Seewölfe Paket 6. Roy Palmer
seine Gedanken fieberten, während er den Boden der Kombüse bearbeitete.
Irgendwann würde der Bretone bezahlen.
Und wenn er Ben, Stenmark und Shane umgebracht hatte, würde er noch den Tag verfluchen, an dem er geboren worden war.
„Sieben“, sagte Ferris Tucker leise.
Der Seewolf nickte. Aus schmalen Augen verfolgte er das Boot, das sich von der Bordwand der „Santa Monica“ löste. Diesmal pullten die Männer nicht in Richtung Strand, sondern hatten offensichtlich den Plan, die Landzunge zu umrunden. Sie waren vorsichtig geworden und wollten erst einmal einen Blick auf die Nordseite der Insel werfen.
Viel Zeit konnten sie sich allerdings nicht dazu lassen.
In spätestens einer Stunde wurde es dunkel, dann konnte nur noch ein Verrückter versuchen, auf völlig unbekanntem Gelände irgend etwas zu finden. Das mußten auch die Spanier wissen. Nach Hasards Meinung hatten sie sich ohnehin schon unsinnig viel Zeit gelassen.
Ihm konnte es recht sein.
Für die Seewölfe ging es nur darum, mit den Booten die „Santa Monica“ zu erreichen, ohne von deren Kanonen in Fetzen geschossen zu werden. Im Enterkampf hatten die Spanier nicht den Schimmer einer Chance, darin waren ihnen die Seewölfe haushoch überlegen. Wenn sie erst einmal in den toten Winkel der Geschütze gelangten, gab es keine Schwierigkeiten mehr, dann war das Unternehmen für Hasards Crew so gut wie gelaufen.
Wieder blieb eine kleine Gruppe zurück, die das Schiff beobachtete, während die anderen im Schutz der Felsen die Hochfläche überquerten.
Als sie sich im Geröll am Rand des Kliffs auf den Boden preßten, hatte auch das Boot die Nordseite der Insel erreicht. Sechs Männer pullten, der siebte, ein großer, hagerer Bursche mit einer ausgeprägten Adlernase, beobachtete die Klippen. Schließlich befahl er, den Kurs zu ändern und steuerte einen Punkt etwa in der Mitte der Steilküste an. Der Seewolf wußte sofort, was der Bursche vorhatte.
Er hatte gemerkt, daß der Felsenkegel auf dem höchsten Punkt der Insel von hier aus verhältnismäßig einfach zu erreichen war. Dort oben brannte immer noch das Feuer und stieg eine dünne Rauchfahne in den Himmel. Dort oben wollte der Mann nachsehen, solange es noch hell genug dazu war.
Immerhin ein energischer Mann, dachte Hasard anerkennend. Und auf jeden Fall kein Idiot, der wie ein Anfänger in die Falle tappt. Der Seewolf grinste leise und wandte sich Ed Carberry zu.
„Sie werden heraufkommen, Ed“, flüsterte er. „Aber sie werden Wachtposten bei dem Boot zurücklassen. Die Kerle dürfen uns auf keinen Fall entwischen, klar?“
„Aye, aye! Ich klettere mit Matt und Bob da drüben hinter der Felsennase hinunter. Wir packen uns die Burschen, sobald hier oben der Tanz losgeht.“
„Gut, Ed. Aber seid vorsichtig!“
Der Profos murmelte etwas davon, daß er, verdammt noch eins, immer vorsichtig sei und man ihm das nicht extra zu sagen brauche.
Hasard grinste nur, während Carberry Matt Davies und Bob Grey einen Wink gab und sich lautlos zwischen die Steinbrocken zurückzog. Die beiden anderen folgten ihm genauso leise. Jenseits der vorspringenden Felsennase konnten sie bis zur Brandungsplatte hinunterklettern, ohne von den Spaniern gesehen zu werden. Dann brauchten sie nur noch ein Dutzend Schritte bis zu der Stelle, wo jetzt das Boot vertäut wurde.
Hasard stellte fest, daß er den Drahtigen richtig eingeschätzt hatte: erließ tatsächlich zwei Mann als Wache zurück. Die restlichen fünf marschierten auf die schräge Geröllrinne zu, die in das Kliff schnitt und die Möglichkeit für einen problemlosen Aufstieg bot. Der Mann mit der Adlernase kletterte als erster. Für die nächsten Minuten waren die fünf Männer aus dem Blickfeld der Seewölfe verschwunden, aber rollende Steine und ein paar unterdrückte Flüche verrieten ihren ungefähren Standort.
Der Drahtige schwang sich als erster über die Kante des Kliffs.
Hasard lag in der Deckung einiger durcheinandergewürfelter Felsbrocken und spähte durch eine schmale Lücke zwischen den Steinen. Deutlich konnte er das scharfe Profil seines Gegners sehen, der die Hände in die Hüften gestemmt hatte und aus schmalen Augen zu dem roten Felsenkegel hinaufsah. Nach einer Weile wandte er sich um und überzeugte sich, daß auch der Rest seiner Leute die Hochfläche erreicht hatte.
„Wir teilen uns“, sagte er auf spanisch. „Diego und ich klettern auf den Berg. Die beiden anderen Gruppen schwärmen aus, decken uns den Rücken und sichern unsere Flanken. Verstanden?“
„Si, Senor“, tönte es vierstimmig zurück.
Die Männer hatten funkelnde Augen. Hier war ein Mann, der wußte, was er wollte, und die Sache vernünftig anpackte. Prompt zeigten seine Leute ein ganz anderes Kaliber als die sechs, die bereits von den Seewölfen überwältigt worden waren. Der Hagere nötigte Hasard Achtung ab. Trotzdem hatte er keine Chance. Denn die Seewölfe hatten sich so über das Plateau verteilt, daß die eigentlich ganz vernünftige Idee mit den drei Gruppen den Spaniern nur zum Verhängnis werden konnte.
Der Drahtige und der Bursche mit dem Namen Diego marschierten quer über das Plateau auf den Felsenkegel zu. Die anderen teilten sich und schwärmten nach links und rechts aus. Auf diese Art bildeten sie eine keilförmige Formation und mußten annehmen, daß sie das größtmögliche Maß an Sicherheit erreicht hatten.
Hasard lächelte matt, richtete sich etwas auf und wartete darauf, daß die rechte Flanke der Formation in seine Reichweite geriet.
Ben Brighton, der hinter dem Seewolf kauerte, hielt einen handlichen Stein in der Faust. Ferris Tucker betrachtete einen Augenblick nachdenklich Batutis Morgenstern, dann deponierte er ihn sanft auf dem Boden und griff sich ebenfalls einen Stein. Die beiden lächerlichen Spanier, die da heranpolterten, waren völlig ahnungslos und konnten nichts dafür, daß man den Seewölfen die „Isabella“ geklaut hatte. Sie würden flachgelegt werden, aber man mußte ihnen ja nicht gleich den Schädel einschlagen.
Hasards Lächeln vertiefte sich.
Seiner Meinung nach zerbrach sich der rothaarige Schiffszimmermann unnütz den Kopf. Die zwei lächerlichen Spanier gedachte der Seewolf nämlich allein zu erledigen.
Als sie noch drei Schritte entfernt waren, sprang Hasard mit einem Satz auf den Felsblock und jumpte den Spaniern von da aus unmittelbar vor die Füße.
Die Kerle prallten zurück und rissen erschrocken die Münder auf. Beide holten Luft, um loszubrüllen, aber bevor sie auch nur einen Ton herausbrachten, packte sie der Seewolf links und rechts bei den Ohren und donnerte ihre Köpfe gegeneinander.
Die Burschen sackten zusammen. In einiger Entfernung klatschte es zweimal dumpf. Und damit war auch die linke Flanke der fabelhaften Formation im Eimer.
„Fesseln und knebeln“, flüsterte Hasard, während sein Blick den Drahtigen und seinen Begleiter suchte, die sich schon in einiger Entfernung befanden.
Trotzdem mußten sie etwas gehört haben.
Hasard zog den Kopf ein, als der Drahtige herumfuhr. Durch die Lükke zwischen den Steinen konnte der Seewolf deutlich die Spannung in dem schmalen, asketischen Gesicht mit der Adlernase lesen. José Diaz, erster Offizier der „Santa Monica“, war ein Mann mit Instinkt. Er spürte die Gefahr mit jeder Faser, spürte sie jäh und bedrohlich überall ringsum, aber er konnte nicht ahnen, aus welcher Richtung der Teufel aus der Kiste fahren würde.
Nur drei Schritte hinter den beiden Spaniern richtete sich die stämmige Gestalt von Jeff Bowie auf.
Er hatte links den gleichen Haken, wie ihn Matt Davies rechts trug. Piranhas hatten ihm die Hand zerfetzt, aber inzwischen hatte er sich an den Verlust seiner Linken gewöhnt und konnte mit seinem Haken perfekt umgehen. In der Rechten hielt er ein kurzes, stabiles Kantholz. Hasard konnte ihn deutlich grinsen sehen, als er sich zum Sprung duckte.
Der Drahtige und sein Begleiter starrten immer noch dorthin, wo sie das zweimalige dumpfe Klatschen gehört hatten.
Jeff Bowie sprang. Geschmeidig wie ein Panther