Seewölfe Paket 11. Roy Palmer
ich dir als erstem die Haut von deinem Rattenarsch! Es bleibt dabei: Ihr werdet auf eine Insel gebracht, und dort könnt ihr tun und lassen, was ihr wollt. Dort könnt ihr auf den nächsten Kahn warten, falls in diesem Jahrhundert einer die Insel anläuft. Und jetzt will ich nur noch freundliche Nasenlöcher sehen, sonst hole ich die Neunschwänzige und lasse euch Halunken tanzen!“
Carberrys entschlossenes und grimmig verzogenes Gesicht beruhigte die Kerle augenblicklich.
Der Anführer schwieg, und damit verhielten sich auch die anderen ruhig.
„Ich bin froh, wenn wir diese verlauste Satansbrut endlich von Bord haben“, sagte er zu Smoky.
„Du sprichst mir aus der Seele. Ein anderer hätte die Kerle längst einen nach dem anderen an die Rah gehängt.“
Nach dem Essen wurde Wasser gemannt, und ein paar Eingeborene brachten Körbe voller Reis an den Strand, von dem es hier soviel gab wie im Land des Großen Chan.
Der Balian, der in Begleitung zweier Mädchen am Strand erschienen war, erklärte dem Seewolf, gegen Mittag, wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreiche, würde das Fest des Affengottes beginnen. Sie hätten es schon zu lange hinausgeschoben und Hanuman würde sonst grollen und seinen Zorn nach ihnen schleudern.
Hasard hielt auch das für eine Einladung und nahm an.
Dann blickte er zum Wassertempel hinüber und wunderte sich über das große Bambusgerüst, das da am Strand stand.
„Für den Priester Atun“, erklärte der Balian. „Es ist seine Totenstätte. Nach dem Fest wird er verbrannt.“
Das Gerüst hatten sie anscheinend noch vor Sonnenaufgang gebaut.
Es war ein Turm aus Bambus und dem Holz des Wracks, von dem sie zersplitterte Planken genommen hatten.
Links, ganz dicht am Palmenwald, wo es zu den kleinen Geistertempeln der verstorbenen Ahnen ging, befand sich eine Bale, eine kleine Pfeilerhalle, die von allen Seiten offen war.
Der Balian führte den Seewolf und Ben Brighton darauf zu.
Er deutete auf holzgeschnitzte Tierköpfe, die die Bale zierten und prächtig bemalt waren.
„Das ist die Schlange Naga“, sagte der Balian, „das der Adler Garuda, das Schwein, die Schildkröte und der Stier. Atun kann nun eingehen in das Reich der Götter.“
Der Balian streckte die Arme aus, als wolle er alles umarmen. Doch damit deutete er an, daß es ein großes Fest werden würde.
„Die feiern hier anscheinend nur große Feste“, meinte Ben. „Mit kleinen fangen die gar nicht erst an.“
Sie sahen sich alles an, was der Balian ihnen erklärte, und immer wieder neue Eindrücke stürmten auf sie ein.
Mit den paar Brocken Polynesisch konnten sie sich mehr schlecht als recht verständigen, und immer wieder blieben Fragen offen, die nicht geklärt werden konnten. Aber es ging auch mit Gesten und umständlichen Beschreibungen.
Der Balian versuchte, den Seewölfen die Geschichte der Insel zu erklären, langsam und geduldig. Er erzählte von Göttern und Dämonen, von dem Tempel der Elefanten und dem heiligen Fluß, einem Blutstrom der Dämonen.
Dann vergingen noch einmal drei Stunden, und das Fest für Hanuman, den Affenkönig, begann. Wie alle Feste auf Bali wurde es in unmittelbarer Nähe des Strandes gefeiert.
Kecak wurde getanzt, und die Insulaner fungierten dabei wiederum als Helfer des Affenkönigs.
Immer lauter und wilder erscholl ein Ruf, der sich pausenlos wiederholte.
„Kecak! Kecak!“
Die Tänzer saßen in Fünferreihen auf dem Boden und streckten die Hände über ihre Köpfe. Sie beschworen den Affenkönig und deuteten Gesten der Versenkung an, die sich Hasard nicht erklären konnte. Der ganze Tanz blieb geheimnisvoll und fremd. Sie erfuhren lediglich, daß das Fest dazu diente, Gefahren oder drohendes Unheil abzuwenden, wie den zornigen Ausbruch des Gunung Agung, von dem immer noch leichter Rauch in den Himmel quoll.
Das Kecakfest würde am anderen Abend erst richtig weitergefeiert werden, erläuterte der Balian. Dies war nur eine Vorstufe davon, um den Gott zu besänftigen.
Die Seewölfe mußten essen und trinken, und immer wieder wurden fremdartige Speisen gereicht, bis sogar der Profos stöhnte.
„Wann nimmt denn das ein Ende?“ fragte Ed. „Wenn das noch lange weitergeht, habe ich mich restlos überfressen und kann nicht mehr laufen. Aber abschlagen darf man auch nicht, oder?“
„Ich glaube, es würde ihren Stolz verletzen“, sagte Hasard. „Ich selbst kriege auch nichts mehr runter.“
Sie saßen im Schatten unter einem riesigen Banyonbaum. Die Hitze, die hohe Luftfeuchtigkeit, das viele Essen und Trinken ließen sie matt und träge werden.
Der Balian war unermüdlich unterwegs, und etwas später herrschte unnatürliche Ruhe. Kein Insulaner war mehr zu sehen.
„Die werden ihr Mittagsschläfchen halten“, meinte Dan O’Flynn. „Kein Wunder bei den vielen Festen.“
„Das ist ziemlich unwahrscheinlich. Ich glaube, sie treffen immer noch ihre Vorbereitungen, um den Priester zu verbrennen.“
Mit der Vermutung behielt Hasard recht, denn es dauerte nicht mehr lange, und in der Luft lagen wispernde Stimmen, die sich anhörten wie ein Sprechgesang. Sie waren noch weit entfernt, aber die kehligen Laute ertönten zweifelsfrei aus dem Wald der vielen Tempel.
Hasard stand auf, seine Schläfrigkeit war verflogen. Die anderen folgten seinem Beispiel.
Geheimnisvolle Gamelanmusik erklang, von Instrumenten erzeugt, die vorerst noch unsichtbar blieben. Gleichzeitig schwoll auch der Sprechgesang an und wurde lauter.
Die ersten Eingeborenen erschienen, an ihrer Spitze der Balian und zwei weitere, im Rang niedriger stehende Medizinmänner. Ihnen folgte ein endlos langer Zug brauner Leiber.
Voran gingen buntgekleidete Mädchen. Auf ihren Köpfen trugen sie hohe Schalen, die mit allen Früchten gefüllt waren, die auf der Insel wuchsen. Zwischen den Früchten waren leuchtende Blumen gesteckt. Die Menge bewegte sich unter leisem Gesang in Richtung der kleinen Bale.
Es war kein Fest der Traurigkeit, wie es die Seewölfe aus anderen Ländern kannten. Die Beerdigung des Priesters hatte eindeutig fröhlichen und unbeschwerten Charakter.
Eine Gruppe junger und alter Männer folgte den Mädchen. Sie murmelten etwas, jemand sprach ein paar Worte vor, und gleich darauf erklang wieder die Gamelanmusik. Die Prozession wirkte unglaublich bunt und quirlte durcheinander, ohne daß scheinbar eine gewisse Ordnung eingehalten wurde.
Andere Männer trugen eine hölzerne Schlange, die aus einem Baumstamm geschnitzt war. Sie war mit Leder und bunten Tüchern geschmückt, und um die heilige Naga hatte man außerdem noch flatternde Bänder geschlungen und Blumen herumgewunden.
In feierlicher Handlung wurde die Schlange zum Totentempel geleitet, wo man sie niederlegte.
Opfergaben wurden bereitgelegt, eine bestimmte Gruppe eng beieinanderstehender Insulaner nahm vor der Bale Aufstellung.
Da Hasard keine Erläuterungen mehr erhielt, mußte er sich das meiste selbst zusammenreimen.
„Das sind vermutlich die engeren Verwandten des Priesters“, sagte er auf Carberrys unausgesprochene Frage.
„Glaubst du, es ist ihnen nicht lästig, Sir, wenn wir hier herumstehen?“ wollte Ed wissen.
„Nein, ganz bestimmt nicht. Wir verletzen nicht ihre Pietät, sonst hätte der Balian uns nicht ausdrücklich eingeladen.“
„Ein Stier“, sagte Smoky, kaum das der Seewolf zu Ende gesprochen hatte. „Was hat das denn zu bedeuten?“
Das wußte auch Hasard nicht, er nahm jedoch an, es handele sich dabei um einen ähnlichen Götzen wie die Schlange Naga oder den Affengott