Seewölfe Paket 11. Roy Palmer
noch mehr, um sie nicht zu unterlaufen. Das wäre das Ende gewesen – zumindest für den Mast.
Als er Philips Arm nach unten sausen sah, preßte er die Zähne zusammen. Und schon waren sie vorbei. Er blickte zurück. Genau in diesem Moment sprang die Kerbe auf, die das Messer geschlagen hatte – und dann brach die Trosse. Wie eine Schlange züngelte sie hoch in die Luft. Einen peitschenartigen Knall hatte es dabei gegeben.
Und schon schien die Galeone auf Fahrt zu gehen, so schnell verschwand sie nach Lee.
Philip grinste zu Hasard zurück. Hasard erwiderte das Grinsen.
Die zweite Galeone schälte sich aus der Dunkelheit. Vier Minuten später trieb sie ebenfalls landwärts. Die dritte Galeone folgte.
Bei der vierten Galeone brauchten sie drei Anläufe und waren inzwischen auch schweißgebadet. Hasard konnte die Schot kaum noch halten, die Innenflächen seiner Hände waren aufgerissen.
Aber sie brüllten Hurra und „Arwenack“, was natürlich keiner hörte, weil der Wind orgelte und pfiff.
Die vier Galeonen befanden sich „auf großer Fahrt“, wie Philip brüllte.
Sie segelten jetzt mit Backstagswind über Backbordbug wieder westwärts und kreuzten das Kielwasser der treibenden Galeonen.
Warum sich da überhaupt nichts tat, war ihnen schleierhaft, zumal die Galeonen zwar zuerst mit dem Heck voran nach Süden trieben – wie sich das gehörte –, aber dann doch allmählich herumtörnten, dem Wind die Breitseite boten und demzufolge völlig anders schlingerten und schaukelten als zuvor, als sie im Wind liegend an der Ankertrosse gehangen hatten.
„Die pennen!“ rief Hasard.
Philip, der die Schot wieder übernommen hatte, nickte.
Und dann tönte über die Reede ein donnernder Krach, weil sich zwei der Galeonen gerammt und ineinander verbissen hatten.
Die beiden Lümmel brüllten sich vor Begeisterung die Kehlen heiser.
Und als sie an dem Beiboot vorbeifegten, in dem kräftige Seewölfe an den Riemen rucksten, lachten sie sich halbtot, weil sie schneller waren.
„Da war Dad an der Pinne!“ rief Hasard.
„Hab’s gesehen!“ Philip feixte. „Sah aus, als hätte er Sir John verschluckt!“
Sie lachten und kicherten. Und als ihnen das Segel wegflog, kicherten sie immer noch, weil das zu ulkig aussah. Dieses verdammte Ding hing jetzt nur noch mit einem Schäkel und Reihleine an der Gaffelnock, wehte ihnen voraus wie eine riesige Fahne, aber zog sie auch weiter auf das Ufer zu.
„Hu-hu!“ brüllte Hasard. „Das ist die neue Kunst, ’ne Jolle zu segeln! So was habt ihr noch nicht gesehen, Leute!“
Sie wurden gesehen – von den Seewölfen, die zurückgeblieben waren und zum Ufer stürzten, als diese merkwürdige Jolle heranraste – mit einem vorausflatternden Segel, das sich allmählich in Fetzen auflöste.
„Du meine Fresse, du meine Fresse“, murmelte Carberry ein ums andere Mal und hieb Smoky die Pranke auf die Schulter. „Sind das verteufelte Kerlchen, diese Rübenschweinchen? Jagen ’ne ganze Flotte zum Teufel!“
„Vier“, sagte Smoky.
„Vier sind ’ne ganze Flotte, du Plattfisch!“ brüllte ihn Carberry an.
In diesem Moment fegte die Jolle quer durch den Tangstreifen auf den Sand – und der Mast brach.
„Mahlzeit“, sagte Hasard junior und hielt sich den Bauch vor Lachen.
Und Philip krümmte sich und stöhnte: „O Mann, ich kann nicht mehr, mein ganzer Bauch tut weh! Ich mach mir gleich in die Hosen!“ Und er kicherte und kicherte.
Kräftige Fäuste hoben sie aus dem Boot und trugen sie im Triumphmarsch zur „Isabella“.
Zu diesem Zeitpunkt brummte die eine Galeone östlich der Pier auf. Und die letzte Galeone, bei der sich das Ruder aus irgendwelchen Gründen verklemmt hatte, trieb auf die „Zwarte Leeuw“ zu.
Einen Notanker zu werfen, um die Fahrt zu stoppen, schafften sie nicht mehr. Und die Segel kriegten sie auch nicht schnell genüg hoch, um sich noch freizusegeln.
So passierte, was passieren mußte, während die Männer der „Zwarte Leeuw“ schreiend von Bord stürzten und auf die Pier flüchteten.
Mit dem Bugspriet voran fraß sich die vierte Galeone in die „Zwarte Leeuw“.
Kapitän de Jonge starb einen seltenen Tod.
Der Bug der vierten Galeone klemmte ihn ein, als er auf die achtere Galerie sprang. Er verendete kläglich und wurde später mit Äxten aus seiner Lage befreit. Aber davon hatte er nichts mehr.
Am nächsten Tag wehte der Wind sanft aus Südost, und die „Isabella“, wieder in ihrem Element, nahm Kurs auf den Ausgang der Bantambai. Gaspar de Ribeiro stand auf der Pier und winkte der englischen Galeone nach.
Und noch einmal hörte er den Schlachtruf der Seewölfe, aber es war ein Abschiedgruß, der über die Reede donnerte und auch gegen vier gestrandete Galeonen prallte. Das fünfte Schiff, die „Zwarte Leeuw“, das Flaggschiff des „Kommodore“, hing halb abgesoffen an der Pier.
„Ar-we-nack – Ar-we-nack …“
„Gute Fahrt, ihr Seewölfe“, murmelte de Ribeiro.
1.
Das Meer verwandelte sich in flüssige Lava.
Weit entfernt, im Osten, entstand die hellrote Glut als winziger Fleck, breitete sich aber aus wie ein gefräßiges Ungeheuer aus rätselhaften Tiefen. Erst jetzt erschien der Feuerball, als habe er sich seine Freiheit mit grimmiger Urgewalt erkämpfen und die starre Linie des Horizonts erst durchbrechen müssen, um sich nun als strahlender Sieger erheben zu können.
Während die Sonne rasch höher stieg, schob sich der Widerschein ihrer Glut mit dem Wellengang des Ozeans auf die Insel zu und schien sie verschlingen zu wollen.
Der einsame Wächter erschauerte, zog die dunkle Decke fester um seinen schmalen, doch muskulösen Körper. Sein Gesicht war mit schwarzer Erde eingerieben, sein jettschwarzes Haar besorgte ein übriges, um ihn mit dem düsteren Felsenhintergrund verschmelzen zu lassen. Er zählte zu den Jüngsten im Volk des Raja Sohore Jugung Moharvi, doch seinen Dienst an diesem heiligen Ort verrichtete er nicht zum ersten Male.
Noch immer bereitete ihm aber das Wissen um die Nähe der Götter Unbehagen. Sie wohnten nur einen Lanzenwurf weit über ihm, im Krater des Vulkans Prakjat. Doch sie duldeten seine Nähe, denn er gehörte zu den Auserwählten, die davon befreit waren, die vorgeschriebene weiße Kleidung anzulegen, wenn sie ihnen gegenübertraten. Von der kleinen Felsplattform unterhalb des Vulkankegels genoß der Wächter einen hervorragenden Blick in die drei Himmelsrichtungen Osten, Süden und Westen. Und nur von Südwesten waren die Feinde zu erwarten. Nur von dort ging die ständige Bedrohung für das Volk des Raja aus.
Die Brahmanen hatten lange um die Entscheidung gerungen, einen Wächter am heiligen Ort zu postieren. Mehrere eindeutige Zeichen waren abgewartet worden, ehe man sich des Wohlwollens der Götter sicher gefühlt hatte.
Der junge Inselbewohner blickte auf das Meer hinaus, das sich im Sonnenaufgang glutrot gefärbt hatte. Weniger die Nähe der Götter als dieses glühende Rot war es, das ihm Unbehagen einflößte. Er hatte es selbst nie miterlebt, wenn die Götter zürnten und feurige Lava über die Insel spien. Doch aus den Erzählungen der Alten kannte er das Grauen, das dann aus dem Schlund der Erde hervorbrach. Unzählige Vorväter der Bewohner von Seribu waren jenem Todeshauch göttlichen Zorns nicht entronnen. Alle, die heute auf der Insel lebten, brachten immer wieder Opfergaben dar, mit denen sie ihr Leben in Frieden zu sichern hofften.
Unvermittelt