Seewölfe Paket 11. Roy Palmer
befand, war wichtiger als alle Nebensächlichkeiten.
Ed Carberry kniete als erster vor dem reglosen Körper und beugte sich über ihn.
Seine Gefährten sahen sich um. Nirgendwo bewegte sich etwas, kein Laut war zu hören. Für diesen bedauernswerten Kerl hatte es auf der Insel allem Anschein nach keine helfende Hand gegeben. Sein persönliches Pech, daß er sich ausgerechnet dieses öde Eiland ausgesucht hatte.
„Merkwürdig“, brummte der Profos, „unterernährt sieht dieser Hering nicht gerade aus. Und atmen tut er auch noch. Wollen doch mal sehen …“ Er packte ihn an der Schulter, um ihn auf den Rücken zu drehen.
Die gesamte Crew hatte sich an Deck versammelt. Ausgenommen der Kutscher, der seinen Platz in der Kombüse nur dann zu verlassen pflegte, wenn sich Sensationen anbahnten. Und danach sah es seiner Meinung nach beim besten Willen nicht aus. Den Männern, die am Steuerbordschanzkleid der Kuhl lehnten, genügte indessen die Tatsache, daß sechs ihrer Gefährten unterwegs waren, um eine höchst unklare Sache klarer zu machen.
Diese Insel sah wahrhaftig aus wie ein toter Haufen Erde, wozu der gewaltige Vulkankegel in erheblichem Maße beitrug. Es schien nur noch eine Frage von Jahren oder Jahrzehnten zu sein, bis die Lavamassen auch den Rest des Tropenwaldes unter sich begraben haben würden. Menschen gab es hier bestimmt nicht. Davon waren die Seewölfe überzeugt. Wer konnte schon unter der ständigen Bedrohung durch so einen elenden Vulkan leben?
„Dad, was tut unser alter Affenarsch jetzt?“ erklang eine helle Stimme auf dem Achterkastell.
Die Männer auf der Kuhl konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Doch sie hüteten sich, in Gelächter auszubrechen. Der Seewolf verstand eine Menge Spaß. In dieser Beziehung aber nicht.
Hasard setzte das Spektiv mit einem Ruck ab und wandte den Kopf zur Seite. Ben Brighton, der neben ihm stand, mußte sich abwenden, um sein Lächeln nicht zu zeigen.
„Eins schreibe dir hinter die Ohren, Sohn“, sagte der Seewolf energisch. „Unser Profos heißt für dich nicht ‚unser alter Affenarsch‘, sondern immer noch Mister Carberry oder ‚Sir‘, wenn du ihn direkt anredest. Das gilt übrigens für euch beide. Sonst ist zu sagen, daß ich selbst nicht genau erkennen kann, was Mister Carberry gerade tut. Er untersucht nämlich den Schiffbrüchigen, und die anderen stehen um ihn herum.“
Hasard junior zog den Kopf zwischen die Schultern, biß sich auf die Unterlippe und senkte den Blick.
„Aber Dad“, entgegnete Philip junior ziemlich lautstark, „ich dachte, wir sollen nur dann nicht ‚unser alter Affenarsch‘ sagen, wenn er in der Nähe ist! Und im Moment ist er doch so weit weg, daß er uns gar nicht hören kann.“
Hasard schickte einen ergebenen Blick zum Himmel. Dann wandte er sich seinen Söhnen zu. Manchmal dachte er, daß es einfacher sein mußte, einen Sack Flöhe zu hüten, als diese beiden Strolche zu anständigen Kerlen zu erziehen.
„Ich sage es noch einmal laut und deutlich“, begann er gedehnt. Dabei zwang er sich, nicht den Zeigefinger zu erheben, denn das wäre ihm selbst lächerlich erschienen. „Es gibt grundsätzlich keinen alten Affenarsch. Wir haben überhaupt keinen solchen an Bord, mit Ausnahme Arwenacks. Jeder, der zur Crew gehört, ist für euch ‚Mister‘ plus Nachname, und er heißt ‚Sir‘, wenn ihr mit ihm sprecht. Noch Fragen?“
Die Zwillinge wechselten einen schnellen Blick. Äußerlich ähnelten sie sich wie ein Ei dem anderen. Beide waren schlank und schwarzhaarig und hatten scharfgeschnittene Gesichter wie ihr Vater. Geschmeidig wie Katzen waren sie in ihren Bewegungen, und schon jetzt, mit ihren zehn Lebensjahren, waren sie prachtvolle Burschen geworden.
„Nein, Sir, keine Fragen“, erwiderte Hasard junior lässig, daß dem Seewolf in väterlichem Zorn die Haarwurzeln kribbelten.
„Vielleicht nur eine“, fügte Philip vorsichtig hinzu, „gilt das auch für Bill, unseren Moses? Soll er jetzt auch ein ‚Mister‘ für uns sein?“
Hasard verschlug es für einen Moment die Sprache. Er fühlte sich buchstäblich auf den Arm genommen, und garantiert grinsten sich diese beiden kleinen Halunken innerlich eins.
Bevor er jedoch zu einer passenden Entgegnung ansetzen konnte, meldete sich der, von dem die Rede war. Wieder einmal bestätigte sich das Sprichwort über den Teufel, von dem gesprochen wird.
Die Stimme Bills ertönte in geradezu schrillem Diskant.
„Deck! Segler Steuerbord achteraus!“ Bills helles Organ steigerte sich zu höchster Alarmstimmung. „Entfernung acht bis neun Kabellängen! Ein Zweimaster! Alle Segel sind gesetzt! Kollisionskurs!“
Die Köpfe der Männer waren herumgeruckt. Hasard und Philip vergaßen alle Aufmüpfigkeit wegen des Disputs über vorgeschriebene Anredefloskeln. Mit einem Satz waren sie an der Schmuckbalustrade und starrten in die Richtung, in die bereits ihr Vater und Ben Brighton mit dem Spektiv spähten.
Hasard brauchte nur eine Sekunde, um zu erkennen, was da unter Vollzeug auf die „Isabella“ zurauschte.
Handfester Verdruß!
Der Zweimaster mußte an der Südostseite der Insel gelauert haben – unsichtbar für den Seewolf und seine Crew. Möglicherweise gab es dort sogar eine Landzunge, die prächtigen Sichtschutz für einen solchen Überraschungsplan bot.
Hasard wirbelte herum. Mit diesem Schiffbrüchigen hatte er von Anfang an ein ungutes Gefühl gehabt. Jetzt bestätigte es sich. Deshalb bestand nicht der geringste Zweifel darüber, von welcher Sorte die Absichten waren, die die Kerle auf dem Zweimaster hegten.
„Ben!“
„Sir?“
„Hoch mit dem Anker! Kurs etwa West-Nord-West. Klar Schiff zum Gefecht!“
„Aye, aye, Sir!“ Ben Brighton war mit zwei Schritten bei der vorderen Schmuckbalustrade.
Der Seewolf brauchte nicht hinzuzufügen, daß höchste Eile geboten war. Seine Männer und er waren mehr als einmal mitten in die Hölle gesegelt. Jeder an Deck konnte beim Anblick des fremden Seglers zwei und zwei zusammenrechnen. Deshalb wußten sie alle, daß jetzt, von diesem Augenblick an, jede Sekunde zählte.
„Hoch mit dem Anker!“ tönte Ben Brightons energische Befehlsstimme über das Deck. „Klar zum Setzen von Blinde, Focksegel, Großsegel und Marssegel! Tempo, Tempo, bewegt euch!“
Er brauchte es nicht zweimal zu befehlen. Augenblicklich entstand Wuhling auf der Kuhl und zum Vordeck hin. Doch das scheinbare Durcheinander trog. Jede Bewegung der Männer, die in fliegender Hast auseinanderspritzten, war aus jahrelanger Erfahrung heraus geplant.
Ben Brightons Befehle erklangen jetzt in unablässiger Folge, begleitet vom Knarren des Ankerspills.
„Al Conroy, Batuti und Big Old Shane. Seht zu, daß unsere Lady Isabella gefechtsklar ist! Fangt mit den achteren Drehbassen an!“
„Aye, aye, Sir!“ tönte es von der Kuhl zurück, und es klang fast wie ein Freudenschrei. Was indessen daraus sprach, war nichts als wilde Entschlossenheit, es diesen Halunken zu zeigen, die nichts anderes als eine krumme, hinterhältige Tour im Kopf haben konnten.
„Was steht ihr noch herum!“ herrschte der Seewolf seine Söhne ungewollt grob an, während er schon wieder das Spektiv hob. „Holt Pützen mit Wasser! Streut Sand auf die Decksplanken! Und dann meldet euch beim Kutscher wegen der Kohlebecken!“
„Aye, aye, Sir!“ Die Zwillinge stießen es strahlend hervor, und dann rannten sie los, daß es eine wahre Freude war. Mit affenartiger Geschwindigkeit hasteten sie den Niedergang zur Kuhl hinunter.
Ben Brightons Befehle fetzten knapp und präzise über die „Isabella“, deren erstes Tuch sich entfaltete. Ein Ächzen ging durch die Beplankung, als sich das Focksegel unter dem Wind blähte. Im nächsten Moment griff der Südost auch in das Blindesegel. Sofort darauf senkte sich auch das mächtige Großsegel von der Rah. Mit katzenhafter Gewandtheit enterten die Männer höher hinauf, zu den Marssegeln.
„An