Seewölfe Paket 6. Roy Palmer

Seewölfe Paket 6 - Roy Palmer


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traf ohnehin die meisten Entscheidungen. Jeder an Bord wußte das, nur der Capitan nicht. Denn Diaz war geübt darin, den anderen glauben zu lassen, daß es nach seinem eigenen Kopf ging. Hätte Juan de Correggio geahnt, daß in Wahrheit nicht er, sondern der Steuermann das Schiff führte, hätte er das Kommando sofort wieder an sich gerissen, und das wäre für Schiff und Mannschaft verhängnisvoll gewesen.

      „Beiboot klarmachen!“ befahl der Capitan. „Diaz, suchen Sie sechs Mann aus, die an Land pullen! Ein bißchen plötzlich, bevor es dunkel wird!“

      Der Steuermann biß sich auf die Lippen.

      Er hatte eher daran gedacht, zunächst einmal die Insel zu umsegeln, was auch wesentlich vernünftiger gewesen wäre. Aber er wußte, daß er Correggio nicht dazu bringen konnte; einen einmal gegebenen Befehl wieder zurückzunehmen. Wenn er beschlossen hatte, zum Beispiel in eine Lagune einzulaufen, weil er im Riff eine Durchfahrt sah, die überhaupt nicht existierte, dann versuchte er das eben. Und dann ließ sich die Katastrophe mitunter nur noch durch Tricks abwenden. Zum Beispiel damit, daß der Bootsmann eigenhändig die Tiefe auslotete und dabei – wie Diaz sehr genau mitgekriegt hatte – ein bißchen mogelte, damit der Befehl zum Abfallen noch rechtzeitig erfolgte.

      „Jawohl, Capitan“, sagte Jose Diaz nur und sprang auf die Kuhl hinunter, um die Rudergasten einzuteilen.

      Sechs Männer enterten ab und kletterten auf die Duchten.

      José Diaz schwang sich als letzter über das Schanzkleid, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, daß er den Trupp anführte. Hinterher würde ihn der Capitan zusammenstauchen, aber nicht jetzt, vor versammelter Mannschaft, weil das die Disziplin untergrub, wie Correggio glaubte. Den Steuermann ließ das alles ziemlich kalt, denn er war felsenfest davon überzeugt, daß auf der Insel etwas nicht stimmte.

      „Nordkurs!“ befahl er den überraschten Männern. „Wir werfen erst mal einen Blick auf die Rückseite der Insel. Ich habe keine Lust, wie ein Anfänger in irgendeine Falle zu gehen.“

      8.

      Krachend flog das Schott der Vorpiek auf.

      Licht fiel in das finstere Loch. Licht, in dessen Schein die Läufe von zwei Pistolen schimmerten. Die Piraten hatten allmählich offenbar Respekt vor ihren Gefangenen, und sie hatten die Nase voll von unliebsamen Überraschungen.

      Diesmal allerdings stürmten ihnen keine rasenden Teufel entgegen.

      Dan O’Flynn und Batuti hockten ganz friedlich auf der Gittergräting. Sie hatten sogar auf den Versuch verzichtet, sich gegenseitig von den Fesseln zu befreien. Nicht, weil sie völlig zerschlagen und halb verdurstet waren, sondern weil sie sich über eine neue Taktik geeinigt hatten.

      „Na, ihr Helden?“ sagte Pepe le Moco gehässig. „Gefällt’s euch da drinnen? Wollt ihr noch ein bißchen bleiben? Oder seid ihr etwa hungrig und durstig?“

      Batuti knurrte nur noch. Dan beherrschte sich mit Mühe.

      „Wollt ihr uns etwa hier krepieren lassen?“ fragte er.

      Der Pirat grinste. Neben ihm stand der einäugige Esmeraldo und grinste ebenfalls. Lediglich Jacahiro, der Maya, schien kein Vergnügen daran zu finden, die wehrlosen Gefangenen zu verhöhnen.

      „Ihr arbeiten, dann essen und trinken“, sagte er ruhig. „Ihr noch einmal Ärger versuchen, dann hier verhungern. Verstanden?“

      „Verstanden“, sagte Dan.

      „Und verhungern wollt ihr nicht, ihr Bastarde, oder?“ fragte Esmeraldo und kicherte.

      „Nein, verhungern wollen wir nicht.“ Dans Gesicht war steinern, und er brauchte seine ganze Beherrschung, um die kalte Wut herunterzuwürgen.

      „Na fein! Jacahiro, schneide den Bastarden die Fesseln durch. Erst mal nur die Fußfesseln, damit sie nicht auf dumme Gedanken verfallen.“

      Der Maya zog sein Messer aus dem Gürtel und zersäbelte die zähen Riemen an den Fußgelenken der beiden Männer. Batuti schob sich mit einem tiefen Atemzug hoch, Dan wollte aufspringen und merkte, daß er kein Gefühl in den Beinen hatte. Er wäre gestürzt, wenn Jacahiro ihn nicht aufgefangen hätte. Dan fauchte wie eine Katze, schüttelte die Hand ab, die ihn hielt, und stellte dabei widerwillig fest, daß das verhaltene Grinsen des Indianers eigentlich gar nicht höhnisch und niederträchtig wirkte.

      Batuti stampfte voran, Dan folgte ihm. Das helle Sonnenlicht an Deck ließ ihn blinzeln, und der frische, salzige Wind war nach dem Mief in der Vorpiek das reinste Paradies. Der hünenhafte Neger und der blonde Junge sahen sich um, dann blickten sie zu dem Bretonen hoch, der an der Schmuckbalustrade des Achterkastells lehnte.

      Dan hatte einen Kloß in der Kehle.

      „Was habt ihr mit unseren Leuten angestellt?“ fragte er rauh und hatte alle Mühe, kein „ihr verdammten Bastarde“ anzuhängen.

      „Die gehen zu Fuß“, sagte der Bretone kalt. „Wir konnten sie hier nicht brauchen. Also was ist? Wollt ihr jetzt Borddienst tun oder lieber an der Rahnock baumeln?“

      Dan wurde bleich unter der Sonnenbräune. Batuti sog scharf die Luft ein und schloß die Augen. Zu Fuß gehen – das hieß, daß die Kerle Ben, Stenmark und Shane über Bord geworfen hatten. Einfach so. Ohne Rücksicht darauf, daß sie kaum eine Chance hatten, die Insel zu erreichen – schwimmend durch ein von Haien verseuchtes Gewässer!

      Batutis Zähne knirschten.

      Dan schwieg und focht einen fürchterlichen Kampf mit sich selbst aus. Alles in ihm drängte danach, dem Bretonen seinen Haß und seine Verachtung ins Gesicht zu schreien. Oder ihm wenigstens an die Kehle zu fahren, sobald er die Hände frei hatte. Aber es war sinnlos, jetzt Selbstmord zu begehen. Solange sie am Leben waren, hatten sie eine Chance. Eine Chance, es diesen Bastarden heimzuzahlen und ihre Kameraden zu rächen.

      Jean Morro kniff die grauen Augen zusammen.

      „Also was ist?“ fragte er hart. „Borddienst oder Rahnock?“

      „Borddienst“, quetschte Dan O’Flynn durch die Zähne.

      „Und dein Freund?“

      „Borddienst“, murmelte Batuti.

      „Gut. Ich lasse euch jetzt die Fesseln abnehmen. Ihr werdet verschiedenen Wachen zugeteilt. Und bildet euch nicht ein, ihr könntet hier den Hund von der Kette lassen. Wenn einer von euch auch nur den geringsten Aufruhr veranstaltet, lasse ich den anderen sofort erschießen, ist das klar?“

      Schweigen. Jean Morros Gesicht war eine kalte Maske.

      „Ob das klar ist?“ fragte er gefährlich leise.

      „Aye, aye“, sagte Dan zwischen zusammengepreßten Zähnen.

      „Aye, aye, Sir, heißt das.“

      „Nigger?“

      „Aye, aye, Sir“, sagte Batuti mit merkwürdig fremder Stimme.

      „Nimm ihnen die Fesseln ab, Esmeraldo! Der Lümmel kommt in die Kombüse, der Nigger zu den Fockmastgasten. Jacahiro, du paßt auf ihn auf!“

      „In Ordnung“, sagte der Maya mit seiner dunklen, kehligen Stimme.

      Er nickte Batuti zu und wies mit dem Kopf in die Richtung, in die der schwarze Herkules marschieren sollte. Aber Jacahiro fluchte nicht und brüllte nicht herum, und damit hatte Batuti entschieden das bessere Los gezogen.

      Der schweigsame Maya war ein anständiger Kerl.

      Ganz im Gegensatz zu dem fetten Tomaso, der Dan O’Flynn wieder unter seiner Fuchtel hatte. Als erstes ließ er sein Opfer die Kombüse schrubben, und die Art, wie er auf einem Dreibein saß und Speckstücke in sich hineinstopfte, zeigte, daß er nicht gesonnen war, sich selbst jetzt noch zu überarbeiten.

      Dan O’Flynn kochte vor Wut.

      Aber es war keine gesunde, wohltuende Wut, die ihn erfüllte. Es war


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