Seewölfe - Piraten der Weltmeere 81. Cliff Carpenter
reißen, wenn sie ihn erwischten. Er hatte sie bis aufs Blut gepeinigt. Und außerdem waren ihm die eigenen Landsleute nicht grün. Wie leicht löste sich ein Bleihagel aus der Muskete – in dunkler Nacht, bei diesem Gelände. Wer wollte nachher Absicht beweisen?
In einem Ruderboot aber blieb die Lage immer überschaubar, auch wenn das Meer noch so bewegt war.
Der Capitan nickte großzügig.
„Schafft eine Drehbasse an den Strand, damit wir die Kerle unter Beschuß nehmen können, wenn sie nicht freiwillig umkehren“, befahl der Offizier, und schon stürmte er mit dem ersten Trupp los, den Seewölfen nach, die es gewagt hatten, ihm, Andrés Catalina, ein Schnippchen zu schlagen.
El Verdugo bewies am Ende die bessere Spürnase.
„Legt euch in die Riemen, Leute“, befahl er finster.
Er hockte auf der Achterducht und hielt das Steuer, um wenigstens halbwegs den Kurs bestimmen zu können.
Die acht unglücklichen Musketiere, die ihm zugeteilt worden waren, pullten wie wild. Aber ständig nahmen sie Wasser über. Sie mußten verteufelt aufpassen, daß sie ihr Pulver trocken hielten.
Die beiden Suchtrupps trafen etwa zur selben Zeit am Schauplatz des Geschehens ein. Und El Verdugo entdeckte den ersten Flüchtling.
„Da ist einer!“ schrie er heiser und deutete auf einen dunklen Punkt in der brodelnden See. „Vorwärts, Leute! Pullt, daß die Fetzen fliegen! Sonst lasse ich euch die Kehlen mit flüssigem Blei ausgießen, sobald wir zurück sind. Und ich pflege zu halten, was ich verspreche. Ihr kennt mich!“
Die Leute duckten sich. Sie alle haßten El Verdugo. Sie fürchteten ihn aber auch. Auflehnung gab es nicht. Wohin hätten sie fliehen sollen? Sie waren ebenso gefangen auf der Teufelsinsel wie die englischen Freibeuter, deren Schiff gestrandet war. Und sie hatten kein kühnes Vorbild wie diesen Seewolf, der seine Leute direkt durch die Hölle führte, um die Freiheit wiederzuerlangen, und lieber sterben würde, als sich unter die Knute der Spanier zu beugen. So haßten sie Hasard und bewunderten ihn zugleich.
Das würde sie nicht hindern, ihre Musketen einzusetzen. Schließlich ruhte der mißtrauische Blick des Henkers auf ihnen. Und wehe, wenn El Verdugo wirklich jemanden aufs Korn nahm.
Nur die Blitze beleuchteten unregelmäßig und für Sekunden die bewegte Szene. Es blieb kaum Zeit, um richtig zu visieren. So pufften die Schüsse meist ungezielt in die Dunkelheit. Es dauerte eine Weile, bis sie in der tanzenden Nußschale nachgeladen hatten.
So trat nach der ersten geschlossenen Salve, deren Wirkung niemand abzuschätzen vermochte, eine Pause ein. Schlimmer noch: die Schützen, die luden, konnten nicht mitpullen. Der Rest der Soldaten legte sich gewaltig in die Riemen. Aber das Boot trieb ab.
El Verdugo schäumte vor Wut.
Er beruhigte sich erst, als er beim nächsten gleißenden Blitz erkannte, daß er mitten zwischen der Schar der Seewölfe trieb, die mit dem Mut der Verzweiflung um das nackte Leben kämpften.
Dann legte am Strand die Drehbasse los.
Schlagartig ließen die Leute an den Riemen alles fahren. Auch El Verdugo hechtete in Sicherheit. Fluchend wartete er das Ende der Salve ab. Der Schrei, der aus dem Wasser herüberklang, erfüllte ihn mit Zufriedenheit und mahnte ihn zugleich, daß er selbst noch keinen durchschlagenden Erfolg zu melden hatte.
Kaum war die größte Gefahr vorbei, da jagte El Verdugo die Soldaten wieder an die Riemen, und weiter ging die blinde Jagd.
Der Henker hielt es für geraten, aus der Notausrüstung eine Fackel zu nehmen. Er befestigte sie neben sich auf der Achterbank und hoffte, Lopez werde nicht gerade auf die eigenen Leute feuern.
Tatsächlich verstummte die Drehbasse.
Befriedigt stellte der Henker fest, daß selbst der Capitan es nicht wagte, ihn zu gefährden.
Immer weiter entfernten sich Jäger und Gejagte von der Insel, die bald nicht mehr inmitten der Regenschauer zu erkennen war, selbst dann nicht, wenn ein Blitz über das Himmelszelt züngelte.
El Verdugo hockte achtern und schaute sich unruhig nach allen Seiten um. Wenn er zu nahe an die Kerle geriet, ohne sie rechtzeitig zu sehen, zog er am Ende den kürzeren.
Für ihn selbst war das Wagnis, bei diesem Wetter mit einem Boot draußen zu sein, ebenso riskant wie der Versuch, das Festland schwimmend zu erreichen, wie die Seewölfe es offenbar vorhatten.
Hirnverbrannte Idioten!
El Verdugo schwor ihnen blutige Rache. Aber erst mußte er sie in diesem Hexenkessel finden.
Das Boot nahm immer mehr Wasser über. Automatisch begann El Verdugo zu schöpfen.
Noch immer bestimmte er den Kurs. Er wollte die geflohenen Gefangenen überholen, ihnen den Weg versperren und sie zur Insel zurücktreiben. Töten wollte er nur ein paar der Bastarde, als Abschreckung für die anderen und damit selbst der Seewolf begriff, daß es kein Entkommen gab. Dann würde er sie am Strand einsammeln, Mann für Mann, und unter seine Fittiche nehmen.
Das grausame Gesicht des Henkers verzog sich zu einem gemeinen Grinsen. Für einen Augenblick ging die Phantasie mit ihm durch. Alle sollten seine Rache spüren. Die Hölle würde ein angenehmer Ort sein gegen die Teufelsinsel, sobald sie die Seewölfe wieder beherbergte.
„Da sind sie!“ schrie El Verdugo gegen den Sturm und deutete nach Steuerbord voraus, wo die dunklen Punkte im Wasser sich mehrten.
2.
Hasard warf sich entschlossen herum. Er schwamm in die Richtung, aus der er den Schrei gehört hatte. Nur ein Gedanke beherrschte ihn: er mußte Smoky, dem Decksältesten, helfen.
Sie waren eine verschworene Gemeinschaft.
Keiner der Crew, der bemerkt hatte, daß es Smoky erwischt hatte, setzte einfach seinen Weg fort, auch wenn die Kräfte noch so sehr erlahmten oder man mit dem Gefährten anschließend elend ertrank.
Big Old Shane, der Schmied von Arwenack, Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, und Dan O‘Flynn schwammen zurück und taten instinktiv das gleiche wie Hasard, ihr Kapitän.
Selbst Edwin Carberry, der bullige Hüne, bereits mit Old Donegal im Schlepptau, wollte dem Kameraden helfen.
Der alte O‘Flynn hatte in diesem Moment erschöpft losgelassen.
Er fing ihn wieder ein, brachte seine Hand zurück an den eisernen Halsring, den die Spanier den Gefangenen verpaßt hatten, und gurgelte: „Halt dich fest! Ich lege noch etwas zu. Smoky hat‘s erwischt.“
Mühsam spuckte Old Donegal eingedrungenes Wasser aus, verzog schmerzlich das Gesicht und blieb brav beim Profos. Er versuchte mit lahmen Schwimmbewegungen, Carberry zu entlasten, der wie eine stolze Brigg durch das Wasser rauschte, anscheinend nicht kleinzukriegen, unverwüstlich, ein Kerl aus Eisen.
Smoky hatte einen Streifschuß eingefangen. Wie gelähmt hing sein Arm herunter. Und es blieb weder Zeit, ihn zu versorgen, noch sich von der Schwere der Verletzung zu überzeugen.
Gerade hatte Big Old Shane den Decksältesten in Schlepp genommen, da zerriß ein Blitz die Dunkelheit, erhellte weithin die Gegend und zeigte den Flüchtenden, wie ernst die Lage wirklich war: El Verdugo und acht Spanier hockten in einem Boot, das zwar wild auf den Wellenkämmen ritt, aber Kurs auf sie hielt.
Schon griffen die Spanier nach den Waffen. Musketen richteten sich auf die Gruppe.
Hasard schrie seinen Männern zu, wegzutauchen. Er selbst versuchte, dem Boot entgegenzuschwimmen, unsichtbar, unter Wasser. Sehen konnte er nichts, aber seine suchenden Hände ertasteten nach endlosen Sekunden den Kiel des Bootes.
Hasard hatte automatisch nach der Devise gehandelt, die sein Leben beherrschte: Angriff ist die beste Verteidigung. Er wollte sich irgendwie wehren und sich nicht im Wasser abknallen lassen.
Es zeigte sich, wie gut die Crew sich