Seewölfe Paket 18. Roy Palmer
dröhnte es zum erstenmal wie ein Donnerschlag durch den Rumpf der Galeone. Alles, selbst die stickige Luft, schien unter der Wucht des Schlages zu vibrieren. Sofort danach verstärkte sich das Ächzen des Schiffskörpers. Es klang wie der Schmerzenslaut eines gequälten Tieres.
„Santa Madre“, flüsterte Seesoldat Felipe Romero, der zur Gruppe des Sargento Pedro Carrillón gehörte. „Was war das, um Gottes willen?“
Auch die anderen hatten mit ihrer Arbeit an der Pumpe innegehalten. Sie befanden sich in unmittelbarer Nähe des Niedergangs, der in die oberen Decksräume führte.
Der Sargento überwand sein Entsetzen als erster. Er hatte mehr Erfahrung als die fünf jüngeren Soldaten, die ihm zugeteilt waren. Wenn er auch kein Seefahrer war, so hatte er doch zahlreiche Einsätze auf See hinter sich, und eine Havarie war nichts Unbekanntes für ihn.
„Jetzt geht es richtig los“, sagte er halblaut, so daß nur seine Gruppe es verstehen konnte. „Das ist der Sturmwind, Männer. Jetzt treibt er die Wellen bald haushoch gegen die Außenbeplankung. Und wir haben das Vergnügen, mitzuerleben, wie sich so etwas unter Deck anhört.“
„Aber …“ Es war Jorge Béjar, der zu sprechen ansetzte.
Ein neuer dumpfer Schlag ließ seine Stimme untergehen. Und abermals verstärkte sich das Ächzen und Knarren des Rumpfes.
„Himmel noch mal!“ schrie Pepe Hurtado, ein weiterer aus der Gruppe des Sargento Carrillón. „Wenn das so weitergeht …“
Pedro Carrillón war mit einem Satz bei ihm und hielt ihm die Faust vor die Nase. Das kniehohe Wasser geriet in heftige Bewegung.
„Willst du wohl still sein, Hurtado? Kein Ton, verstanden?“ Der Sargento senkte die Stimme zum Flüsterton. „Kapiert ihr denn nicht? Wenn ihr euch unauffällig umseht, werdet ihr es begreifen. Auch die anderen Kerle sind zu Tode erschrocken. Noch eine Weile, und hier bricht die schönste Panik aus.“
„Ist es so schlimm?“ hauchte Juan Lloberas, der einen vorsichtigen Blick riskiert hatte. „Ich dachte, wenn wir auf diesem Riff festsitzen, können wir nicht sinken.“
„Einfaltspinsel“, knurrte Domingo Garcia, sein Nebenmann, „soll ich dir sagen, was passiert? Die große, stolze ‚Santa Teresa‘ wird auseinanderbrechen, und dann saufen wir ab. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Habe ich recht, Sargento?“
Carrillón nickte düster.
„Ich fürchte, du hast recht, Garcia. Aber wie auch immer: Wenn das tatsächlich passieren sollte, sind wir die ersten, die dran glauben müssen. Und wer weiß, wie es jetzt oben an Deck aussieht? Vielleicht haben Capitán Isidoro und seine saubere Achterdecksclique längst beschlossen, das Weite zu suchen.“
„Also hauen wir ab!“ zischte Felipe Romero. „Auf was warten wir noch?“
„Es geht nur, wenn wir uns einig sind“, entgegnete der Sargento ernst, „mich würde natürlich die Hauptschuld treffen, weil ich euch als Vorgesetzter dazu angestiftet habe. Aber ihr müßt euch alle darüber im klaren sein, daß es Fahnenflucht ist, was wir begehen. Und ihr wißt, daß darauf die Todesstrafe steht.“
„Die Neue Welt ist riesengroß“, sagte Lloberas mit einem grimmigen Lachen, „da gibt es genügend Ecken und Winkel zum Verkriechen. Und welchen Unterschied macht es“, fügte Lloberas hinzu, „ob wir für die spanische Krone elendiglich ersaufen oder uns heimlich verdrücken?“
„Keinen“, sagte Carrillón, „also sind wir uns einig?“
Die fünf Männer nickten.
„Gut. Dann ziehen wir uns jetzt zurück. Wichtig ist, daß uns keiner folgt. Und auf dem Hauptdeck müssen wir eins der Beiboote in unsere Gewalt bringen.“ Mit verstohlenen Handzeichen bestimmte der Sargento die Reihenfolge.
Domingo Garcia näherte sich dem Niedergang als erster.
Noch waren die übrigen Männer im Stauraum in betroffenes Gemurmel vertieft. Carrillón beobachtete sie unauffällig aus den Augenwinkeln heraus. Er wußte, daß die Panik wie ein Blitz aus heiterem Himmel losbrechen konnte. Auch war es möglich, daß die anderen Kerle zu ähnlichen Überlegungen gelangten wie er selbst.
Garcia war ein schlanker, beweglicher Mann. Nachdem er lautlos den Niedergang erreicht hatte und aufzuentern begann, zog er behutsam die nackten Füße aus dem Wasser, um kein auffälliges Geräusch zu verursachen. Denn ausgerechnet in diesem Moment hatten Sturm und Wellengang eine Atempause eingelegt. Doch Garcia schaffte es, unbemerkt in der Dunkelheit des höherliegenden Vorratsraumes zu verschwinden.
Mit einer knappen Kopfbewegung schickte der Sargento den zweiten Mann auf den Weg, Lloberas. Carrillón gab sich keinen falschen Hoffnungen hin. Garcia war durch den Rest der Gruppe einigermaßen vor unerwünschten Blicken abgeschirmt gewesen. Auch bei Lloberas mochte das noch einigermaßen problemlos ablaufen.
Aber dann mußten die anderen Burschen es spitzkriegen. Es handelte sich ausnahmslos um Decksleute aus der Stammbesatzung der „Santa Teresa“. Carrillón und seine Gruppe waren die einzigen Soldaten, die zur Verstärkung an die Pumpen geschickt worden waren. Ihren Kameraden an Deck hatte man sicherlich angenehmere Aufgaben zugeteilt. Zumindest fühlten sie sich kaum so eingeschlossen und hilflos, wie es hier unten im Stauraum der Fall war. Carrillón wußte, daß er diese Ungerechtigkeit dem Teniente verdankte, der ihn schikanierte, wo er konnte.
Allein das war schon ein Grund, sich heimlich, still und leise abzumelden.
Auch Juan Lloberas schaffte es, ohne bemerkt zu werden.
Dann jedoch, als Jorge Béjar etwas zu tapsig durch das Wasser pflügte, geschah es.
Drüben, bei der Schar der Decksleute, brach das aufgeregte Gemurmel plötzlich ab.
„He, ihr Bilgenratten!“ brüllte einer von ihnen mit rauher Stimme. „So haben wir nicht gewettet!“
Béjar hatte den Niedergang schon erreicht und ließ sich nicht beirren.
Carrillón reagierte geistesgegenwärtig.
„Order vom Teniente!“ rief er energisch. „Wir werden an Deck gebraucht!“
Kaum hatte er ausgesprochen, donnerte erneut eine Woge gegen die Backbordseite der Galeone. Durchdringender und heftiger als zuvor folgte das Ächzen des Rumpfes. Im nächsten Atemzug zerbarst eine Planke mit lautem Knall. Das mußte nahe beim Kielschwein sein, denn mitten zwischen den Decksleuten stieg plötzlich eine weiß schäumende Fontäne auf, die aber wieder zusammenbrach.
Entsetzt wichen die Männer auseinander.
Pedro Carrillón erkannte, daß es einen winzigen Zeitvorsprung gab, solange die Burschen aus der Mannschaft ihr Entsetzen noch nicht überwunden und klare Entschlüsse gefaßt hatten.
Béjar war schon fast oben.
„Schnell jetzt!“ zischte der Sargento. „Tempo, Tempo, bewegt euch! Nichts wie weg hier!“
Romero und Hurtado brauchten keine zweite Aufforderung. Auch ihnen saß die Angst im Nacken, und sie warfen sich buchstäblich dem Niedergang entgegen. Carrillón folgte ihnen mit kurzem Abstand, indem er sich rückwärts bewegte. Die Ölfunzel, die er während der Pumparbeiten gehalten hatte, behielt er in der Hand.
Die Decksleute rissen sich schneller zusammen, als Carrillón erwartet hatte. Er zuckte zusammen, als ihr jähes Gebrüll aufwallte.
„Die Schweine hauen ab!“ schrie einer.
„Was die können, können wir auch!“ fügte ein anderer mit schriller Stimme hinzu.
„Verdammt noch mal, packen wir sie endlich!“ brüllte ein dritter.
Und sie waren schon in Bewegung, walzten in breiter Front durch das kniehohe Wasser und vergaßen die Pumpen und die hereingurgelnden Fluten.
Carrillón erschrak bis ins Mark, doch gleichzeitig beflügelte ihn der Überlebenswille.
Hastig wandte er sich um.