Seewölfe Paket 18. Roy Palmer
verharrte Pedro Carrillón, den muskulösen Oberkörper leicht vorgebeugt. In seinem harten Gesicht stand ein Grinsen von wilder Entschlossenheit. Es verlieh ihm ein Gefühl der Sicherheit, den Niedergang hinter seinem Rücken zu wissen.
Einen Atemzug später waren sie heran, mit Wutgebrüll und erhobenen Fäusten. In ihren verzerrten Gesichtern standen Todesangst und Zorn.
„Sargento!“ schrie einer der Soldaten aus der Luke nach unten. „Verdammt noch mal, auf was warten Sie noch?“
Carrillón schüttelte den Kopf und antwortete nicht. Er hätte nicht entwischen können, das wußte er. Die Meute hätte ihn wie einen reifen Apfel vom Niedergang gepflückt.
Jäh schnellte er vor, ohne erkennbaren Ansatz. Und er griff sich den, der ihm am nächsten war. Seine zupackenden Fäuste waren wie eine große eiserne Klammer. Innerlich triumphierte er schon jetzt. O ja, als Seeleute mochten sie ihm überlegen sein, in ihrem Wissen und in ihrem Können. Aber das Kämpfen war sein Handwerk, zu Lande und zu Wasser hatte er es gelernt wie nichts anderes.
Fast ohne Mühe hob er den Mann hoch und schleuderte ihn gegen die Reihen der Angreifer. Einen winzigen Moment sah er, wie sie ungläubig die Augen aufrissen. Dann wurden sie von ihrem eigenen Gefährten niedergemäht, der ihnen waagerecht entgegensegelte.
Schreie voller Wut und Empörung gellten. Das Wasser spritzte hoch, als sie stürzten und sich ineinander verhedderten.
Pedro Carrillón wirbelte herum. Mit federnden Bewegungen enterte er auf und schaffte es. Oben sah er die erleichterten Mienen seiner Soldaten im blakenden Schein der Ölfunzel.
Er achtete nicht auf sie, packte den Lukenrand, löste die Verankerung und ließ die Luke fallen. Das krachende Geräusch ging im erneuten Heranrollen einer Woge unter.
Carrillón packte eins der Fässer, die mit Pökelfleisch gefüllt waren. Geschickt rollte er es auf die Luke.
„Was gafft ihr!“ herrschte er seine Männer an. „Packt gefälligst zu. Ein Faß allein reicht nicht.“
Entsetzt starrten sie ihn an.
„Heilige Madonna“, stieß Juan Lloberas hervor, „das ist – das ist – Mord!“
Der Sargento zuckte mit keiner Wimper und holte sich bereits das zweite Faß.
„Nennt es, wie ihr wollt“, knurrte er, „jetzt ist sich jeder selbst der Nächste.“
Als er das zweite Faß auf die Luke rollte, war plötzlich heftiges Pochen und Schlagen zu hören. Dann Schreie und Flüche. Die Luke hob sich um zwei Fingerbreit und sank wieder zurück.
Lloberas bekreuzigte sich.
„Dafür werden wir bestraft. Das kann nicht gutgehen. Bis ans Ende unserer Tage werden ihre Seelen uns verfolgen.“
„Hör auf mit dem Gefasel!“ fuhr Carrillón ihn an. „Was glaubst du, was die mit uns anstellen, wenn sie uns erwischen? Die würden uns zu Tode trampeln, totschlagen oder wer weiß noch was – damit sie nur ihre eigene Haut retten.“
Lloberas schüttelte den Kopf und blickte den Sargento ungläubig an, als hätte er auf einmal ein unbekanntes Wesen vor sich.
Romero, Béjar, Hurtado und Garcia hatten sich bereits überwunden, griffen nach den Pökelfleischfässern und rollten drei weitere auf die Luke. Ohne innezuhalten, wuchteten sie zwei zusätzliche Fässer obenauf.
„Das reicht“, sagte Carrillón. Er legte Lloberas die Hand auf die Schulter. „Überleg doch mal, Amigo: Was für einen Unterschied macht es? Die Kerle da unten müssen so oder so schwimmen, wenn der Kahn auseinanderbricht. Ob sie nun im Stauraum warten oder an Deck, ist doch egal.“
„Ich bin Soldat“, sagte Lloberas tonlos, „kein Meuchelmörder.“
„Na gut“, entgegnete Carrillón dröhnend, „dann bleib meinetwegen hier und stirb wie ein Soldat.“
„Nicht doch!“ rief Hurtado höhnisch. „So edelmütig wird er nun auch wieder nicht sein!“
Romero hieb mit der rechten Faust in die linke Handfläche. „Wenn ihr hier eine Weile debattieren wollt, dann sagt es nur!“
Carrillón nickte grimmig.
„Also, los jetzt. Lloberas, du kannst hierbleiben oder mitkommen. Keiner zwingt dich zu irgend etwas.“
Lloberas zögerte noch, doch schließlich schienen ihm die mißbilligenden Blicke seiner Kameraden bewußt zu werden. Er gab sich einen Ruck und zuckte mit den Schultern. Aus dem tiefergelegenen Stauraum waren noch immer Geschrei und Gepolter zu hören.
„Vielleicht bricht das Schiff gar nicht auseinander“, sagte Garcia tröstend, „dann bleiben die Burschen da unten sowieso am Leben.“
Lloberas antwortete nicht darauf, schweigend schloß er sich der Gruppe des Sargento an. Sie waren unbewaffnet, und allein deshalb stand fest, daß es noch eine Menge Hindernisse auf ihrem Weg geben würde.
Unbehelligt erreichten sie das Hauptdeck. Der Sturm traf sie wie eine Riesenfaust. Gischt und überkommende Seen warfen sich wie gierige Raubtiere über sie und hätten sie auf die Planken geschleudert, wenn da nicht die rettenden Manntaue gewesen wären.
Eine Bö riß Hurtado fast von den Füßen, und er verlor die Ölfunzel, als er haltsuchend nach einem der Taue griff. Die kleine Flamme erlosch im ablaufenden Wasser auf den Planken.
„Zusammenbleiben!“ brüllte Carrillón gegen den tobenden Sturm an. „Wir dürfen uns jetzt nicht verlieren, sonst schaffen wir es nicht!“
Die „Santa Teresa“ hatte bereits eine beträchtliche Schlagseite nach Steuerbord. Doch Carrillón betrachtete dies unter den gegebenen Umständen eher als günstig. Ein Beiboot an der Rahnock abzufieren, war im Wüten des Sturms schier unmöglich. Man mußte also eine der beiden Jollen über das Steuerbordschanzkleid wuchten. Und wenn sie das unbemerkt schafften, konnten sie noch von Glück reden.
Capitán Isidoro hatte die Achterdeckslaterne anzünden lassen. Doch keine Menschenseele war zu sehen. Carrillón Vermutete, daß sich die Offiziere in den Achterdecksräumen verkrochen hatten. Er stutzte, als er sich mit seinen Männern zur Kuhlgräting voranarbeitete. Nur noch eins der beiden Beiboote war dort festgezurrt.
Einerlei. Es blieb keine Zeit zum überlegen. Jede Minute war kostbar. Selbst wenn sich Offiziere und auch Decksleute in Sicherheit gebracht hatten, würde doch das Verschwinden der sechs Seesoldaten nicht unbemerkt bleiben.
Sturm und überkommende Seen erschwerten jeden ihrer Handgriffe, als sie das Boot aus den Tauen lösten. Für Carrillón bedeutete dies nur den Trost, daß auch alle anderen an Bord der „Santa Teresa“ gleichermaßen behindert würden, falls sie die Flucht zu vereiteln suchten.
Doch es gelang ihnen, die Jolle über die Manntaue hinweg bis zum Schanzkleid rutschen zu lassen. Und dann genügte ein kraftvoller Ruck, um das Boot in die Fluten zu befördern, die nur wenige Fuß tiefer brodelten. Carrillón hielt die Fangleine der Jolle mit beiden Fäusten und stemmte sich gegen das Schanzkleid.
„Bewegt euch!“ brüllte er.
Romero und Béjar sprangen als erste hinüber, stolperten und klammerten sich an den Duchten der tanzenden Nußschale fest. Hurtado und Lloberas folgten, dann Garcia.
Garcia geriet mit dem Fuß auf das Dollbord. Niemand konnte in der Dunkelheit genau sehen, wie es geschah. Plötzlich gellte sein Schrei. Er ruderte haltsuchend mit den Armen, als er ausglitt. Lloberas warf sich herum und wollte ihn packen, doch seine Hände griffen ins Leere.
Garcias Schrei erstickte schlagartig, als er im weißschäumenden Wasser an der Bordwand der Galeone versank.
Carrillón sprang mit einem mächtigen Satz hinüber in das Beiboot.
„Garcia!“ schrie Lloberas mit sich überschlagender Stimme. „Mein Gott, wir müssen etwas tun, wir können doch nicht zusehen …“
Carrillón