Seewölfe Paket 18. Roy Palmer
Vorteil gab es noch, von dem Don José Isidoro hoffte, daß er entscheidend sein würde: Er kannte jeden Winkel in diesem Bereich des nördlichen Golfs von Mexiko. Demgegenüber mußten die Britenbastarde natürlich ins Hintertreffen geraten. Und von dem Verräterpack an Bord der „San Donato“ war nicht anzunehmen, daß es über besondere Kenntnisse verfügte. Nicht im entferntesten ahnte Isidoro, daß er sich in diesem Punkt täuschte.
Auch der Ausguck der „Santa Teresa“ hatte Errol Island gesichtet, noch bevor die Dunkelheit hereingebrochen war. Und Don José Isidoro hatte gleichfalls Order gegeben, auf Nordkurs zu gehen.
Mittlerweile mußten die Chandeleur-Inseln schon so nahe sein, daß man hinspucken konnte. Isidoro spürte und witterte es geradezu. Er lächelte grimmig, während er sich mit dem Rücken gegen den heulenden Wind stemmte.
Nein, ihm konnte in diesem Küstenbereich keiner etwas vorexerzieren. Wenn einer Untiefen und sonstige Gefahrenbereiche kannte, dann war er es. Daran änderte auch die Dunkelheit nicht viel. Man brauchte eben dieses besondere Gefühl, das ein Mann nur in jahrzehntelangen Erfahrungen entwickeln konnte.
Kapitän Isidoro war stolz darauf, daß er genau dies von sich behaupten konnte. Seine Einschätzung der Lage war vortrefflich, das stand für ihn fest. Alles in allem konnte er davon ausgehen, daß er wahrscheinlich nicht einmal mehr große Mühe aufwenden mußte. Wenn der Sturm erst richtig loslegte, dann brummten die Britenbastarde und die Timucua-Hundesöhne auf das nächstbeste Riff vor den Chandeleurs. Bei Tagesbeginn, nach Abflauen des Sturms, brauchte man dann nur noch die Überlebenden aufzufischen – falls es welche gab.
„Rudergänger!“ rief Isidoro schneidend.
„Si, Señor Capitán?“ Der Mann war nur als Schatten zu erkennen. Kein Ruderhaus schützte ihn vor den Unbilden der Witterung.
„Zwei Strich Backbord“, befahl Isidoro.
„Zwei Strich Backbord“, wiederholte der Rudergänger, und, etwas später: „Kurs liegt an, Señor Capitán.“
Ein weiterer Schatten keuchte von der Schmuckbalustrade heran. Der Erste Offizier rückte den Kinnriemen seines Federhuts fest. Der Wind zerrte mit aller Macht daran und bog die breiten Krempen nach oben.
„Manntaue sind gespannt, Señor Capitán, Luken und Schotten verschalkt.“
„Wurde auch Zeit“, entgegnete Isidoro knurrend.
„Darf ich mir eine Frage erlauben, Capitán?“
„Heraus damit.“
„Sind Sie überzeugt, daß wir auf dem richtigen Kurs liegen? Ich meine, wenn wir davon ausgehen, daß die Engländer und auch die Timucua sich kaum auskennen dürften, ist es dann nicht unsinnig, ihnen noch weiter zu folgen? Vielleicht laufen wir gemeinsam mit ihnen auf ein Riff, oder wir werden auf Legerwall gedrückt.“
Einen Moment hielt Isidoro die Luft an.
„Was faseln Sie, Mann!“ brüllte er dann. „Was glauben Sie, warum ich die Kurskorrektur befohlen habe! Wollen Sie etwa behaupten, daß mir ein Fehler unterläuft? Ausgerechnet mir?“
„Nein, Señor Capitán, ich dachte nur – ich meine …“
„Sie sollen nicht denken und nicht meinen, Sie sollen …“
Ein ohrenbetäubendes Krachen schnitt ihm die Worte von den Lippen. Im nächsten Sekundenbruchteil folgte ein Bersten und Mahlen, das den Schiffsleib durchlief, als wollte es ihn in tausend Stücke reißen.
Don José Isidoro spürte es bis in die letzte Faser seiner Nerven, denn er war mit diesem Schiff verwachsen. Jeden unbekannten Laut und jede unvorhergesehene Bewegung in den Verbänden hatte er stets sofort gespürt, als handelte es sich um eine Veränderung seines eigenen Körpers.
Dies aber, was jetzt geschah, war wie ein grausamer und tödlicher Schlag.
Don José empfand den Schmerz, als sei er selbst getroffen worden. Aber ihm blieb keine Zeit, den Schmerz hinauszubrüllen.
Ein jäher Ruck ging durch die Galeone.
Isidoro verlor den Halt, kippte vornüber und ruderte vergeblich mit den Armen. Er prallte gegen seinen Ersten Offizier, der rücklings stürzte. Gemeinsam schlugen sie auf die Planken.
Auf der Kuhl und auf der Back entstand Geschrei. Die Männer verloren den Halt, verhedderten sich in den Manntauen. Einige von ihnen schlitterten unter den Tauen über die feuchten Planken, prallten gegen Geschützlafetten oder Nagelbänke und zogen sich schmerzhafte Prellungen zu.
Der Südwind heulte und fauchte und versetzte den Segeln wilde Prankenhiebe, als wolle er die „Santa Teresa“ über den Bug in den Grund bohren. Doch die Galeone saß bereits hoffnungslos fest. Eine kurze Bewegung um die Längsachse folgte, begleitet von einem splitternden Geräusch, das dem Kapitän abermals durch Mark und Bein ging. Das Tuch begann zu knattern und zu schlagen, und im nächsten Moment zerriß das Fockmarssegel mit einem explosionsartigen Knall. Rings um den Schiffsleib kochte die See mit weißem Schaum.
Mit einem wilden Fluch stieß Isidoro den Ersten Offizier von sich weg. Dann rappelte er sich mühsam auf, taumelte und fand schließlich sein Gleichgewicht.
Die Galeone saß unverrückbar fest, wie von den Fäusten eines Giganten gestoppt. Auf dem Hauptdeck herrschte immer noch Zustand. Die Männer brüllten und versuchten, auf die Beine zu gelangen, wobei sie sich immer wieder gegenseitig behinderten.
Wie zum Hohn riß die Wolkendecke für einen Moment auf. Eine dunkle Wand wurde erkennbar, zum Greifen nahe nördlich voraus.
Eine der Inselküsten!
Ohnmächtig vor Wut sah Isidoro die Schaumkränze, die das brodelnde Wasser überall um die vorgelagerten Riffs bildete. Und die „Santa Teresa“ saß mittendrin. Blindlings, wie die blutigsten Anfänger, waren sie aufgebrummt!
„Hölle und Teufel!“ brüllte Isidoro. „Das kann doch nicht wahr sein! Wie konnte das bloß passieren? Welcher verdammte Narr …“
Der Erste Offizier schraubte sich vor ihm in die Höhe.
„Bevor Sie sich weiter auslassen, Capitán“, schrie er, „erinnern Sie sich gefälligst daran, wer die Kursänderung befohlen hat!“
Don José Isidoro schluckte und preßte die Zähne aufeinander, daß es knirschte. Normalerweise hätte er seinen Untergebenen für diese Unverfrorenheit gemaßregelt. Aber er verdaute es, denn sein eigener Fehler wurde ihm siedend heiß bewußt.
„Wir müssen die Segel bergen“, sagte er, laut genug, daß es im heulenden Wind eben noch zu verstehen war. „Sonst wird uns gleich das gesamte Tuch zerfetzt.“
„Dazu wird keine Zeit bleiben“, entgegnete der Erste mit grimmigem Spott, „hören Sie mal genau hin.“
Isidoro brauchte sich nicht sonderlich anzustrengen, um herauszufinden, was der Erste meinte. Eher war es eine furchtbare Ahnung, die sich jetzt bestätigte. Jeder Seefahrer, der lange genug auf Schiffsplanken gestanden hatte, kannte dieses Geräusch. Und stets verband es sich mit bösen Erinnerungen. Erinnerungen auch an Freunde und Gefährten, die den nassen Tod gefunden hatten.
Trotz der tosenden Fluten rings um die „Santa Teresa“ war es deutlich zu vernehmen. Ein Gurgeln, schwach noch. Aber Don José Isidoro hörte bereits diese bösartige Gefräßigkeit heraus, mit der es immer rascher um sich greifen würde. Der Klang pflanzte sich durch die unteren Decksräume fort, die wie ein Resonanzkörper wirkten.
Kapitän Isidoro erwachte aus einer momentanen Erstarrung.
„Auf was warten Sie noch?“ brüllte er. „Schicken Sie die Leute an die Pumpen! Alle verfügbaren Kräfte! Oder wollen Sie abwarten, bis wir mit Mann und Maus absaufen?“
Der Erste Offizier versteifte seine Haltung.
„Nein, Capitán“, entgegnete er schnarrend, „die Frage stellt sich für mich nicht, denn Sie sind der Kapitän, und niemand anders trifft hier an Bord die Entscheidungen.“ Er wandte