Seewölfe Paket 18. Roy Palmer
Mann ist längst in die Tiefe gerissen worden – vielleicht mit dem Kopf gegen die Bordwand geknallt. Nehmt die Riemen und pullt, verdammt noch mal!“
„Das ist ein Gottesurteil!“ heulte Lloberas. „Ein Zeichen, daß auch wir bestraft werden!“
Im nächsten Moment verstummte er, denn an Bord der „Santa Teresa“ wurde Gebrüll laut. Man hatte ihre Flucht bemerkt. Doch zu spät. Mit aller Kraft legten sich Carrillóns Männer in die Riemen und schafften es, Abstand von der Galeone zu gewinnen. Schußwaffen konnten Isidoro und die anderen nicht einsetzen, denn die Nässe verdarb jede Pulverladung.
Carrillón, der auf der Achterducht kauerte und die Ruderpinne mit eiserner Hand hielt, drehte sich nicht um. Er wußte, daß die Dunkelheit sie schützte. Dann, wenig später, übertönte das Heulen des Sturms jeden anderen Laut. Das Gebrüll von der „Santa Teresa“ war nicht mehr zu hören.
Carrillón stieß einen Triumphschrei aus, und die anderen stimmten mit ein. Doch sie wußten auch, daß sie noch lange nicht in Sicherheit waren. Jederzeit konnten sie vom Sturm gepackt und auf eines der Riffe geschleudert werden. Das Boot hob und senkte sich im Wellengang, und sie hatten das Gefühl, daß der Erfolg ihres Pullens gleich Null war. Aber sie waren sich auch darüber klar, daß sie den entfesselten Naturgewalten hoffnungslos ausgeliefert sein würden, sobald ihre Kräfte nachließen.
Sie zuckten zusammen, als es plötzlich einen harten Schlag gegen den Bootsrumpf gab. Einen Moment erstarrten sie vor Schreck, glaubten das Ende nahe und waren versucht, aufzugeben.
„Pullt weiter!“ brüllte Carrillón. „Verdammt noch mal, reißt euch zusammen!“
Sie gehorchten und verdoppelten ihre Anstrengungen. Der Sargento starrte nach außenbords. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, und er erkannte, daß es sich nicht um ein Riff handelte, auf das sie gekracht waren. Etwas Helles trieb vorbei und kreiselte gleich hinter dem Spiegel der Jolle in einem Strudel.
Carrillón sah, daß es sich um Bootsplanken handelte, zersplittert und nur noch lose zusammengehalten. Ihm wurde klar, was mit dem ersten Beiboot der „Santa Teresa“ geschehen war. Die Decksleute hatten versucht, es zu Wasser zu bringen. Dabei war es vom Sturm gepackt worden und zerschellt.
Carrillón preßte die Zähne aufeinander, daß es knirschte. Alles hing davon ab, daß sie durchhielten – und der Teufel mochte wissen, wie lange. Sobald ihre Kräfte erlahmten und sie sich vor Erschöpfung gehenließen, würden sie ein Opfer der tobenden Gewalten werden. Der Sargento duckte sich so tief wie möglich, um den tückischen Böen wenig Angriffsfläche zu bieten. Ob es ihm gelang, die Jolle auf Kurs zu halten, stand in den Sternen. Aber es reichte schon, wenn sie sich nur von der „Santa Teresa“ entfernten. Denn dorthin durften sie niemals und unter keinen Umständen zurückkehren. Es würde ihren sicheren Tod bedeuten – nicht anders, als wenn sie auf die offene See hinausgetrieben wurden.
Immer wieder mußte Carrillón die vier Männer auf den Duchten antreiben. Es war eine höllische Schinderei, das wußte er. Der Sturmwind fauchte und orgelte über sie hinweg, klatschte Gischt wie mit tausend feinen Nadeln in ihre Gesichter und versuchte, mit zunehmend heftigeren Böen das Boot zum Kentern zu bringen.
Der Sargento und seine Männer verloren jegliches Zeitgefühl. In der Dunkelheit und in der Hölle der tosenden Wasser fühlten sie sich so einsam wie nie zuvor in ihrem Leben. Sehr bald beschlich sie ein Gefühl von Mattigkeit und beginnender Gleichgültigkeit, gegen das sie nur noch mühsam ankämpften.
Doch Carrillón war es, der sie mit seinem Gebrüll immer wieder aufschreckte und ihnen das drohende Ende deutlich vor Augen hielt. Jedesmal gelang es ihm, ihre schwindenden Kraftreserven zu mobilisieren. Doch immer kürzer wurden die Abstände, in denen er sie wachrütteln mußte.
Irgendwann in dieser Stunde, die wie eine Ewigkeit war, knirschte der Kiel des Bootes plötzlich auf Grund. Die Männer begriffen nicht sofort und pullten weiter, als säße ihnen nach wie vor der Gehörnte im Nacken. Doch dann, als auch die Riemenblätter den Grund berührten, erwachten sie jäh aus ihrer dumpfen Erschöpfung.
Felipe Romero begriff es als erster und sprang auf.
„Land!“ schrie er mit sich überschlagender Stimme. „Land, Land! Wir haben es geschafft!“
Eine heranrollende Welle hob das Boot höher ans Ufer, und Romero kippte vornüber zwischen seine Kameraden Lloberas und Hurtado. Vor Freude grölend, lösten sich die Männer aus dem Durcheinander.
Auch Carrillón stimmte jetzt mit ein und ließ sich von dem Freudentaumel gefangennehmen. Dann sprangen sie hastig nach außenbords, tauchten mit ihren nackten Füßen ins seichte Uferwasser und beeilten sich, die Jolle an Land zu ziehen, bis sie vor den gierigen Wogen in Sicherheit war.
Carrillón und die vier Soldaten schafften es noch, den Schutz eines mächtigen Felsvorsprungs zu suchen. Dann sanken sie erschöpft nieder. Keiner von ihnen dachte noch daran, zu ergründen, wo sie sich befanden.
6.
Es war zwei Uhr morgens, als der Sturm endlich abflaute.
Auf der „Isabella“ und auch auf der „San Donato“ wurde es lebendig. Niemand hatte im Toben des Sturms auch nur ein Auge zugetan, und jeder war froh, sich jetzt an Deck begeben und die Nase in die frische Luft recken zu können.
Marcos’ Tip hatte sich als goldrichtig erwiesen. Die Wassermassen des Lake Pontchartrain hatten sich rascher beruhigt als die offene See. Überdies war die Bucht in der Tat ein hervorragend geschützter Liegeplatz. Die beiden Schiffe wiegten sich nur noch in den Wellen, die bereits in eine sanfte Dünung übergingen.
Noch waren die „Isabella“ und die „San Donato“ von stockfinsterer Nacht umgeben. Aber die Luft war so klar und rein, daß jeder der Männer es genoß, sie tief in die Lungen zu pumpen. Auch war der wolkenbruchartige Regen vorüber, der in der letzten Phase des Sturmwinds eingesetzt hatte.
Soweit das zu erkennen war, hatte die „Isabella“ das Wüten der Naturgewalten einigermaßen unbeschadet überstanden. Die Qualitätsarbeit, die der alte Hesekiel Ramsgate auf seiner Werft in Plymouth geleistet hatte, bewährte sich immer wieder. Doch den Spuren des Sturms begegneten die Arwenacks auf Schritt und Tritt. Überall auf den Decks lagen Zweige, Äste und Blattwerk verstreut – herübergewirbelt vom nahen Ufer.
Helle Nebelschwaden trieben vom Land her über die Wasseroberfläche. Es schien, als atmete die üppige Vegetation diesen Nebel aus.
Der Seewolf riskierte nicht, die Bordlaternen anzünden zu lassen. Auch auf der Galeone der Timucua blieb es dunkel. Immerhin mußte man damit rechnen, daß sich der Feind in der Nähe befand. Niemand konnte ahnen, welche Kursentscheidungen die Dons getroffen hatten. Daran, daß auch sie die Einfahrt zum Lake Pontchartrain kannten, bestand kein Zweifel.
Gemeinsam mit Ben Brighton begab sich Hasard auf das Achterdeck, wo sich bereits Big Old Shane, Ferris Tucker, Smoky und Old Donegal Daniel O’Flynn in der Nähe der Heckbalustrade versammelt hatten.
„Auf jeden Fall brauchen wir ein besseres Versteck“, sagte Ben Brighton, „wenn sie schlau sind, werden die Spanier den gesamten Uferbereich dieses Sees abklappern. Hier können wir also nicht bleiben.“
„Bis zum Morgengrauen haben wir Zeit“, entgegnete der Seewolf, „vorher können auch die Dons nichts unternehmen.“
Unvermittelt wurde das Gespräch der Männer unterbrochen, noch bevor es richtig begonnen hatte.
„Still!“ rief der alte O’Flynn mit unterdrückter Stimme. „Hört ihr das?“
Hasard und die anderen horchten angestrengt. Der Wortwechsel der Arwenacks auf der Kuhl und auf der Back brach indessen nicht ab, so daß nicht auf Anhieb festzustellen war, was der Alte meinte.
Doch Sekunden später drang es ihnen allen um so deutlicher ins Gehör.
Die Laute schienen aus dem Nichts zu kommen – schaurige Laute, die sich über dem Wasser ins Unendliche