Seewölfe - Piraten der Weltmeere 176. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 176 - Roy Palmer


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an Oberdeck“, sagte die Korsarin. „Ich löse euch hier ab und passe auf Ipiutak auf.“

      „Die alte Frau wird dir dabei Gesellschaft leisten“, meinte der Seewolf. Okvik und Bilonga trafen nämlich Anstalten, das Achterkastell zu verlassen, nachdem sie wußten, daß sie um Ipiutaks Leben nicht mehr zu bangen brauchten, aber Bilongas Großmutter schien sich nicht vom Fleck rühren zu wollen.

      Siri-Tong griff nach ihrer Hand, lächelte ihr zu und zog sie mit sich in die Kammer der verletzten Frau. Hier bedurfte es keiner Worte, hier verstand man sich auch so, schweigend und ohne jede überflüssige Geste.

      Hasard und der Kutscher suchten mit Okvik und Bilonga das Hauptdeck auf, traten zu den Männern der Crew ans Steuerbordschanzkleid und nahmen die Szene in sich auf, die sich ihren Augen bot.

      Fünf Dörfer aus weißen, kugligen Schneehütten erhoben sich am Ufer der großen Bucht Thules. Dies also war das Zentrum, die Hauptsiedlung von Qanaq – und mit einemmal erfüllte quirliges, eilfertiges Leben die sonst so öde und einsame weiße Welt. Da liefen große und kleine Gestalten am Ufer zusammen, da waren Kajaks und Umiaks losgebunden und besetzt worden, und so viele der schlanken, schnellen Boote glitten auf die „Isabella“, die „Sparrow“ und das Drachenboot der Wikinger zu, daß man sie schon nicht mehr zählen konnte.

      Jubellaute wehten den Seewölfen und ihren Freunden von der Galeone „Sparrow“ entgegen.

      Von Bord des Drachenbootes wurden diese Rufe erwidert – dort befanden sich einige von Okviks Kriegern, die den Einmaster sicher an das natürliche Hafenbecken der Bucht pullten.

      Sie hatten das Gefährt der Nordmänner übernommen und würden es wohl auch immer behalten. Die gefangenen Wikinger-Piraten waren auf das Drachenboot, die „Sparrow“ und die „Isabella“ verteilt worden und wurden streng bewacht.

      Hendrik Laas, Bert Anderson, Sheldon Gee und die anderen von der „Sparrow“ stießen Pfiffe und Hurra-Rufe aus und warfen ihre Fellmützen in die Luft.

      Dann stimmten auch die Seewölfe ihr „Arwenack“-Geschrei an, daß es einem angst und bange werden konnte.

      „Sir!“ rief Ben Brighton seinem Kapitän in dem allgemeinen Gebrüll zu. „Ich schätze, das gibt noch ein Fest, wie wir’s so schnell nicht wieder vergessen!“

      „Ja“, sagte der Seewolf. „Und es gibt keinen hier an Bord, der es nicht verdient hätte, sich mal wieder ein bißchen auszutoben.“

      „Bloß das eine merkt euch, ihr Rübenschweine“, fuhr Carberry, der es natürlich nicht sein lassen konnte, die Crew an. „Es wird nicht übermäßig gesoffen, sonst gibt es Ärger! Wer randvoll umkippt und liegenbleibt, den lasse ich einschneien und steiffrieren, ohne Pardon. Und daß mir ja keiner die Eskimomädchen antatzt! Wir sind hier Gäste und haben uns anständig zu benehmen. Das ist hier kein Hafenviertel, in dem ihr die Mäuse auf den Kneipentischen tanzen lassen könnt, verstanden?“

      „Aye, aye“, brummten die Männer.

      „Die Eskimos sind sittsame Menschen und anständige Kerle, die man nicht beleidigen darf“, fuhr der Profos in seinen Belehrungen fort. „Von denen hat so manch einer mehr Benimm im Leib als zehn von euch Kakerlaken zusammen. He, Bob Grey, du Walroß, was hast du so dämlich zu grinsen?“

      „Erst vor kurzem hat jemand gesagt, wir sollen aufpassen, daß die Eskimos nicht auch noch unsere letzten Bienenwachskerzen auffuttern“, rief Bob Grey fröhlich. „Und jetzt sind sie plötzlich sehr zivilisiert. Also, irgendwie paßt das doch nicht zusammen.“

      „Wer ist der Idiot, der solch einen Quatsch von sich gegeben hat?“ brüllte der Profos.

      „Du selbst, Ed“, teilte Dan ihm gelassen mit.

      „Was, wie? Ich – also, das muß glatt ein Irrtum sein.“

      „Mit zunehmendem Alter wird man vergeßlich, Profos“, sagte Dan O’Flynn. „Aber mach dir nichts daraus, wir können das gut verstehen.“

      Carberrys Augen funkelten plötzlich angriffslustig. „So? Soll der alte Profos dir mal vorexerzieren, wie er mit so kiebigen Stinten wie dir umspringt – soll er das?“

      „Schon gut, es war nur. Spaß, Ed“, versuchte Dan den aufkommenden Streit zu schlichten. Der Profos konnte ganz schön wild werden, wenn man ihn zu sehr auf den Arm nahm.

      „Ich mache ja auch nur Spaß!“ brüllte Carberry.

      Die Eskimos, die mit Okvik an Bord der „Isabella“ gegangen waren, nachdem diese dank der Flaschenbomben aus dem Packeis des Fjordes freigekommen war, stießen sich untereinander an. Sie konnten sich köstlich über die Sprache der Seewölfe amüsieren, und im übrigen schienen sie den Wortwechsel zwischen Carberry, Bob Grey und Dan O’Flynn tatsächlich für einen prächtigen Scherz zu halten.

      Die Kajaks und Umiaks drängten sich um die „Isabella“ und um die „Sparrow“ zusammen und begleiteten sie bis auf eine Art natürliche Reede, auf der sie offenbar ankern sollten. Hendrik Laas kannte sich hier ja bestens aus. Er ließ Hasard signalisieren, daß man nun getrost die Anker fallen lassen könne. Solide Anleger am Ufer, an denen die Galeonen vertäuen konnten, gab es nicht, und auch die Wassertiefe schien dort nicht ausreichend zu sein.

      Während die Schiffe beidrehten und die Anker warfen, drehte sich Okvik wieder zum Seewolf um und sprach einige Sätze, denen Hasard etwa folgenden Sinn entnahm:

      „Sieben Jäger aus Okviks Stamm sind als Helden gestorben. Inuk, der Eskimo, trauert um seine Verstorbenen, aber das Leben geht weiter. Die Toten werden bestattet, wie es ihnen gebührt, doch dann werden wir das Sommerfest der Schamanen trotzdem feiern, denn Hasard und seine Kameraden und Hendrik Laas und die anderen Freunde haben verhindert, daß Okviks ganzer Stamm dahingemetzelt wurde. Es hätte schlimmer ausgehen können – viel schlimmer. Darum dürfen wir feiern, sagen die Schamanen. Das Leben geht weiter.“

      Hasard wollte Okvik gerade erklären, daß er ihn verstanden hätte, da erschien Matt Davies in der Öffnung des Steuerbordschotts vom Vordeck und winkte seinem Kapitän zu.

      „Sir!“ rief er. „Wir brauchen den Kutscher!“

      „Was ist denn los?“

      „Der schwarze Pirat – es geht ihm verdammt schlecht.“ Matt trat näher und fügte hinzu: „Er stöhnt und wälzt sich herum, und ich schätze, er verliert eine Menge Blut.“

      Matt Davies gehörte zu den Männern der Crew, die die gefangenen Wikinger unten in den Räumen des Vordecks bewachten. Jor, der schwarze Pirat, der den grausamen Überfall auf das Dorf der Eskimos geführt hatte, befand sich unter ihnen – und es stimmte ja, er war von dem Bas Okviks durch Bisse verletzt worden, so sehr, daß er blutend zusammengebrochen war. Das Tier hätte ihm die Kehle zerfetzt, wenn Okvik es nicht zurückgepfiffen hätte.

      Trotzdem sagte Hasard: „Es könnte ein Trick sein, mit dem er auf sich aufmerksam machen will.“

      „Nein, das glaube ich nicht, Sir.“

      „Ein sehr alter Trick sogar, durch den er euch überwältigen will, um dann zu fliehen.“

      Matt Davies schüttelte den Kopf. „Ich will dir ja nicht widersprechen, weil mir das nicht zusteht, aber – nun, ich bin sicher, daß der Kerl verdammt viel Blut verliert und höllische Schmerzen leidet.“

      „Ich habe ihn nur notdürftig verarzten können“, meinte der Kutscher. „Vielleicht geht es ihm wirklich schlecht. Ich könnte ihm zumindest ein schmerzstillendes Mittel verabreichen und das Bluten durch Abbinden seiner Arme zum Stillstand bringen.“

      „Er hat es zwar nicht verdient, daß wir uns um ihn kümmern, aber wir sind keine Unmenschen, die wie seinesgleichen verfahren. Es ist sozusagen unsere Pflicht, ihm als unserem Gefangenen beizustehen, wenn er es auch nie begreifen wird, was diese Art von Fair play bedeutet. Kutscher!“ sagte Hasard.

      „Sir?“

      „Du gehst mit Matt Davies ’runter zu Jor und sorgst dafür, daß er weniger Qualen


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