verdiente Anerkennung. Der Spanier erwies sich als ein hervorragender Lotse, und gemeinsam mit seinen Freunden schafften es die Timucua, die Galeone auf Kurs zu halten.
Nach Hasards Schätzungen befanden sie sich bereits zwischen Ship Island und der Isle au Pitre, also in der Einfahrt zum Lake Pontchartrain.
„Das wird zu riskant!“ brüllte Ben Brighton gegen das Heulen des Südwinds an.
Bens Sorge war mehr als berechtigt, soviel stand fest.
„Hast du einen besseren Vorschlag?“ antwortete Hasard in der gleichen Lautstärke.
„Wir stehen doch direkt vor dem Lake Borgne, wenn ich die Karte richtig im Kopf habe. Nur eine halbe Seemeile, und wir hätten einen sicheren Ankerplatz. Vielleicht ist dieser Marcos zu sehr von sich überzeugt.“
„Wie willst du ihn anpreien?“ rief Hasard. Es war in der Tat unmöglich. Das Heulen des Winds erschwerte die Verständigung schon auf wenige Yards. Überdies erschien es mehr als gefährlich, den Indianern jetzt noch einen Kurswechsel abzuverlangen.
Ben Brighton winkte ab. Er wußte, daß es keinen Sinn hatte. Sie konnten nur beten, daß sie es schafften, bevor der Sturm mit aller Gewalt losbrach.
Auch Hasard hätte dazu geneigt, im Lake Borgne einen Ankerplatz zu suchen. Dieser See war dem Lake Pontchartrain östlich vorgelagert, grenzte also unmittelbar an den Chandeleur Sound. Aber Marcos verfügte über die besseren Ortskenntnisse. Er mußte wissen, was er tat. Durchaus möglich, daß der Lake Pontchartrain den besseren Schutz vor einem Sturm bot.
Während der nächsten Viertelstunde schwoll das Tosen der Naturgewalten deutlich an. Auf beiden Schiffen wurde weiteres Tuch geborgen, und Hasard sah, daß Marcos mit äußerster Vorsicht auf nördlichem Kurs lavierte.
Abermals riß die Wolkendecke auf, nur für die Länge eines Atemzugs.
Die endlose, sturmgepeitschte Weite einer Wasserfläche wurde erkennbar. Doch an Steuerbord erstreckte sich schützendes Ufer. Der beginnende Sturm zerrte an hohen Baumkronen und wühlte sich durch das Unterholz.
Rechtzeitig, bevor es wieder fast stockfinster wurde, sahen Hasard und Ben, wie die „San Donato“ auf Kurs Ostnordost ging. Hart krängte die Galeone nach Backbord, und der „Isabella“ erging es nicht anders, als der Seewolf den neuen Kurs anlegen ließ.
Doch wenige Minuten später war es geschafft.
Marcos steuerte das Halbrund einer Bucht an, in der beide Schiffe in ausreichendem Abstand ankern konnten. Sofort nachdem der Anker geworfen worden war, gab Hasard Befehl, die Geschütze zu entladen. Überkommende Seen würden die Ladungen verderben und man würde zuviel Zeit verlieren, wenn eine erneute Gefechtsbereitschaft notwendig wurde.
Während Al Conroys Männer noch an der Arbeit waren, bargen die übrigen Arwenacks das restliche Tuch. Dann beeilten sie sich höllisch, in den Wanten abzuentern. Denn was da an ihrer Kleidung zerrte und an ihnen rüttelte, war beileibe kein laues Lüftchen mehr.
Auch auf der „San Donato“ waren mittlerweile sämtliche Segel aufgetucht.
Der Südwind schwoll an. Rasend schnell entfesselte er sich zum Sturm, der mit urwelthaftem Gebrüll über Land und See fegte. Auf den beiden Schiffen begaben sich die Männer in Sicherheit. Abgebrochene Zweige wirbelten vom Ufer her über die Decks. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis der Sturm dort drüben die ersten Bäume entwurzelte.
Im untersten Stauraum der „Santa Teresa“ war nichts zu spüren von jenem kalten Atem, mit dem der Sturmwind über die oberen Decks der Galeone fegte. Stickige Hitze umgab die Männer und legte sich wie mit zentnerschweren Lasten auf ihren Brustkorb. Die Ölfunzeln verstreuten trübe Helligkeit, und ihr beißender Rauch verursachte Hustenreiz.
Schon bis zu den Knien standen sie im Wasser.
Aber schlimmer noch als das alles belasteten die ständigen Geräusche. Jedes einzelne traf sie bis ins Mark und zerrte peinigend an ihren Nerven. Da war dieses Gurgeln, verursacht vom hereinströmenden Wasser. Dann das monotone Geräusch der Pumpen, die doch nichts zu bewirken schienen. Mit dem Keuchen und leisen Fluchen der Männer vermischte sich ein Knarren, das von allen Seiten auf sie eindrang und ihnen einen Schauer über die nackten Oberkörper jagte.
Sie fühlten sich abgeschnitten von der Außenwelt, in der der mörderische Sturm tobte. Und sie spürten, wie das Schiff auf jeden Stoß der Naturgewalten reagierte, wie es ächzte und stöhnte und doch den zerstörerischen Kräften hoffnungslos preisgegeben war.
Längst hatten sie den Versuch aufgegeben, das Leck abzudichten. Es befand sich etwa mittschiffs, in unmittelbarer Nähe des Kielschweins. Die scharfen Zähne des Riffs hatten die Planken aufgerissen, als handelte es sich um leicht verwundbare menschliche Haut. Möglicherweise gab es noch mehr Lecks, von denen sie bislang noch nichts wußten.
Mehr als dreißig Männer waren es, die keuchend im Halbdunkel des Stauraums schufteten. Alle hinderlichen