Seewölfe Paket 11. Roy Palmer
Mister Carberry, das hätten wir dir nie angetan“, versicherten sie. „Wir wollten nur mal sehen, wie alle reagieren, denn jeder weiß doch, daß Sir John ein Männchen ist und keine Eier legen kann.“
„Jaja“, sagte Ed. „Klar, das weiß jeder, und ich habe es ja auch selbst nicht so richtig glauben können, schon aus dem Grund, weil Papageien nur in Baumhöhlen brüten. Aber ich dachte, wenn Sir John jetzt tatsächlich ein Weibchen gewesen wäre, dann mußte man sich um ihn ja kümmern. Hätte ja alles sein können.“
„Ja, Mister Carberry“, sagte Hasard, der ältere der beiden. „Bei dir wäre ein brütender Papagei in den besten Händen, das meine ich ganz ehrlich. Niemand hat sich so darum gekümmert wie du, Mister Carberry, Sir.“
Der Profos räusperte sich und blickte zu dem Aracanga, der immer noch auf der Rahnock hockte und mit einem Auge an Deck schielte.
Hasard lachte leise.
„Jetzt braucht sich ja keiner mehr um die Namensänderung zu sorgen“, sagte er. „Sir John ist und bleibt Sir John, und wenn ihr beiden Helden dem Kutscher noch einmal Kandiszucker klaut, dann gibt’s was mit dem Tauende.“
„Und zwar so lange, bis ihr auch Eier legt“, setzte Ed hinzu, „und nicht mehr wißt, ob ihr Männchen oder Weibchen seid. Und jetzt feuert endlich das verdammte Nest über Bord. Sir John muß sich ja direkt dämlich fühlen, wenn er das sieht.“
Die Zwillinge waren erleichtert, denn diesmal waren sie sogar ohne ein blaues Auge davongekommen und ihr kleines Späßchen hatte niemand verübelt.
Sie hatten jedenfalls erreicht, was sie wollten. Für kurze Zeit hatte es an Bord einmal Abwechslung gegeben, und jeder hatte seinen Spaß daran gehabt.
Sie holten das verschmierte Nest und warfen es feierlich über Bord. Danach säuberten sie den Käfig und taten willig alles das, was der Profos anordnete oder befahl. Und sie hielten sich auch den ganzen Tag lang ständig in der Nähe auf, um ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen.
Denn so ein harter Kerl der Profos auch war, dachten sie, ein wenig genasführt würde er sich ganz sicher fühlen, und diesen Eindruck wollten sie so schnell wie möglich verwischen.
Zwei Tage später wurde Land gesichtet, und da war die Sache mit Sir John längst wieder vergessen.
6.
Auf der Nordseite der Insel Bali ging das Schreckgespenst in Gestalt der Gestrandeten immer übler um.
Die Kerle hatten sich noch mehr junge Mädchen geholt, und sie benahmen sich, als gehöre ihnen die Insel. Ihre Toten hatten sie in einer großen Mulde in der Nähe des Pagodenwaldes in der Erde begraben. Die jungen Männer mußten unter Androhung von Prügel diese Grube ausheben und die Leichen hineinlegen.
Die Fremden verwüsteten die Insel, hatten etliche Hütten in Besitz genommen und verscheuchten die Insulaner, klauten ihnen die Früchte und nahmen ihnen die Schweine weg.
Immer wieder röhrten ihre Donnerrohre über die Insel, hielten sie Strandfeste ab und randalierten betrunken herum, berauscht von dem Inhalt der angeschwemmten Fässer.
An diesem Morgen erschienen sie wieder, um sich junge Mädchen zu holen und ihren Tribut zu fordern, und als die Insulaner sich zur Wehr setzten, kam es zu einer Schlägerei.
Doch die wurde ganz schnell unterbrochen, denn ein bärtiger Mann erschien und deutete brüllend zum fernen Horizont, wo sich die Umrisse eines größeren Schiffes abzeichneten.
Die Schlägerei war vergessen, die ganze Horde rannte brüllend zum Strand, stellte sich ans Wasser und begann zu winken und laut zu schreien.
Aber das fremde Schiff zog weiter. Es näherte sich nur so weit der Küste, daß man gerade noch die Segel erkennen konnte.
Als das Winken und Schreien nicht half, entzündeten die üblen Kerle einen der großen Holzstöße, und gleich darauf auch den zweiten.
Etwas später schlugen helle Flammen zum Himmel, von dem anderen Holzstoß stieg eine dichte Rauchwolke auf, als sie Gras und grüne Blätter hineinwarfen.
Hoffentlich, dachte der noch immer nicht gesunde Balian, hoffentlich legt dieses Schiff hier an und nimmt die Horde mit.
Dann würde endlich wieder Ruhe einkehren, und sie konnten mit dem Kecakfest beginnen.
Die „Isabella“ segelte nordwärts durch die Passage zweier unbekannter Inseln.
Wenn Hasards Berechnungen stimmten, und er zweifelte nach seinen Karten und den spanischen Roteiros nicht daran, dann mußten sie, vorausgesetzt, sie gingen nördlich der Inselgruppe wieder auf Westkurs, in der Straße von Malakka herauskommen. Die Strecke waren sie schon früher einmal gesegelt. Nur hatten sie damals von Kalimantan aus Kurs auf die Straße von Malakka genommen.
Ein winziger Rest Unsicherheit blieb noch, aber den hoffte der Seewolf zu beseitigen, wenn er später auf Westkurs ging. Diese Inseln, an denen sie jetzt vorbeisegelten, hatten sie jedenfalls noch nie zuvor passiert.
Ergänzend trug er sie daher in die polynesische Karte ein, denn da waren sie nur – bis auf Java – ganz vage ohne Bezeichnung angegeben.
„In ein, zwei Tagen werden wir irgendwo an einer der Inseln anlegen“, sagte er zu Ben, „und Frischwasser nehmen. Mit unseren Früchten ist es auch nicht mehr weit her. Der Kutscher hat schon ganz zaghaft angeklopft und diskret darauf hingewiesen.“
Sie rundeten ein paar Stunden später eine Landzunge und gingen dann auf Westkurs. Der Abstand zum Land mochte etwa fünf bis sechs Meilen betragen.
Jetzt liefen sie wieder raumschots, und der Wind briste ein wenig auf.
Von der Insel war nur ein schmaler Strich zu erkennen. Lange weiße Strände wechselten mit bewaldeten Hügeln dicht am Meer. Dann folgten wieder ganze Kolonien von Palmenwäldern, und einmal sahen sie wie hingeduckt eine Gruppe Hütten.
Die Insel war also bewohnt.
„Feuer an Land!“ rief in diesem Augenblick der Ausguck.
Ganz deutlich war es zu sehen. Am fernen Strand loderte ein Feuer auf, dicht daneben wurde ein zweites entzündet, und gleich darauf quoll eine dunkle Rauchwolke zum Himmel.
„Das ist ein Notzeichen“, sagte Ben. „Vielleicht sind es Schiffbrüchige, die auf der Insel gestrandet sind.“
„Und den Wilden in die Hände gefallen“, ergänzte Dan O’Flynn.
Daß es genau umgekehrt war, ahnte niemand.
Hasard fand das merkwürdig, denn wenn wirklich Schiffbrüchige den Wilden in die Hände gefallen waren, dann konnten sie schlecht in aller Ruhe hingehen und ein Feuer entzünden.
„Da steckt noch etwas anderes dahinter“, meinte er. „Aber das werden wir herausfinden. Wir laufen die Insel an!“
Gleich darauf gingen alle Mann auf Stationen, und die „Isabella“ drehte ihren Bug dem Land zu.
Immer noch flackerte das Feuer, der Schein wurde immer heller. Der andere Holzstoß qualmte und stieß dichte Rauchwolken aus, die einen Teil des Strandes einnebelten. Ein fremdes Schiff war nicht zu sehen, wie Hasard durch das Spektiv feststellte. Auch in der kleinen Bucht hatte sich keins versteckt.
„Mann, da sind Tempel“, sagte Bill zu Blacky. „Im Wald stehen sie, und da vorn sind auch Kerle, eine ganze Schiffsbesatzung.“
Immer deutlicher traten die Einzelheiten hervor.
Ja, am Strand stand eine winkende Horde. Männer rannten hin und her, rissen die Arme hoch und brüllten auch ganz sicher etwas, doch das verstand noch niemand.
Hasard musterte die Burschen durch das Spektiv. Es waren wilde Gesellen, nicht unbedingt vertrauenswürdig, fand er, vielleicht waren es sogar Piraten, die es hierherverschlagen hatte.
„Merkwürdig, daß sich kein Eingeborener sehen läßt“, sagte er