Seewölfe Paket 18. Roy Palmer

Seewölfe Paket 18 - Roy Palmer


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      Inzwischen verstummten auch die Gespräche auf der Kuhl und auf der Back.

      „Wißt ihr, was das ist?“ flüsterte der alte O’Flynn in die Stille hin. Seine Stimme klang rauh und vibrierend vor Aufregung. „Das sind die ruhelosen Seelen von Verstorbenen. Die Naturgewalten haben sie aufgeschreckt, und jetzt beginnt für sie eine verzweifelte Wanderung voller Irrwege. Ich habe so was schon mal erlebt, das war damals in der Karibik, als …“

      „Halt’s Maul, Donegal“, sagte Smoky grob.

      Der Decksälteste drückte auf wenig zartfühlende Art aus, was alle anderen ebenso empfanden: Niemand legte Wert auf die immer gleichen Gruselgeschichten Old O’Flynns. Denn zeigte jemand auch nur einen Hauch von Interesse, dann legte er erst richtig los und war nicht mehr zu bremsen.

      „Mann“, sagte Ferris Tucker kopfschüttelnd, „ist doch wohl klar, was das ist. Das sind die Kranken auf der ‚San Donato‘. Kaum vorzustellen, was die armen Leute durchgestanden haben. Für sie war der Sturm bestimmt schlimmer als für uns.“

      Wie zur Untermalung seiner Worte ertönte ein erneutes schauerliches Stöhnen, durchdringender und weithallender diesmal.

      „Einfaltspinsel“, sagte Old O’Flynn gereizt, „nie im Leben sind das die Fieberkranken. Ihr wollt bloß mal wieder nicht wahrhaben, daß es zwischen Himmel und Erde Dinge gibt, die wir mit unserem armseligen Menschenverstand nicht kapieren.“

      Der Seewolf beschloß, dem beginnenden Gezänk ein vorzeitiges Ende zu bereiten. Er trat an die Steuerbordverschanzung des Achterdecks und formte mit den Händen einen Trichter vor dem Mund.

      „Marcos! Hören Sie mich? Marcos!“

      Der Spanier antwortete prompt, und er hatte auch die Stimme des Seewolfs sofort erkannt.

      „Ja, ich höre Sie, Señor Killigrew!“

      Durch Nebel und Dunkelheit klang Marcos’ Stimme ebenfalls wie aus dem Nichts und vereinte sich mit dem fortdauernden schaurigen Stöhnen und Klagen.

      „Was sind das für Geräusche?“ rief Hasard. „Sind das die Kranken auf Ihrem Schiff, Marcos?“

      „Wir hören es auch, Señor Killigrew, und wir können es uns nicht erklären. Unsere Kranken sind mucksmäuschenstill.“

      „Sind Sie absolut sicher?“

      „Es gibt keinen Zweifel, Señor Killigrew. Was sollen wir tun?“

      „Vorerst nichts.“

      Betroffenes Schweigen breitete sich auf dem Achterdeck der „Isabella“ aus.

      Währenddessen schwollen die unheimlichen Geräusche an.

      „Hört ihr?“ tönte Old O’Flynns krächzendes Organ voller Triumph. „So geht es Burschen, die immer alles besser wissen. Jetzt schaut ihr schön dumm aus, was?“

      Niemand antwortete.

      Die klagenden und stöhnenden Stimmen und der seltsame Singsang wurden plötzlich von dumpfen Trommelwirbeln begleitet.

      Kurz darauf waren Lichter zu sehen. An verschiedenen Stellen flammten sie auf, allem Anschein nach bewegten sie sich aus dem Nebel heraus auf die beiden ankernden Galeonen zu.

      Auch dem alten O’Flynn verschlug es jetzt die Sprache. Die Arwenacks standen regungslos, und es gab keinen unter ihnen, dem nicht mulmig zumute wurde. Was, zum Teufel, braute sich da zusammen?

      Selbst Hasard konnte sich eines gewissen Unbehagens nicht erwehren. Einen Gegner, den man sah, konnte man packen. Aber dies hier war alles andere als greifbar.

      Etwas Unerklärliches nahm seinen Lauf.

      Von Minute zu Minute wurden die sonderbaren Stimmen und die Trommeln lauter. Die Lichtpunkte verstärkten sich. Sie waren durch den Nebel von mattschimmernden kleinen Kreisen umgeben.

      Keiner an Bord der „Isabella“ dachte daran, sich zu verkriechen. Aber es gab auch keinen unter den Arwenacks, dem sich nicht die Nackenhaare sträubten. Eine Spur von Aberglaube schlummerte letztlich in jedem von ihnen – und die Neue Welt war schließlich noch nicht vollständig erforscht.

      Eine fremde Umgebung, Dunkelheit, Nebel – und dann noch diese unerklärlichen Laute, das war schon eine verdammte Menge, wenn man alles auf einmal verdauen wollte.

      Der Seewolf zögerte nicht länger. Vorsorglich gab er Befehl, klar zum Gefecht zu gehen. Die Männer waren froh, etwas tun zu können und den rätselhaften Dingen nicht stumm und duldsam entgegensehen zu müssen.

      Auch den Timucua und ihren spanischen Begleitern war der Schreck gehörig in die Knochen gefahren. Hasard verständigte sich mit Marcos, und sie einigten sich darauf, daß die Indianer lediglich die an Bord der „San Donato“ verfügbaren Musketen luden. Mit den Langwaffen konnten sie umgehen, wenn es sein mußte.

      Als hätte ihnen die Natur ein Zeichen gegeben, erwachten Pedro Carrillón und seine Soldaten, kaum daß der Sturm abgeflaut war.

      Schnatternd vor Kälte rappelten sie sich auf. Es war die Müdigkeit, die sie frieren ließ. Und nach dem kurzen Schlaf spürten sie die mörderische Schinderei noch in allen Knochen.

      Der Sargento ließ ihnen nicht viel Zeit zum Lamentieren. Jeweils zu zweit schickte er sie los, Romero und Béjar, Hurtado und Lloberas. Während die Männer auf Erkundung gingen, blieb Carrillón allein beim Boot. Es war das Wichtigste, was sie besaßen. Durch keinen noch so unwägbaren Umstand durften sie diesen Besitz aufs Spiel setzen.

      Die vier Soldaten kehrten fast zur selben Zeit zurück. Und es bestätigte sich, was Carrillón vermutet hatte. Es handelte sich um ein winziges felsiges Eiland, auf dem sie gelandet waren. Wenigstens das hatten die Männer trotz der Dunkelheit feststellen können.

      „Wir müssen sofort hier weg“, sagte der Sargento kurz und bündig.

      Die anderen protestierten.

      „Können wir nicht wenigstens noch ein paar Stunden schlafen?“ fragte Romero.

      „Es reicht doch, wenn wir uns im Morgengrauen nach einer besseren Gegend umsehen“, fügte Lloberas hinzu.

      „Nein, es reicht nicht“, widersprach Carrillón rauh. „Capitán Isidoro und unserem Teniente traue ich alles zu. Die bringen es fertig und zimmern ein Floß zusammen – nur, damit sie uns erwischen können. Außerdem gibt es noch einen anderen Grund, der genauso wichtig ist: Wir finden auf dieser verdammten Felseninsel nichts zu essen und nichts zu trinken. Deshalb können wir uns nicht leisten, hier unnötige Zeit zu verschwenden. Wir brauchen etwas Kräftiges. Verstanden?“

      „Und wohin?“ fragte Béjar murrend. „Wie sollen wir uns denn orientieren?“

      „Die Wolkendecke reißt auf“, erwiderte der Sargento, „wir richten uns nach den Sternen und versuchen, das Festland zu erreichen.“

      „Nach den Sternen?“ entgegnete Hurtado zweifelnd. „Funktioniert das?“

      „Zerbrich dir nicht meinen Kopf“, knurrte Carrillón, „es gibt eben gewisse Unterschiede zwischen einem Sargento und einem gemeinen Soldaten.“

      Die anderen grinsten, aber das konnte Carrillón in der Dunkelheit nicht sehen. Er trieb sie voran. Da sie nichts bei sich hatten, weder Waffen noch Ausrüstung oder zusätzliche Kleidung, ging ihr Aufbruch im Handumdrehen vonstatten. Keuchend schoben sie die schwere Jolle über den felsigen Untergrund und ließen sie ins Uferwasser gleiten.

      Als wollten sie für das wilde Wetter der zurückliegenden Stunden um Vergebung bitten, waren die Fluten jetzt ruhig und sanft. Nur noch eine leichte Brise strich über die Wasseroberfläche und trieb wattige Nebelschwaden vor sich her.

      Die Männer fluchten und zeterten. Denn die ungewohnte Arbeit des Pullens fiel ihnen doppelt schwer, nachdem sie geglaubt hatten, sich von den Strapazen während des Sturms erst einmal ausgiebig erholen zu können.

      Aber Carrillón ließ nicht locker. Immer wieder trieb er sie zu


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